Wie ein älterer Bruder

Superintendent Dr. Manuel Schilling ist seit 100 Tagen im Amt

win­ter­berg-total­lo­kal : Am 8. Sep­tem­ber ist Dr. Manu­el Schil­ling seit 100 Tagen im Amt als neu­er Super­in­ten­dent im Kir­chen­kreis Soest-Arns­berg. In einem Gespräch mit Hans-Albert Lim­b­rock, dem Öffent­lich­keits­re­fe­ren­ten des Kir­chen­krei­ses, berich­tet er über sei­nen Start, über Din­ge, die Ihn posi­tiv über­rascht haben und war­um er sei­ne Pfar­rer­schaft mit Bru­der und Schwes­ter anspricht.

100 Tage als Super­in­ten­dent im Kir­chen­kreis Soest-Arns­berg. Gab es schon Tage an denen Sie Ihre Bewer­bung und anschlie­ßen­de Wahl bereut haben ?

Nein. Im Moment noch wache ich jeden Mor­gen auf und sage. Dan­ke, Gott, dass Du mich hier nach Soest-Arns­berg geführt hast. Egal, ob’s reg­net oder die Son­ne sticht. Ich fin­de es hier rich­tig gut.

Was war die bis­her größ­te posi­ti­ve Überraschung ?

Wie nett die Leu­te mich hier emp­fan­gen haben. Man sagt, die West­fa­len sei­en stur, und die Sau­er­län­der im Beson­de­ren. Das habe ich noch nicht fest­stel­len können.

Was hat Pro­ble­me berei­tet, bzw. berei­tet es immer noch ?

Die Unter­brin­gung. Die ers­ten 8 Wochen wohn­te ich – bei einer sehr net­ten Dame – zur Unter­mie­te, getrennt von mei­ner Fami­lie. Jetzt sind wir zusam­men in einer etwas reno­vie­rungs­be­dürf­ti­gen Zwi­schen­woh­nung ein biss­chen beengt auf dem Land. Wir sind froh, dass lie­be Men­schen aus Soest für uns die­se Woh­nung gefun­den haben. Und ich mer­ke jetzt, in was für einem Luxus wir bis jetzt gewohnt haben. Das ist ja auch eine lehr­rei­che Erfah­rung. Wenn’s schlecht läuft, geht die­se heil­sa­me Erfah­rung bis Allerheiligen.

Was muss­ten Sie lernen ?

Superintendent Dr. Manuel Schilling
Super­in­ten­dent Dr. Manu­el Schilling

Mit dem Navi über ver­win­kel­te Stra­ßen in der Bör­de hin­ter Trak­to­ren und durch tie­fe Täler im Sau­er­land zu fah­ren. Navis sind eine ganz beson­de­re Sor­te Lebe­we­sen. Und die­ser Kir­chen­kreis ist so unend­lich groß, ein wah­rer Kontinent.

 

Sie spre­chen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter sowie Pfar­re­rin­nen und Pfar­rer mit Bru­der und Schwes­ter an – kön­nen Sie kurz erklä­ren warum ?

Jesus nennt die­je­ni­gen, die ihm fol­gen und Got­tes Wil­len tun, sei­ne Schwes­tern und Brü­der. Der Apos­tel Pau­lus spricht alle Chris­ten in den Gemein­den von Korinth bis Rom als „Brü­der“ (und wir ergän­zen heu­te auch „Schwes­tern“) an. Wir sind alle durch die Tau­fe Got­tes Kin­der. Die Bar­mer Theo­lo­gi­sche Erklä­rung von 1934 bezeich­net die Kir­che als „Gemein­de von Brü­dern“. Für Geschwis­ter kann man nichts, man muss sie nicht immer mögen. Aber man wird sie nie los, das hilft beim Strei­ten. Und wenn es hart auf hart kommt, ist man für­ein­an­der da.Ich bin Vor­ge­setz­ter, ok. Aber ich will kein „Boss“ sein, son­dern eben wie der „älte­re Bru­der“. Der geht manch­mal auf die Ner­ven. Aber er ist nix Bes­se­res. In unse­rer gro­ßen Volks­kir­che klingt die Anre­de „Bru­der“ bzw. „Schwes­ter“ komisch. Des­we­gen will ich wenigs­tens alle Theo­lo­gIn­nen, Dia­ko­nIn­nen, Lai­en­pre­di­ge­rIn­nen oder Jugend­re­fe­ren­tIn­nen ger­ne so anre­den. Nicht alle wol­len dann mit „Bru­der Schil­ling“ ant­wor­ten. Das ist voll in Ordnung.

Sie haben sich selbst ein­mal als Para­dies­vo­gel bezeich­net. Lässt das Amt eines Super­in­ten­den­ten Ihnen genü­gend Frei­raum, um auch ein­mal über­ra­schend zu sein ?

Oh ja, jeden Tag ! Jedes Gespräch mit Men­schen, die wegen eines Anlie­gens, und sei es auch eine noch so bana­le Sach­fra­ge, zu mir kom­men, ist ein Aben­teu­er. Denn jeder Mensch ist so span­nend und viel­fäl­tig, und jeden Tag anders. Da ver­lau­fen auch die Gesprä­che über­ra­schend, und ich selbst muss dann reagie­ren. Übri­gens pla­ne ich das nicht : Heu­te will ich mal die­sen oder jenen, oder die­ses Pres­by­te­ri­um oder jenen Aus­schuss über­ra­schen. So etwas geht in der Regel in die Hose. Son­dern ich bin dann selbst über­rascht, wenn „es“ in mir los­geht und wir hin­ter­her fest­stel­len : das war jetzt aber völ­lig anders als vor­her erwar­tet. Das sind dann komi­sche und schö­ne Momente.

Haben Sie der Umfang der Arbeit und die Viel­falt der Auf­ga­ben überrascht ?

Man hat­te mir vor­her davon erzählt. Wenn du aber mit­ten­drin steckst, hilft das auch nicht weiter.

Mit einem nor­ma­len 8‑Stun­den-Tag und einer 5‑Ta­ge-Woche kön­nen Sie die Anfor­de­run­gen an einen Super­in­ten­den­ten ver­mut­lich nicht erfül­len. Was tun Sie, um für sich einen Aus­gleich zu schaffen ?

Fahr­rad fah­ren ; mit mei­ner Frau und den Kin­dern dis­ku­tie­ren ; lesen ; zu mei­ner Frau ins Bett schlüp­fen ; unse­re jüngs­te Toch­ter mor­gens zum Bus beglei­ten ; abends einen Schluck küh­len Wei­ßen oder Rosé trin­ken ; mit Freu­den tele­fo­nie­ren ; sin­gen. Ach, da gibt es vie­le schö­ne Mög­lich­kei­ten. Bun­des­li­ga inter­es­siert mich nicht mehr.

Durch Coro­na ist es schwie­ri­ger gewor­den, in rela­tiv kur­zer Zeit vie­le Men­schen ken­nen zu ler­nen. Wie sind Sie bis­her damit umgegangen ?

Wir haben gelernt, mit Video­kon­fe­ren­zen ein­an­der nahe zu kom­men. Ich habe trotz­dem vie­le Men­schen besucht und habe mit ihnen auf Abstand zusam­men geses­sen. Mei­ne Tätig­keit ähnelt da doch sehr der eines Mana­gers. Ich bewun­de­re die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, die beim Kon­fir­man­den­un­ter­richt mit den Jugend­li­chen zusam­men kom­men und span­nen­de Stun­den anbie­ten sol­len, ohne dass man einen Ball wer­fen oder ein Bewe­gungs­spiel machen kann. Von den Erzie­he­rIn­nen in den Kitas ganz zu schwei­gen. Ich habe es da noch gut.

Sind Sie zufrie­den damit, wie die Gemein­den und die in ihnen han­deln­den Men­schen die Coro­na-Kri­se bewältigen ?

Abso­lut. Die Han­deln­den vor Ort neh­men die Her­aus­for­de­rung sehr ernst und ver­hal­ten sich sehr beson­nen. Gleich­zei­tig ver­su­chen sie, so gut wie es geht, Coro­na ein Schnipp­chen zu schla­gen und den Men­schen nahe zu sein, ohne sie zu gefährden.

Jede Kri­se bie­tet auch Chan­cen. Haben Sie das Gefühl, dass Lan­des­kir­che und Gemein­den die­se sehen und nutzen ?

Ich den­ke schon : neue ana­lo­ge und digi­ta­le For­men der Seel­sor­ge und des Got­tes­diens­tes wer­den aus­pro­biert. All­mäh­lich neh­me ich aber auch eine Erschöp­fung wahr. Das kann ich gut ver­ste­hen. Lei­der befürch­te ich, dass der Coro­na-Mara­thon aber noch län­ger dau­ern wird. Da wer­den wir Orte und Gele­gen­hei­ten schaf­fen müs­sen, wie wir dem Dau­er­stress ent­kom­men und neue Kraft schöp­fen kön­nen. Ich bin sicher, dass Gott uns sol­che Oasen zei­gen wird. Wir soll­ten dafür die Augen offenhalten.

Liegt zum Bei­spiel in der Digi­ta­li­sie­rung eine Chan­ce, Men­schen zu errei­chen, die eher glau­bens­fern sind ?

Unbe­dingt. Online-Ange­bo­te sind ja nied­rig­schwel­lig und öffent­lich. Prin­zi­pi­ell hat da jeder Inter­net­nut­zer Zugang. Aber es gilt auch : das Ange­bot muss sehr pro­fes­sio­nell und anspre­chend sein, sonst erreicht es doch nur die sowie­so Hoch­ver­bun­de­nen und ver­sinkt ansons­ten wie­der im digi­ta­len Orkus. Des­halb müs­sen wir unser digi­ta­les Ange­bot ver­brei­tern, ver­ste­ti­gen und pro­fes­sio­na­li­sie­ren. Wir soll­ten aber nicht den­ken, dass das der Königs­weg in die kirch­li­che Zukunft ist. Das Direk­te, Ana­lo­ge, Face-to-Face ist mei­ne Ansicht nach uner­setz­bar und unüberbietbar.

Wel­che Bücher lie­gen zur­zeit auf Ihrem Schreibtisch ?

Die fet­te Hegel-Bio­gra­phie von Vie­w­e­ger, sowie ein klei­nes Büch­lein aus der Beck­schen Rei­he zu Hegel, um ihn wenigs­tens nur ansatz­wei­se zu ver­ste­hen. Hegel ist wich­tig. Wenn ich aber die­se Schin­ken durch habe, freue ich mich auf einen rich­tig guten Kri­mi, wel­chen weiß ich noch nicht.

Was wer­den Ihre drei wich­tigs­ten Auf­ga­ben bis Jah­res­en­de sein ?

Eine „Hybrid-Syn­ode“ steht im Sep­tem­ber und viel­leicht auch im Novem­ber an. Das bedeu­tet : die ca. 180 Syn­oda­len tref­fen sich an 9 Stand­or­ten in ihrer Regi­on über den gan­zen Kir­chen­kreis ver­teilt und kon­fe­rie­ren halb phy­sisch-real im Kirch­raum, halb digi­tal über Bild­schirm. Bea­mer, Lein­wän­de, Mikros, Inter­net­zu­gang, Lap­tops, Ver­pfle­gung- das gan­ze ist ein Hei­den­auf­wand. Unser der­zei­ti­ger Syn­odal­as­ses­sor Chris­ti­an Klein hat sich bei der logis­ti­schen Pla­nung die­ser Pre­miè­re (für die gesam­te Lan­des­kir­che mei­nes Wis­sens ein­zig­ar­tig) ein Denk­mal gesetzt. Dan­ke, Chris­ti­an ! Dann will ich als zwei­tes die Per­so­nal­pla­nung bei den Pfar­re­rin­nen und Pfar­rern für die nächs­ten Jah­re auf soli­de Grund­la­gen stel­len. Vie­le ver­dien­te Kol­le­gIn­nen gehen dem­nächst in den Ruhe­stand, nicht vie­le Jün­ge­re fol­gen nach. Da gilt es, intel­li­gen­te Lösun­gen zu fin­den. Und schließ­lich soll im Novem­ber auf der Syn­ode der neue Kita-Trä­ger­ver­bund für den gan­zen Kir­chen­kreis offi­zi­ell beschlos­sen wer­den, damit er dann zum neu­en Kita-Jahr 2012/22 an den Start gehen kann.

Der Kir­chen­kreis hat von der Grö­ße her beein­dru­cken­de Dimen­sio­nen. Waren Sie schon im „tiefs­ten Sauerland“?

Sehr oft. Hüb­sche Gegend. Nur die vie­len toten Fich­ten­scho­nun­gen geben mir zu denken.

Wie ver­su­chen Sie, den Dia­log auch mit den ent­fern­ter lie­gen­den Gemein­den herzustellen ?

Tele­fon, Zoom-Kon­fe­renz, Email, Auto­fah­ren. Mit­ein­an­der Reden, Reden, Reden.

Was fehlt Ihnen aus Ihrer „alten Arbeit“?

Die magi­schen Wor­te und Ges­ten des Segens am Ende des Got­tes­diens­tes ; mit den Kin­dern im Kreis sit­zen, sich auf die Schen­kel schla­gen und danach im Kreis hüpfen.

Auch nach 100 Tagen ist vie­les immer noch neu und viel­leicht auch ein biss­chen auf­re­gend. Was glau­ben Sie, wie lan­ge wer­den Sie brau­chen, um wirk­lich anzukommen ?

Das wird bestimmt ein Jahr dauern.

Mit Ihnen ist auch Ihre Fami­lie nach Soest gekom­men. Füh­len sie sich schon ein biss­chen heimisch ?

Wir ver­lau­fen uns nicht mehr zwi­schen den Wäl­len. Die Wie­sen zwi­schen Soest und Ampen durch­que­ren wir per Fahr­rad täg­lich. Die Mädels fin­den ihre Schu­len gut. Wir sind schon ein­mal in den Möh­ne­see gehüpft und haben ver­bo­te­ner­wei­se in der (zu dem Zeit­punkt) lee­ren Drüg­gel­ter Kapel­le gesun­gen. Einer Ein­la­dung zu einem aus­schwei­fen­den Abend­essen konn­ten wir schon fol­gen. Die Soes­ter Bier­gar­ten­dich­te ist außer­ge­wöhn­lich. Die älte­re Toch­ter hat einen Stadt­bi­blio­theks­aus­weis. Doch, wir sind schon ein biss­chen angekommen.

Wie sieht der Aus­blick für die kom­men­den 100 Tage aus ? Was wün­schen Sie sich und was möch­ten Sie erreichen ?

Ich möch­te alle mei­ne Geschwis­ter in den Gemein­den und Funk­ti­ons­stel­len, den Refe­ra­ten und sons­ti­gen Arbeits­be­rei­chen ein­mal gese­hen und in Ruhe gespro­chen haben. Ich möch­te ein star­kes Team in allen Gre­mi­en des Kir­chen­krei­ses haben und mit dem neu­en Kreis­syn­odal­vor­stand ein paar schö­ne Sit­zun­gen gehabt haben. Ich möch­te ein soli­des inhalt­li­ches Pro­gramm für das Jahr 2021 ent­wor­fen haben. Ich möch­te mit den Geschwis­tern ein­mal Abend­mahl gefei­ert haben, ob hybrid, digi­tal oder phy­sisch. Und ich möch­te mit mei­ner Fami­lie in unse­rem eige­nen Haus in Soest wohnen.

Bild 1 : Der Super­in­ten­dent mit dem Fahr­rad : Vor­zugs­wei­se ist Dr. Manu­el Schil­ling in Soest mit dem Fahr­rad unter­wegs. Foto : Hans-Albert Limbrock

Bild 2 : Arbeit über Arbeit. Super­in­ten­dent Dr. Manu­el Schil­ling hat sich inzwi­schen in Soest und an sei­nem Schreib­tisch in der Super­in­ten­den­tur ein­ge­lebt. Foto : Hans-Albert Limbrock

Quel­le : Hans-Albert Lim­b­rock – Evan­ge­li­schen Kir­chen­kreis Soest-Arnsberg

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