Stichwort der Woche : Zurück ins Sultanat ?

Winterberg-Totallokal : Stichwort der Woche, von Norbert Schnellen

win­ter­berg-total­lo­kal : Seit Anfang die­ser Woche dür­fen ca. 1,4 Mil­lio­nen Men­schen tür­ki­scher Her­kunft in der Bun­des­re­pu­blik über die geplan­te Ver­fas­sungs­än­de­rung in der Tür­kei abstim­men. Selbst poli­tisch des­in­ter­es­sier­te Mit­bür­ger konn­ten sich die­ser Nach­richt nicht ent­zie­hen, zu groß war der Medi­en­hype um die Auf­trit­te tür­ki­scher Poli­ti­ker in West­eu­ro­pa. Wor­um geht es bei die­sem Refe­ren­dum eigent­lich ? Der tür­ki­sche Staats­prä­si­dent Erdo­gan möch­te mit der Ände­rung der tür­ki­schen Ver­fas­sung die Macht des Prä­si­den­ten, also der­zeit sei­ne per­sön­li­che Macht, wei­ter aus­bau­en. Die­se Macht­kon­zen­tra­ti­on geht zu Las­ten des Par­la­ments und zu Las­ten einer Gewal­ten­tei­lung, die sol­che „dik­ta­to­ri­schen“ Aus­wüch­se eigent­lich ver­hin­dern soll. Die Jus­tiz und die freie Pres­se wur­den ja schon nach dem „Putsch­ver­such“ im ver­gan­ge­nen Jahr ent­mach­tet, vie­le Beam­te und Jour­na­lis­ten sit­zen seit­dem im Gefäng­nis. Man­ches erin­nert hier­bei an ande­re „Macht­über­nah­men“, wel­che letzt­end­lich fak­tisch zu Dik­ta­tu­ren geführt haben. In unse­rer Wahr­neh­mung war die Tür­kei seit Kemal Ata­türk ein stark west­lich ori­en­tier­tes Land, wel­ches sich vor allem wirt­schaft­lich nach Euro­pa geöff­net hat­te. War­um jetzt ein sol­cher Sinneswandel ?

Wie über­all auf der Welt hat die Glo­ba­li­sie­rung auch in der Tür­kei Gewin­ner und Ver­lie­rer her­vor­ge­bracht. Vie­le Men­schen, gera­de im nicht euro­päi­schen Teil, fühl­ten sich vom „Fort­schritt“ über­rollt und woll­ten sich nicht ein­fach eine frem­de Kul­tur über­stül­pen las­sen. Eine säku­la­re Gesell­schaft, deren ein­zi­ge Gemein­sam­keit die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung ist, war für vie­le Tür­ken eine Zumu­tung. Alt­her­ge­brach­te Tra­di­tio­nen wur­den ver­höhnt und es soll­te auf ein­mal ein voll­kom­men ande­res Men­schen­bild gel­ten. Wir kön­nen die­se Ableh­nung nicht ver­ste­hen, weil wir, mit einer gewis­sen Arro­ganz, davon über­zeugt sind, dass unse­re west­li­chen „Wer­te“ die ein­zig rich­ti­gen und gül­ti­gen sind. Das zeugt sicher nicht von einer gro­ßen Toleranz.

Nicht nur in der Tür­kei, auch in Russ­land, in den USA und sogar in eini­gen EU-Mit­glieds­staa­ten, sehen wir im Moment eine Ent­wick­lung, die sich von den viel geprie­se­nen Seg­nun­gen einer frei­heit­li­chen Demo­kra­tie ver­ab­schie­det. Sind die jetzt auf ein­mal alle ver­rückt gewor­den ? Soll­te die Mehr­heit der Tür­ken am 16. April mit „Evet“ also mit „Ja“ abstim­men, haben sie sich dann frei­wil­lig für das Leben in einer Dik­ta­tur ent­schie­den ? Ich glau­be, wir machen uns unser Urteil über ande­re Völ­ker manch­mal etwas zu ein­fach. Viel­leicht soll­ten wir vor­her erst mal sel­ber in den Spie­gel schau­en. Was macht uns eigent­lich so sicher, dass wir mit unse­rer Art zu leben auf dem rich­ti­gen Weg sind ? Haben wir hier eigent­lich noch Wer­te, für die es sich zu kämp­fen lohnt ? Unse­re umwelt­zer­stö­ren­de Wachs­tums­men­ta­li­tät, unser Kon­sum­den­ken, unse­re sozia­le Käl­te und unse­re Fort­schritts­gläu­big­keit sind schon lan­ge kein posi­ti­ves Bei­spiel mehr für ande­re Län­der. Sicher ist der Weg in Popu­lis­mus und Dik­ta­tur kei­ne ver­nünf­ti­ge Alter­na­ti­ve, aber unser Lebens­stil hat anschei­nend auch als Vor­bild ausgedient.

Quel­le : Ihr Nor­bert Schnellen

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