Es steht viel auf dem Spiel – Kommentar zum möglichen Scheitern der E‑Auto-Strategie – Absatz massiv eingebrochen

Berliner Morgenpost : „Es steht viel auf dem Spiel“, ein Kommentar von Christian Kerl zum möglichen Scheitern der E‑Auto-Strategie

Es ist nicht lan­ge her, da hat die deut­sche Poli­tik im Schul­ter­schluss mit der Indus­trie groß­ar­ti­ge Zie­le für den Umstieg aufs Elek­tro­au­to ver­kün­det : Deutsch­land als füh­ren­de Auto­na­ti­on soll­te natür­lich auch der glo­ba­le „Leit­markt für Elek­tro­mo­bi­li­tät“ wer­den. Schon 2020 hät­ten eine Mil­li­on E‑Autos auf unse­ren Stra­ßen unter­wegs sein sol­len. Schnee von ges­tern : Leit­markt für Elek­tro­mo­bi­li­tät ist inzwi­schen Chi­na. Und die Mar­ke von einer Mil­li­on Stromern wur­de um Jah­re verfehlt.

Alles spricht dafür, dass das poli­ti­sche Ziel von 15 Mil­lio­nen E‑Autos im Jahr 2030 eben­falls nicht erreicht wird : Deren Absatz steigt nicht, er ist in die­sem Jahr mas­siv ein­ge­bro­chen. Um die zögern­de Kund­schaft buh­len gleich­zei­tig nun auch chi­ne­si­sche Wett­be­wer­ber, die zum Angriff auf Euro­pa anset­zen. Ein toxi­sches Gemisch für Indus­trie und Poli­tik, des­sen Gefähr­lich­keit unter­schätzt wird, weil die Auto­her­stel­ler aktu­ell noch gut an Ver­bren­ner­mo­to­ren verdienen.

Wie bri­sant die Ent­wick­lung der Elek­tro­mo­bi­li­tät für die hei­mi­sche Auto­bran­che einer­seits, die Kli­ma­po­li­tik ande­rer­seits ist, unter­streicht jetzt ein neu­er Bericht des Euro­päi­schen Rech­nungs­hofs : Wenn nicht gehan­delt wird, führt Euro­pas Umstieg aufs E‑Auto ins Deba­kel. Ent­we­der haben Ver­brau­cher und Indus­trie den Scha­den – oder der Kli­ma­schutz schei­tert. Vie­le Ver­brau­cher wären ja bereit, auf E‑Autos umzu­stei­gen, wenn nur die Bedin­gun­gen stimm­ten. Aber sie fürch­ten hohe Prei­se und gerin­ge Reichweiten.

Der gro­ße stra­te­gi­sche Feh­ler der Auto­bau­er ist es, bis­lang zu wenig klei­ne­re, güns­ti­ge Model­le im Ange­bot zu haben. Es wird dau­ern, bis das kor­ri­giert ist – zur Freu­de der chi­ne­si­schen Wett­be­wer­ber. Die pro­fi­tie­ren auch davon, dass die euro­päi­sche Indus­trie trotz öffent­li­cher För­de­rung die Erwar­tun­gen bei der wett­be­werbs­fä­hi­gen Bat­te­rie­her­stel­lung nicht ein­ge­löst hat. Eines der größ­ten Pro­ble­me für die Akzep­tanz der E‑Autos aber bleibt die feh­len­de Ver­sor­gung mit Lade­säu­len, mit öffent­li­chen wie pri­va­ten. Das ist auch ein Ver­säum­nis der Poli­tik, die das Auf­bau­tem­po jetzt drin­gend beschleu­ni­gen muss, nicht nur finanziell.

Statt­des­sen hat die Bun­des­re­gie­rung durch einen Zick-Zack-Kurs poten­zi­el­le Käu­fer verunsichert :

Die Kauf­prä­mie für E‑Autos wur­de über Nacht gestri­chen, ein För­der­pro­gramm für pri­va­te Lade­punk­te gleich mit. Par­al­lel dis­ku­tiert ein Teil der Poli­tik, ob nicht das für 2035 fest­ge­leg­te Aus für Ver­bren­ner­au­tos rück­gän­gig gemacht wer­den soll­te. Nichts ge­gen Tech­no­lo­gie­of­fen­heit, aber mit die­ser Debat­te droht eine gigan­ti­sche Ver­schwen­dung von Zeit und poli­ti­scher Ener­gie : Die Kli­ma­zie­le sind nach Lage der Din­ge nur mit Elek­tro­mo­bi­li­tät zu errei­chen, E‑Fuels tau­gen allen­falls als Nischenlösung.

Schluss mit den Ablen­kungs­ma­nö­vern : Deutsch­land und Euro­pa müs­sen den Kampf jetzt auf­neh­men. Der Absatz­ein­bruch bei den E‑Autos muss als Weck­ruf ver­stan­den wer­den, als Start­punkt einer neu­en Offen­si­ve. Die Indus­trie muss ihre Modell­pa­let­te erwei­tern um klei­ne­re, güns­ti­ge­re Elek­tro­fahr­zeu­ge. Die Bun­des­re­gie­rung muss wie­der einen kla­ren Kurs ver­fol­gen und ein neu­es För­der­kon­zept ent­wi­ckeln. Und sie muss den Aus­bau der Lade­punk­te schnel­ler voranbringen.

Es steht die Zukunft der wich­tigs­ten Indus­trie Deutsch­lands auf dem Spiel. Die hei­mi­schen Auto­bau­er gehö­ren zu den bes­ten der Welt, sie haben noch immer das Poten­zi­al, die Kon­kur­renz abzu­hän­gen. Aber sie müs­sen jetzt mehr Tem­po machen bei der Elek­tro­mo­bi­li­tät, statt sich wei­ter auf dem trü­ge­ri­schen Geschäfts­er­folg mit Ver­bren­ner-Autos auszuruhen.

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Quel­le : BER­LI­NER MORGENPOST
Ori­gi­nal-Con­tent von : BER­LI­NER MOR­GEN­POST, über­mit­telt durch news aktuell

Foto­credit : Ado­be­Stock 634314780 / Brisystem

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