Work-Life-Balance oder faule Deutsche? Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben, verschob sich eher in Richtung “Life”

Berliner Morgenpost: Faule Deutsche? Leitartikel von Dominik Bath zu den von Deutschen geleisteten Arbeitsstunden

Es gibt Kli­schees über Ein­woh­ner bestimm­ter Natio­nen, die sich nach­hal­tig eta­bliert haben. Den Deut­schen wird zum Bei­spiel nach­ge­sagt, kei­nen Humor zu haben, dafür aber ord­nungs­lie­bend, pünkt­lich und arbeits­wü­tig zu sein. Spa­ni­er hin­ge­gen sol­len es mit der Zeit nicht ganz so genau neh­men und lie­ber Sies­ta halten.

Eine neue Stu­die wider­legt nun jedoch aus­ge­rech­net in Sachen Arbeits­zei­ten gän­gi­ges Schub­la­den­den­ken. In einem Ver­gleich unter den füh­ren­den welt­wei­ten Indus­trie­na­tio­nen schnei­den die Deut­schen schlecht ab: Mit nur 1031 geleis­te­ten Arbeits­stun­den je Ein­woh­ner ran­gie­ren deut­sche Arbeit­neh­mer sogar noch hin­ter Bri­ten, Grie­chen und eben den Spa­ni­ern, hat das Insti­tut der deut­schen Wirt­schaft (IW Köln) herausgefunden.

Das führt zwangs­läu­fig zur Fra­ge, ob wir fau­ler sind als ange­nom­men. Zuletzt konn­te man durch­aus den Ein­druck gewin­nen, dass deut­sche Arbeit­neh­mer eher dar­auf aus sind, ihre Zeit im Job zu redu­zie­ren. Die “Work-Life-Balan­ce”, das har­mo­ni­sche Gleich­ge­wicht zwi­schen Beruf und Pri­vat­le­ben, ver­schob sich eher in Rich­tung “Life”. Gewerk­schaf­ten mit Vier-Tage-Woche bei vol­lem Lohn­aus­gleich im Pro­gramm fan­den ver­stärkt Gehör. Hart arbei­ten? Das war einmal.

Wer den Deut­schen nun aber gänz­lich die Lust an der Arbeit abspricht, tut ihnen Unrecht. Auch das ist eine Erkennt­nis der IW-Wis­sen­schaft­ler. Denn die Erwerbs­tä­ti­gen­quo­te, also der Anteil der Erwerbs­tä­ti­gen an der arbeits­fä­hi­gen Bevöl­ke­rung, ist in der Bun­des­re­pu­blik sogar höher als im Durch­schnitt aller Indus­trie­län­der. Deutsch­land aber bekommt die PS nicht auf die Stra­ße. Oder sach­lich for­mu­liert: Hier­zu­lan­de wird das vor­han­de­ne Arbeits­kräf­te­po­ten­zi­al nicht gut genug ausgeschöpft.

Ein Grund dafür ist der in Deutsch­land ver­gleichs­wei­se hohe Teil­zeit­an­teil. Betrof­fen sind vor allem Frau­en. Zwar steigt die Erwerbs­be­tei­li­gung von weib­li­chen Beschäf­tig­ten seit 1991 kon­ti­nu­ier­lich an, den­noch wen­den Frau­en immer noch deut­lich mehr Zeit für Haus­ar­beit, Kin­der­be­treu­ung oder das Pfle­gen von Ange­hö­ri­gen auf als Män­ner. Bei der Erwerbs­ar­beit hin­ge­gen ist es wei­ter­hin genau umge­kehrt: Män­ner sind in einem Beruf zeit­lich deut­lich stär­ker ein­ge­bun­den als etwa­ige Partnerinnen.

Für die deut­sche Wirt­schaft dürf­te ein nicht bes­ser aus­ge­schöpf­tes Arbeits­kräf­te­po­ten­zi­al lang­fris­tig pro­ble­ma­tisch sein. In den nächs­ten Jah­ren wird der Anteil der Beschäf­tig­ten, die das ren­ten­fä­hi­ge Alter errei­chen, deut­lich stei­gen.Die schon jetzt in vie­len Beru­fen ange­spann­te Fach­kräf­te­la­ge ver­schärft sich dann wei­ter. Weder wirt­schaft­lich noch gesell­schaft­lich soll­ten wir uns das leis­ten wol­len: Arbeits­kräf­te­man­gel gilt schon heu­te als größ­te Wachs­tums- und Wohlstandsbremse.

Der Staat muss des­we­gen an den rich­ti­gen Stell­schrau­ben dre­hen. Will man In­frastruktur erneu­ern, das Bil­dungs­an­ge­bot ver­bes­sern oder die Bun­des­wehr bes­ser aus­stat­ten, sind wei­ter­hin hohe Steu­er­ein­nah­men nötig.Die Ampel-Par­tei­en haben das zwar erkannt, las­sen aber kon­se­quen­te Maß­nah­men vermissen.

Sol­len die Men­schen mehr arbei­ten, sind nicht nur bes­se­re Kin­der­be­treu­ungs­an­ge­bo­te und eine ech­te Will­kom­mens­kul­tur für aus­län­di­sche Fach­kräf­te nötig, man muss auch end­lich Fehl­an­rei­ze besei­ti­gen, die ein Ver­kür­zen der Arbeits­zeit beloh­nen. Zwangs­läu­fig soll­ten des­we­gen auch unbe­que­me Ent­schei­dun­gen wie ein von Exper­ten gefor­der­tes Aus für die abschlags­freie Früh­ver­ren­tung (“Ren­te mit 63”) gefällt wer­den. Bis­lang jedoch hat sich die Poli­tik davor gedrückt.

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