Orban spielt ein böses Spiel – Ungarns Vetomacht in der EU und dem Einfluss auf die Unterstützung der Ukraine

Berliner Morgenpost: Orban spielt ein böses Spiel – Leitartikel von Christian Kerl zu Ungarns Vetomacht in der EU und dem Einfluss auf die Unterstützung der Ukraine während Russlands Angriffskrieges

Das ist noch halb­wegs gut gegan­gen beim EU-Gip­fel: Die Euro­päi­sche Uni­on hält Wort und eröff­net für die Ukrai­ne die ent­schei­den­de Etap­pe zur ersehn­ten EU-Mit­glied­schaft. Nicht ein­mal zwei Jah­re nach dem eilig ver­lie­he­nen Kan­di­da­ten­sta­tus sol­len die Bei­tritts­ver­hand­lun­gen begin­nen. Die erneu­te Zusi­che­rung, dass das Land zur euro­päi­schen Fami­lie gehört, ist für die Ukrai­ner eine lebens­wich­ti­ge Hoff­nungs­bot­schaft in einem Krieg, der wohl län­ger dau­ern wird als erwartet.

Hät­ten die EU-Regie­rungs­chefs den in Kiew längst ein­ge­preis­ten Ver­hand­lungs­be­ginn schei­tern las­sen, wäre das ein ver­hee­ren­des Signal gewe­sen. Der unga­ri­sche Pre­mier Vik­tor Orban hat im letz­ten Moment ver­stan­den, dass er mit einer Blo­cka­de die­ses Beschlus­ses eine rote Linie über­schrit­ten hät­te. Es ist aber mehr als ein Schön­heits­feh­ler, dass die Kom­mis­si­on erst noch mit der Frei­ga­be von Mil­li­ar­den­gel­dern aus der EU-Kas­se für Ungarn nach­hel­fen muss­te, damit Orban auf sein Veto verzichtet.

Wie schwer sich die EU damit tut, die not­wen­di­ge Geschlos­sen­heit bei der Unter­stüt­zung der Ukrai­ne zu zei­gen, wird in Mos­kau auf­merk­sam beobachtet.

Die Skru­pel­lo­sig­keit, mit der Orban jetzt Russ­lands Prä­si­dent Putin in die Hän­de spielt, wer­den ihm vie­le sei­ner EU-Kol­le­gen nicht mehr ver­ges­sen. Dass der Auto­krat aus Buda­pest sei­ne Veto­macht wei­ter erbar­mungs­los aus­kos­tet, bewies er mit der Ableh­nung von Finanz­hil­fen für die Ukraine.

In der Abwä­gung ist das aber das klei­ne­re Übel: Die 50 Mil­li­ar­den Euro, die eine Insol­venz des Lan­des in den nächs­ten Jah­ren ver­hin­dern sol­len, wer­den ja flie­ßen, der Beschluss ist nur auf­ge­scho­ben – nicht ob, son­dern wie die EU-Staa­ten die Zah­lung orga­ni­sie­ren, ist noch offen. Der Vor­schlag von EU-Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin Ursu­la von der Ley­en dazu war auch in ande­ren EU-Staa­ten zumin­dest auf Kri­tik gesto­ßen. Es war von der Ley­ens Feh­ler, der Ukrai­ne schon vor Mona­ten die üppi­ge Finanz­hil­fe zu ver­spre­chen, ohne ein Man­dat dafür zu haben.

Nicht nur hier agiert die Prä­si­den­tin gern etwas zu forsch. Auch bei der Mit­glied­schaft der Ukrai­ne lau­fen sie und ande­re Spit­zen­leu­te in Brüs­sel Gefahr, Erwar­tun­gen zu wecken, die nicht erfüllt wer­den kön­nen. So rich­tig der Ver­hand­lungs­be­ginn jetzt ist – bis die Ukrai­ne in den Klub auf­ge­nom­men wird, dürf­ten vie­le Jah­re eines mühe­vol­len Anpas­sungs­pro­zes­ses ver­ge­hen. Die Ukrai­ne wird in abseh­ba­rer Zeit kaum in der Lage sein, die har­ten Auf­nah­me­kri­te­ri­en der EU zu erfül­len: Unab­hän­gi­ge Jus­tiz, sta­bi­le Demo­kra­tie ohne Kor­rup­ti­on, ein Min­dest­ni­veau wirt­schaft­li­cher Leis­tungs­fä­hig­keit, soli­de Staats­fi­nan­zen – von all dem, was für die Uni­on unver­zicht­bar ist, ist die Ukrai­ne noch weit entfernt.

Ohne eine sta­bi­le Frie­dens­lö­sung nach dem Krieg ist der Bei­tritt sowie­so undenk­bar. Kiew braucht jetzt drin­gend wei­ter Unter­stüt­zung: Geld, Waf­fen, eine enge Zusam­men­ar­beit mit der EU. Da muss mehr pas­sie­ren. Aber was die EU-Mit­glied­schaft angeht, kann es bei den Ver­hand­lun­gen kei­nen Rabatt geben, kei­nen Bruch mit den Prin­zi­pi­en und Regeln der Uni­on; der Scha­den wäre sonst enorm.

Ohne­hin braucht die EU noch Zeit. Auch die Bevöl­ke­rung ist noch nicht so weit: In Umfra­gen lehnt der­zeit die Hälf­te der EU-Bür­ger den Bei­tritt der Ukrai­ne ab. Es wird höchs­te Zeit, dass die EU-Spit­zen die­se Stim­mung ernst neh­men, Beden­ken dis­ku­tie­ren und Über­zeu­gungs­ar­beit leis­ten – auch wenn es müh­sa­mer wer­den könn­te als ein nächt­li­cher Gipfelbeschluss.

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Quel­le: BER­LI­NER MORGENPOST
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