Berliner Morgenpost : Alle in einen Topf – Leitartikel von Julia Emmrich zur Krankenversicherung

Was macht man als Familie, wenn das Geld in der Haushaltskasse knapp wird ? Doch statt endlich mal groß zu denken, doktert die Politik mit den alten Mitteln im Kleinen herum

Was macht man als Fami­lie, wenn das Geld in der Haus­halts­kas­se knapp wird ? Es gibt drei Mög­lich­kei­ten. Ent­we­der Eltern und Kin­der geben weni­ger aus, strei­chen Wün­sche, schnal­len den Gür­tel enger. Oder sie neh­men Kre­di­te auf, ver­schul­den sich immer mehr und machen ansons­ten wei­ter wie bis­her. Die drit­te Vari­an­te : Alle Fami­li­en­mit­glie­der zah­len höhe­re Bei­trä­ge in die Haus­halts­kas­se ein. Über­tra­gen auf die Finan­zen der Gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen läuft es jetzt mal wie­der auf Vari­an­te Num­mer drei zu. Dabei wäre es eigent­lich Zeit, das gan­ze Sys­tem neu zu den­ken. Oder, um im Bild zu blei­ben : Man soll­te sich mal über­le­gen, wer eigent­lich alles zur Fami­lie gehört.

Doch statt end­lich mal groß zu den­ken, dok­tert die Poli­tik mit den alten Mit­teln im Klei­nen her­um : Mit Blick auf das Mil­li­ar­den­loch der Gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen rech­net Gesund­heits­mi­nis­ter Lau­ter­bach damit, dass der Bei­trag für die Ver­si­cher­ten im kom­men­den Jahr erneut stei­gen wird. Wie­der einmal.

Bereits in die­sem Jahr muss­te die Regie­rung gegen­steu­ern, der durch­schnitt­li­che Zusatz­bei­trag wur­de um 0,3 Pro­zent­punk­te ange­ho­ben, gleich­zei­tig wur­de der Bun­des­zu­schuss für 2023 um zwei Mil­li­ar­den Euro erhöht. Alles ande­re ist poli­tisch nicht gewollt : Finanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lind­ner will das Mil­li­ar­den­loch nicht kom­plett mit immer neu­en Steu­er­mit­teln stop­fen. Lau­ter­bach will die Leis­tun­gen für Ver­si­cher­te nicht zusammenstreichen.

Das Pro­blem wird unter­des­sen in den kom­men­den Jah­ren noch wei­ter­wach­sen. Das hat meh­re­re Grün­de. Der medi­zi­ni­sche Fort­schritt ist einer der wich­tigs­ten : Ärz­tin­nen und Ärz­te kön­nen im Jahr 2023 Men­schen­le­ben in Situa­tio­nen ret­ten und ver­län­gern, in denen es vor eini­gen Jahr­zehn­ten noch nicht denk­bar gewe­sen wäre. Das betrifft win­zi­ge Neu­ge­bo­re­ne, die dank moderns­ter Mög­lich­kei­ten über­le­ben kön­nen. Das betrifft aber auch mul­ti­mor­bi­de Men­schen, die dank des medi­zi­ni­schen Fort­schritts heu­te bis ins hohe Alter ver­gleichs­wei­se zufrie­den leben kön­nen. Das ist eine groß­ar­ti­ge Ent­wick­lung – und es herrscht zum Glück ein brei­ter Kon­sens, dass Deutsch­land reich genug ist, um sich eine sol­che Hoch­leis­tungs­me­di­zin zu leisten.

Aktu­ell aber wird in Deutsch­land das Geld im Gesund­heits­we­sen oft ein­fach schlecht ver­teilt. Das beginnt bei über­flüs­si­gen Ein­grif­fen, die Kli­ni­ken nur des­we­gen machen, weil sie sonst in die Plei­te rut­schen wür­den, und das endet bei ärzt­li­chen Ver­sor­gungs­zen­tren, die ihr Geschäfts­mo­dell voll­stän­dig auf die Ren­di­te­wün­sche inter­na­tio­na­ler Inves­to­ren aus­rich­ten. Die zwi­schen Bund und Län­dern aktu­ell noch hef­tig umstrit­te­ne Kli­nik­re­form muss kom­men, damit Kos­ten und Qua­li­tät wie­der in ein gesun­des Ver­hält­nis kom­men. Die ande­re gro­ße Reform aber schiebt die Poli­tik seit Jah­ren vor sich her. Es geht um nicht weni­ger als um die Fra­ge, wie das Gesund­heits­sys­tem in einer älter wer­den­den Gesell­schaft und einer immer anspruchs­vol­le­ren Medi­zin in den nächs­ten Jahr­zehn­ten so finan­ziert wer­den kann, dass die Bei­trags­zah­ler nicht am Ende 30 Pro­zent ihres Lohns für die Kran­ken­ver­si­che­rung abtre­ten müssen.

Wie das geht ? Es gibt For­de­run­gen, die Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze anzu­he­ben – also Gut­ver­die­ner in der Gesetz­li­chen Kran­ken­kas­se stär­ker zu belas­ten. Es gibt aber auch immer noch die alte Idee der Bür­ger­ver­si­che­rung. Das hie­ße : Alle zah­len in einen Topf ein, auch Beam­te und Pri­vat­ver­si­cher­te. Klar, das wäre eine klei­ne Revo­lu­ti­on. Aber alle­mal bes­ser als ein chro­nisch unter­fi­nan­zier­tes Gesundheitssystem.

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Quel­le : BER­LI­NER MOR­GEN­POST, REDAKTION
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Foto­credit : Ado­be­Stock 601396072 / Brisystem

 

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