Ein Begriff, der immer häufiger auftaucht und zwiespältige Gefühle verursacht – Künstliche Intelligenz : Wie profitiert der Patient davon ?

Es gibt KI-Anwendungen in der Medizin und gerade auch in der Augenheilkunde, die als wichtige Unterstützung der Diagnostik gesehen werden können.

Es ist ein Begriff, der immer häu­fi­ger auf­taucht und der mit­un­ter zwie­späl­ti­ge Gefüh­le ver­ur­sacht : Künst­li­che Intel­li­genz (KI). Einer­seits wird sie als Wun­der­werk­zeug geprie­sen, um die Her­aus­for­de­run­gen der Zukunft in den Griff zu bekom­men, ande­rer­seits macht sie man­chen Men­schen auch Angst : Da pas­siert etwas mit zum Teil sehr per­sön­li­chen Daten, das sich der Kon­trol­le durch die Betrof­fe­nen ent­zieht. Es gibt bereits KI-Anwen­dun­gen in der Medi­zin und gera­de auch in der Augen­heil­kun­de, die als wich­ti­ge Unter­stüt­zung der Dia­gnos­tik gese­hen wer­den kön­nen. Die (augen)ärztliche Bewer­tung und Ent­schei­dung erset­zen sie nicht, doch sie bie­ten wich­ti­ge Hilfestellungen.

Was ist künst­li­che Intel­li­genz überhaupt ?

„Künst­li­che Intel­li­genz“ ist ein Teil­be­reich der Infor­ma­tik, bei dem es dar­um geht, Com­pu­ter und Com­pu­ter­pro­gram­me so zu gestal­ten, dass sie eigen­stän­dig Pro­ble­me bear­bei­ten – so ähn­lich wie Men­schen dies tun wür­den. Ein Teil­ge­biet der KI ist das „Machi­ne Lear­ning“: Rech­ner kön­nen Algo­rith­men ent­wi­ckeln und stän­dig ver­bes­sern, um gro­ße Daten­men­gen aus­zu­wer­ten. Ein ande­res Teil­ge­biet der KI, das „Deep Lear­ning“, geht noch wei­ter : Es ahmt bio­lo­gi­sche Struk­tu­ren des Ner­ven­sys­tems nach (neu­ro­na­le Net­ze). In den ver­gan­ge­nen Jah­ren wur­den hier rasan­te Fort­schrit­te gemacht und gera­de in der Bil­der­ken­nung gibt es Anwen­dun­gen, die mensch­li­chen Fähig­kei­ten, Bil­der zu ana­ly­sie­ren, nahe kom­men, ja sie teil­wei­se sogar über­tref­fen. Allei­ne durch die Ana­ly­se von Fotos des Augen­hin­ter­grun­des las­sen sich dank KI Aus­sa­gen über Alter, Rauch­ge­wohn­hei­ten und Blut­druck eines Men­schen machen.

War­um ist gera­de die Augen­heil­kun­de ide­al für die Digitalisierung ?

KI-Anwen­dun­gen sind dort hilf­reich, wo klar defi­nier­te Fra­ge­stel­lun­gen auf gro­ße Daten­men­gen tref­fen, die die not­wen­di­gen Infor­ma­tio­nen ent­hal­ten. Die Augen­heil­kun­de ist eine Dis­zi­plin, die schon lan­ge die Mög­lich­kei­ten nutzt, ins Auge hin­ein­zu­schau­en : Her­mann von Helm­holtz erfand 1850 den Augen­spie­gel, noch heu­te ein uner­setz­li­ches dia­gnos­ti­sches Werk­zeug des Augen­arz­tes. Seit­her wur­den immer genaue­re und fei­ne­re Metho­den ent­wi­ckelt, um die Struk­tu­ren des Auges abzubilden.

Mit dem Blick ins Auge geben sich Augen­ärz­te längst nicht mehr zufrie­den. Wo in frü­he­ren Jahr­zehn­ten auf­fäl­li­ge Befun­de noch in von Hand gezeich­ne­ten Skiz­zen fest­ge­hal­ten wur­den, ent­ste­hen heu­te digi­ta­le Netz­haut­fo­tos. Hin­zu kom­men wei­te­re Ver­fah­ren : Die Opti­sche Kohä­renz­to­mo­gra­phie (OCT) und ande­re Laser­scan-Ver­fah­ren bei­spiels­wei­se bie­ten, gepaart mit moder­ner Com­pu­ter­tech­nik, immer neue Mög­lich­kei­ten, feins­te Struk­tu­ren etwa von Netz­haut und Seh­nerv zu unter­su­chen und abzu­bil­den. Bei einer berüh­rungs­lo­sen Unter­su­chung, die nur weni­ge Sekun­den oder Minu­ten dau­ert ent­ste­hen so Auf­nah­men, die sogar ein­zel­ne Zell­schich­ten dar­stel­len. Dabei soll­te man sich des­sen bewusst sein, dass es sich nicht um ana­lo­ge Bild­ge­bung han­delt. Die Bil­der, die hier ent­ste­hen, sind vom Com­pu­ter sicht­bar gemach­te digi­ta­le Daten.

Auf die­se Wei­se pro­du­zie­ren Augen­ärz­tin­nen und Augen­ärz­te bei ihren Unter­su­chun­gen mit moder­nen Ver­fah­ren gro­ße Daten­men­gen, die genau das Mate­ri­al bie­ten, das mit KI-Anwen­dun­gen aus­ge­wer­tet wer­den kann.

War­um könn­te KI in der Glau­kom­dia­gnos­tik eine Rol­le spielen ?

Das Glau­kom ist eine kom­ple­xe Augen­er­kran­kung, bei der ganz ver­schie­de­ne Fak­to­ren eine Rol­le spie­len. Nach und nach gehen Fasern des Seh­nervs ver­lo­ren. Die Fol­ge sind Aus­fäl­le im Gesichts­feld, die fort­schrei­ten, wenn das Glau­kom nicht behan­delt wird. Ein wich­ti­ger Risi­ko­fak­tor ist der Augen­in­nen­druck. Ist er zu hoch, dann gerät der Nerv am Seh­ner­ven­kopf, also an der Stel­le, an der er das Auge ver­lässt, unter Druck. Die Durch­blu­tung des Nervs lei­det und die Ner­ven­fa­sern ster­ben ab.

In der Glau­kom­dia­gnos­tik sind eine gan­ze Rei­he von Ver­fah­ren seit Jahr­zehn­ten eta­bliert, dazu gehört die Mes­sung des Augen­in­nen­drucks und die Ana­ly­se des Gesichts­felds. Hin­zu kom­men die OCT und ihre Wei­ter­ent­wick­lung, die OCT-Angio­gra­phie (OCT‑A), mit der rund um den Seh­nerv meh­re­re für die Glau­kom­er­kran­kung wich­ti­ge Berei­che unter­sucht wer­den können :

  • Die peri­pa­pil­lä­re Gefäß­dich­te – also die Dich­te der Blut­ge­fä­ße rund um den Seh­ner­ven­kopf her­um – lässt sich dar­stel­len. So wird eine Ein­schät­zung mög­lich, wie gut der Seh­nerv durch­blu­tet wird.
  • Auch der Zustand klei­ner Gefä­ße in der Ader­haut des Auges neben der Papil­le ist von Inter­es­se (para­pa­pil­lä­re cho­rio­ida­le Mikrogefäße).
  • Rund um den Seh­ner­ven­kopf kann mit Hil­fe der OCT die Dicke der reti­na­len Ner­ven­fa­ser­schicht (Reti­nal Ner­ve Fiber Lay­er, RNFL) bestimmt werden.
  • Wei­te­re wich­ti­ge Para­me­ter sind die Gefäß­dich­te rund um die Maku­la – die Stel­le des schärfs­ten Sehens im Auge – und der Kom­plex der Gan­gli­en­zel­len (Gan­gli­on Cell Complex,GCC), der aus der reti­na­len Ner­ven­fa­ser­schicht, der Gan­gli­en­zell­schicht und der inne­ren ple­xi­for­men Schicht besteht.

Eng­ma­schi­ge Augen­in­nen­druck­mes­sun­gen, Gesichts­feld­ana­ly­sen und OCT-Befun­de ermög­li­chen eine detail­lier­te Dia­gnos­tik, mit der der Ver­lauf die­ser chro­ni­schen Krank­heit und der Erfolg der Behand­lung über Jah­re hin­weg genau doku­men­tiert wer­den müs­sen. Dabei ent­ste­hen enor­me Men­gen an Daten. Sie aus­zu­wer­ten wird immer schwie­ri­ger und zeit­auf­wän­di­ger. Es besteht die Gefahr, dass man vor lau­ter Bäu­men den Wald nicht mehr sieht.

Hier kann eine auto­ma­ti­sier­te Aus­wer­tung der Daten ent­schei­den­de Hil­fe leis­ten – und welt­weit suchen Arbeits­grup­pen nach Wegen, die KI für die Glau­kom­dia­gnos­tik nutz­bar zu machen. Eine Recher­che auf der eng­lisch­spra­chi­gen Meta-Daten­bank „Pub­Med“ zeigt, dass die Anzahl der Ver­öf­fent­li­chun­gen, die sich mit KI und Glau­kom befas­sen, in den ver­gan­ge­nen Jah­ren sprung­haft ange­stie­gen ist.

Wie ler­nen Computer ?

Wel­che Schrit­te sind nun not­wen­dig, damit Com­pu­ter ler­nen, Befun­de zu ana­ly­sie­ren ? Wenn wir einen Bar­code oder einen QR-Code sehen, erken­nen wir nur unge­ord­ne­te Pixel, die wir nicht deu­ten kön­nen. Wir wis­sen aber : Com­pu­ter – bei­spiels­wei­se unse­re Smart­phones – kön­nen die in den Pixeln ver­bor­ge­nen Infor­ma­tio­nen lesen und für uns nutz­bar machen, indem sie bei­spiels­wei­se einen Link zu einer Inter­net­sei­te öffnen.

Um KI in der Augen­heil­kun­de ein­zu­set­zen, müs­sen die Rech­ner nun ler­nen, bei­spiels­wei­se OCT-Bil­der zu inter­pre­tie­ren. Dafür ana­ly­sie­ren zunächst Men­schen die Roh­da­ten und über­füh­ren sie in Kar­ten, die ein­fa­che Mus­ter ent­hal­ten. Das OCT-Bild wird also in einen Bar­code „über­setzt“, den der Com­pu­ter lesen kann. Dies geschieht meh­re­re hun­dert Mal. So ent­steht ein Trai­nings-Daten­satz. Die­sem ers­ten Schritt des „super­vi­sed machi­ne lear- ning“ (über­prüf­tes bezie­hungs­wei­se beglei­te­tes Maschi­nen­ler­nen) folgt der nächs­te : Ein Com­pu­ter-Algo­rith­mus (eine Hand­lungs­vor­schrift zum Lösen von Pro­ble­men) nutzt den Trai­nings-Daten­satz, um auf die­ser Grund­la­ge selbst Bild­da­ten zu beur­tei­len. Der Com­pu­ter kann die Ana­ly­se sehr viel schnel­ler erstel­len als es ein Mensch könn­te. For­schungs­grup­pen, die sich eine sol­che KI-Lösung zu Nut­ze machen, kön­nen dann sehr viel mehr Fäl­le in ihre Ana­ly­sen ein­be­zie­hen. Heu­te wer­den bereits For­schungs­ar­bei­ten ver­öf­fent­licht, in denen bis zu 15.000 Gesichts­feld­ana­ly­sen oder 20.000 OCT-Befun­de berück­sich­tigt werden.

Von wel­chen Anwen­dun­gen kön­nen Pati­en­ten profitieren ?

Eini­ge Bei­spie­le von Ver­öf­fent­li­chun­gen aus den ver­gan­ge­nen Jah­ren zei­gen ers­te erfolg­rei­che Anwen­dun­gen : Schon heu­te kann KI Gesichts­fel­der aus­wer­ten – Defek­te erkennt sie sogar zuver­läs­si­ger als mensch­li­che Exper­ten. Damit kön­nen ent­spre­chen­de Anwen­dun­gen die Glau­kom­dia­gno­se unter­stüt­zen (1). Es besteht sogar die Mög­lich­keit von Vor­her­sa­gen, wie sich das Gesichts­feld ent­wi­ckeln wird : Eine Arbeits­grup­pe ließ ein rekur­ren­tes neu­ro­na­les Netz­werk jeweils fünf Gesichts­feld­be­fun­de von Pati­en­ten aus­wer­ten und dann vor­her­sa­gen, wie eine sechs­te Unter­su­chung aus­fal­len wür­de. Das Ergeb­nis war her­kömm­li­chen Metho­den über­le­gen (2). Eine ande­re Anwen­dung ist die Beur­tei­lung der Dicke der reti­na­len Ner­ven­fa­ser­schicht anhand von Foto­gra­fien des Augen­hin­ter­grunds. Trai­niert wur­de die­se Anwen­dung anhand von Fun­du­s­auf­nah­men und von RNFL-Mes­sun­gen mit der OCT. Das Pro­gramm kann anhand der Fotos gut unter­schei­den, ob mit einem schnel­len oder einem mode­ra­ten Ver­lust von Ner­ven­fa­sern zu rech­nen ist. Damit hilft es Augen­ärz­tin­nen und Augen­ärz­ten bei der lang­fris­ti­gen Nach­ver­fol­gung der Glau­kom­er­kran­kung und bie­tet eine Unter­stüt­zung für The­ra­pie­ent­schei­dun­gen auch dort, wo eine OCT-Unter­su­chung nicht mög­lich ist (3).

Fazit

Künst­li­che Intel­li­genz lässt sich dort gut ein­set­zen, wo kla­re Fra­ge­stel­lun­gen auf gro­ße Daten­men­gen tref­fen, die die nöti­gen Infor­ma­tio­nen beinhal­ten. Die Augen­heil­kun­de ver­fügt über ver­schie­de­ne Ver­fah­ren, mit denen feins­te Struk­tu­ren im Augen­in­ne­ren unter­sucht und abge­bil­det wer­den kön­nen. So ent­ste­hen gro­ße Daten­men­gen, die mit­hil­fe von KI aus­ge­wer­tet wer­den kön­nen. In der Augen­heil­kun­de und gera­de auch in der Glau­kom- dia­gnos­tik gibt es bereits eini­ge Bei­spie­le, wie KI in der For­schung genutzt und in der Pati­en­ten­ver­sor­gung ein­ge­setzt wer­den kann. Dabei ist KI ein Hilfs­mit­tel, kei­nes­falls aber ein Ersatz für die augen­ärzt­li­che Expertise.

___________________

Quel­le : Prof. Dr. Hagen Thie­me, Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Magdeburg
Kli­nik und Poli­kli­nik für Augen­heil­kun­de Leip­zi­ger Str. 44

Quel­len :

  1. Li, F., Wang, Z., Qu, G. et al. Auto­ma­tic dif­fe­ren­tia­ti­on of Glau­co­ma visu­al field from non-glau­co­ma visu­al field using deep con­vo­lu­tio­nal neu­ral net­work. BMC Med Ima­ging 18, 35 (2018). https://doi.org/10.1186/s12880-018‑0273‑5
  2. Park, K., Kim, J. & Lee, J. Visu­al Field Pre­dic­tion using Recur­rent Neu­ral Net­work. Sci Rep 9, 8385 (2019). https://doi.org/10.1038/s41598-019–44852‑6
  3. Medei­ros, F., Jammal, A. & Mariot­to­ni, E. Detec­tion of Pro­gres­si­ve Glau­co­ma­tous Optic Ner­ve Dama­ge on fun­dus Pho­to­graphs with Deep Lear­ning, Oph­thal­mo­lo­gy 2021 Mar ; 128(3): 383–392, https://​doi​.org/​1​0​.​1​0​1​6​/​j​.​o​p​h​t​h​a​.​2​0​2​0​.​0​7​.​045

 

Infor­ma­tio­nen : Berufs­ver­band der Augen­ärz­te Deutschlands
Ori­gi­nal-Con­tent von : Berufs­ver­band der Augen­ärz­te Deutsch­lands. e.V., über­mit­telt durch news aktuell

Foto­credit : Ado­be­Stock 428854976

 

Print Friendly, PDF & Email