Ein fatales Lügengebilde – Leitartikel von Gudrun Büscher – Wenn Putin vom Krieg spricht, reiht sich Lüge an Lüge

Wladimir Putin erklärte seine Sicht auf Russland und den Westen. Und was er sagte, war ebenso erbärmlich wie absurd.

Der 70 Jah­re alte rus­si­sche Prä­si­dent wirk­te fast jugend­lich frisch, als er die Büh­ne betrat und zu sei­ner mit gro­ßer Span­nung erwar­te­ten Rede zur Lage der Nati­on ansetz­te. Wla­di­mir Putin erklär­te sei­ne Sicht auf Russ­land und den Wes­ten. Und was er sag­te, war eben­so erbärm­lich wie absurd.

In atem­be­rau­ben­der Geschichts­ver­dre­hung gibt Putin ein Jahr nach Beginn des rus­si­schen Angriffs auf die Ukrai­ne den USA die Schuld für den Krieg. „Die Ver­ant­wor­tung für das Schü­ren des Ukrai­ne-Kon­flikts, für sei­ne Eska­la­ti­on, für die vie­len Opfer“ lie­ge ganz und gar bei den west­li­chen Eli­ten. So wie Ame­ri­ka in den 30er-Jah­ren den Nazis in Deutsch­land an die Macht ver­hol­fen habe, unter­stütz­ten die USA nun die Neo­na­zis in Kiew, ver­kün­de­te er.

Russ­land, so sag­te er wört­lich, habe „nur sein Haus ver­tei­digt“. Und das ukrai­ni­sche Volk „sei ein Gefan­ge­ner der eige­nen Regie­rung“. Geht es noch ? Die Rus­sen sind beim Ein­marsch in Cher­son mit Stei­nen und nicht mit Blu­men begrüßt wor­den. Jeden Tag stem­men sich die Ukrai­ner aufs Neue gegen die Über­macht der Rus­sen, weil sie ihre Frei­heit nicht mehr auf­ge­ben wollen.

Wenn Putin vom Krieg spricht, reiht sich Lüge an Lüge. Glaubt er inzwi­schen sei­ne Mär­chen selbst ? Der ukrai­ni­sche Prä­si­dent Wolo­dym­yr Selen­skyj sagt, dass Putin den Bezug zur Rea­li­tät ver­lo­ren habe. Unmög­lich ist das nicht.

Inter­es­sant ist, wie Putin gespro­chen hat – er war emo­tio­nal, wenn es um die Geschich­te, den Don­bass, das rus­si­sche Vater­land und den Wes­ten ging. Und er war ruhig, fast bedäch­tig, als er über die Reform der Hoch­schu­len, die Wirt­schaft und die vie­len Auf­trä­ge rede­te, die er der rus­si­schen Regie­rung fürs kom­men­de Jahr mit­ge­ge­ben hat. Nur etwa 40 Minu­ten sei­ner fast zwei­stün­di­gen Rede wid­me­te er dem Krieg. Er ver­sprach den Sol­da­ten an der Front künf­tig zwei Mal im Jahr einen län­ge­ren Hei­mat­ur­laub – das bedeu­tet, Putin rech­net damit, dass die­ser Krieg noch lan­ge dau­ert. Er kün­dig­te an, das Mili­tär bis 2025 zu moder­ni­sie­ren – das bedeu­tet, er weiß um den schlech­ten Zustand der Armee und ihrer Ausrüstung.

Aber in kei­nem Teil sei­ner Rede über­quer­te der Kreml­chef eine rote Linie. Er droh­te nicht erneut mit dem Ein­satz von Atom­waf­fen. Dafür aber leg­te Putin „New Start“ auf Eis. Es ist das letz­te ver­blie­be­ne Atom­waf­fen­kon­troll­ab­kom­men mit den USA. Es begrenzt die Zahl der stra­te­gi­schen Atom­spreng­köp­fe, die die USA und Russ­land sta­tio­nie­ren. Sei­ne Aus­set­zung ist ein letz­tes Warn­si­gnal, und es mar­kiert den Bruch mit dem Wes­ten. Auch neue Atom­tests schloss Putin nicht aus, aber nur, wenn Washing­ton zuerst wel­che vor­neh­me. Das sind kei­ne guten Aussichten.

Auch wenn an der Kriegs­be­reit­schaft des rus­si­schen Prä­si­den­ten kein Zwei­fel besteht, so ist er ein Jahr nach dem Ein­marsch in das Nach­bar­land in der Defen­si­ve. Sei­ne Appel­le an das Volk klan­gen stel­len­wei­se wie Durch­hal­te­pa­ro­len. Der Auf­ruf an die Wirt­schaft, doch bit­te im eige­nen Land zu inves­tie­ren, hör­te sich nach einer „Rus­sia First“-Politik an, zu der es der­zeit ja auch nicht wirk­lich vie­le Alter­na­ti­ven gibt.

Putin hat sich in sei­ner Rede ein Hin­ter­tür­chen offen gelas­sen. So wie beim „New Start“-Vertrag, den er nicht kün­dig­te, son­dern aus­setz­te. Für den Wes­ten heißt es, stand­haft zu blei­ben, nicht zurück­zu­wei­chen. Und die Frie­dens­in­itia­ti­ve der Chi­ne­sen ernst zu neh­men und als ech­te Chan­ce zu begrei­fen. Auch wenn Chi­na nicht der ehr­lichs­te aller Mak­ler ist, so könn­te Peking doch einer sein.

____________________

Quel­le : BER­LI­NER MORGENPOST
Ori­gi­nal-Con­tent von : BER­LI­NER MOR­GEN­POST, über­mit­telt durch news aktuell

Foto­credit : Ado­be­Stock 240834019

 

Print Friendly, PDF & Email