Was bringt das Bundesteilhabegesetz ?

Winterberg-Totallokal : Caritas-Werkstätten in NRW und Niedersachsen diskutieren auf ihrer Herbsttagung

win­ter­berg-total­lo­kal : Was bringt das neue Bun­des­teil­ha­be­ge­setz ? Prof. Dr. Chris­ti­an Bern­zen ver­gleicht es mit dem Inkraft­tre­ten des Bür­ger­li­chen Gesetz­bu­ches am 1. Janu­ar 1900 : „Was hat das damals den Ham­bur­ger Hafen­ar­bei­tern gebracht?“, fragt der Fach­an­walt für Sozi­al­recht aus Ham­burg. „Im BGB stand, dass sich nun­mehr auch Men­schen, die nicht von Adel waren, Fabri­ken kau­fen konn­ten. Die Hafen­ar­bei­ter hat­ten aber ohne­hin nicht das Geld, sich eine Fabrik zu kau­fen.“ Für die meis­ten Men­schen mit Behin­de­rung sei das Bun­des­teil­ha­be­ge­setz „nicht schlimm“. Ihre Situa­ti­on wer­de sich aber auch nicht wesent­lich ver­än­dern – so lau­tet das kur­ze und prä­gnan­te Fazit des Juristen.

Mit dem Bun­des­teil­ha­be­ge­setz beschäf­tig­te sich jetzt die Kon­fe­renz der Cari­tas-Werk­stät­ten in Nord­rhein-West­fa­len und Nie­der­sach­sen bei ihrer Herbst­ta­gung in Essen. 36 Werk­stät­ten für behin­der­te Men­schen haben sich zu die­ser Kon­fe­renz zusam­men­ge­schlos­sen, dar­un­ter auch die Werk­statt des Josefs­heims Big­ge. Im Detail betrach­tet hat das Gesetz natür­lich Aus­wir­kun­gen auf ihre Arbeit, wie Prof. Bern­zen den Teil­neh­mern der Tagung erläu­ter­te. „Um die Leis­tun­gen zur Teil­ha­be am Arbeits­le­ben so per­so­nen­zen­triert erbrin­gen zu kön­nen, wie das Gesetz es for­dert, ist ein wirk­lich funk­tio­nie­ren­des Case Manage­ment erfor­der­lich.“ Case Mana­ger pla­nen gemein­sam mit den Men­schen mit Behin­de­rung die Leis­tun­gen der Werk­statt und koor­di­nie­ren die Leistungserbringung.

Eine Her­aus­for­de­rung wird die Öff­nung des Mark­tes für so genann­te „ande­re Leis­tungs­an­bie­ter“. Das sind Anbie­ter, die kei­ne Aner­ken­nung als Werk­statt für behin­der­te Men­schen haben, die aber in Zukunft Werk­statt­leis­tun­gen erbrin­gen kön­nen. Bei den Ver­tre­tern der Cari­tas-Werk­stät­ten gab es dazu bei der Tagung in Essen ein gemisch­tes Mei­nungs­bild. Eini­ge sehen ihre Werk­stät­ten für die­sen Wett­be­werb gut auf­ge­stellt und fürch­ten poten­zi­el­le neue Kon­kur­ren­ten nicht. Ande­re befürch­ten, dass die neu­en Anbie­ter vor allem die leis­tungs­stärks­ten Men­schen mit Behin­de­rung aus den Werk­stät­ten regel­recht abwer­ben und damit ein wesent­li­ches Merk­mal der Cari­tas-Werk­stät­ten außer Kraft set­zen : die Soli­dar­ge­mein­schaft, in der Stär­ke­re und Schwä­che­re gemein­sam erfolg­reich im Sin­ne aller Betei­lig­ten arbeiten.

Eine Chan­ce für bestehen­de Werk­stät­ten sieht Prof. Bern­zen dar­in, neue Märk­te zu erschlie­ßen. Ein Bei­spiel : „In den neu­en Pas­to­ra­len Räu­men haben vie­le Kir­chen­ge­mein­den kein Pfarr­se­kre­ta­ri­at mehr. Das könn­te ein Arbeits­feld für Men­schen mit Behin­de­rung wer­den.“ Wie inno­va­tiv die Trä­ger der Werk­stät­ten dabei schon seit Jah­ren sind, beton­te Hubert Vorn­holt, Geschäfts­füh­rer des Josefs­heims Big­ge : „Vie­le Inte­gra­ti­ons­fir­men sind Bei­spie­le dafür, wie Teil­ha­be am Arbeits­le­ben mit guten Ideen unter Markt­be­din­gun­gen ver­wirk­licht wer­den kann.“

Die Kon­fe­renz der Cari­tas-Werk­stät­ten beschäf­tig­te sich auch mit den The­men Digi­ta­li­sie­rung und Per­so­nal­po­li­tik. „Die moder­ne Tech­nik eröff­net neue Märk­te und ermög­licht neue Geschäfts­mo­del­le“, beton­te Ste­fan Löwen­haupt, Geschäfts­füh­rer der Unter­neh­mens­be­ra­tung xit aus Nürn­berg, in sei­nem Vor­trag. Als Bei­spie­le nann­te er den Ver­kauf gebrauch­ter Bücher über das Inter­net als Arbeits­feld für Werk­stät­ten sowie eine Werk­statt in Ham­burg, die eine eige­ne Com­pu­ter­mar­ke auf den Markt gebracht hat. „Men­schen mit Behin­de­rung haben dabei kaum Berüh­rungs­ängs­te“, sag­te Löwen­haupt. Auch bei den Hilfs­mit­teln schrei­te die Tech­nik immer wei­ter vor­an. Implan­ta­te und so genann­te Exo-Ske­let­te, vor 20 Jah­ren nur aus Sci­ence-Fic­tion-Fil­men bekannt, sei­en inzwi­schen all­tags­taug­lich und ermög­lich­ten Men­schen mit Behin­de­rung, am Arbeits­le­ben teilzuhaben.

Einen Blick in die Zukunft der Per­so­nal­po­li­tik wag­te Prof. Dr. Rüdi­ger Piorr vom Stu­di­en­zen­trum Düs­sel­dorf. Wie wer­den Unter­neh­men zukünf­tig Fach­kräf­te gewin­nen ? Wie kön­nen sie die­se an sich bin­den und durch das Arbeits­le­ben beglei­ten ? Die­se Fra­gen stan­den im Mit­tel­punkt sei­nes Vor­trags. Die „Gene­ra­ti­on Z“, also die Men­schen, die ab ca. 1995 gebo­ren wur­den, stel­le Unter­neh­men vor beson­de­re Her­aus­for­de­run­gen, so Prof. Piorr. „Sie strebt nach Spaß im Hier und Jetzt. Typisch ist ein schnel­ler Wan­del, auch im Arbeits­le­ben.“ Arbeit­neh­mer wür­den zu „Arbeits­kraft­un­ter­neh­mern“, die ihre Arbeits­kraft ver­mark­ten und ihre Leis­tun­gen immer dort zur Ver­fü­gung stel­len, wo es ihnen am meis­ten Spaß mache. Piorr emp­fahl den Werk­stät­ten, eine „nach innen und außen wir­ken­de, glaub­wür­di­ge Arbeit­ge­ber­mar­ke“ auf­zu­bau­en : „Machen Sie deut­lich, für wel­che Wer­te sie ste­hen und war­um es erstre­bens­wert ist, bei Ihnen zu arbeiten.“

Vor­schlag für die Bild­un­ter­zei­le (Bundesteilhabegesetz_Caritas-Werkstaetten_Nov2016.jpg):
Werk­stät­ten für behin­der­te Men­schen (hier die Werk­statt des Josefs­heims Big­ge) leis­ten einen wich­ti­gen Bei­trag zur Teil­ha­be am Arbeits­le­ben. Was sich durch das neue Bun­des­teil­ha­be­ge­setz ver­än­dert, erör­ter­ten die Cari­tas-Werk­stät­ten jetzt bei ihrer Herbst­kon­fe­renz in Essen.

Foto : Mario Polzer

Quel­le : Mario Pol­zer, Josefs­heim gGmbH

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