Es ist eine absurde Debatte – In Deutschland wird über ein „Einfrieren“ des Krieges diskutiert – Angst wird vom Kreml meisterhaft geschürt

Berliner Morgenpost : Nächste Eskalation droht, ein Kommentar von Jan Jessen über den Terroranschlag in Moskau

Nach dem Ter­ror­an­schlag in Mos­kau, für den der „Isla­mi­sche Staat“ die Ver­ant­wor­tung über­nom­men hat, droht eine Inten­si­vie­rung des Angriffs­kriegs in der Ukrai­ne. Trotz einer expli­zi­ten Vor­war­nung der US-Geheim­diens­te waren die rus­si­schen Sicher­heits­be­hör­den nicht in der Lage, den Mas­sen­mord zu ver­hin­dern. Dass der rus­si­sche Prä­si­dent die Ukrai­ne bezich­tigt, in das Mas­sa­ker invol­viert zu sein, soll vom eige­nen Ver­sa­gen ablen­ken und ein här­te­res mili­tä­ri­sches Vor­ge­hen in der Ukrai­ne recht­fer­ti­gen. Mög­li­cher­wei­se steht jetzt eine neue Mobi­li­sie­rungs­wel­le bevor.

In den ver­gan­ge­nen Wochen hat das rus­si­sche Régime emp­find­li­che Schlä­ge hin­neh­men müs­sen. Die ukrai­ni­schen Angrif­fe auf die Ölin­fra­struk­tur und die Atta­cken proukrai­ni­scher rus­si­scher Frei­wil­li­gen­ver­bän­de auf grenz­na­he rus­si­sche Gemein­den haben wenig Ein­fluss auf die mili­tä­ri­sche Situa­ti­on an den Fron­ten in der Ukrai­ne. Sie sind aber ein Aus­weis der Unfä­hig­keit des rus­si­schen Mili­tärs, das eige­ne Ter­ri­to­ri­um zu schüt­zen. Mos­kau reagiert auf die­se Schmach mit einer neu­en Wel­le von Luft­an­grif­fen. Groß­städ­te wie Kiew, Odes­sa, Sapo­rischschja oder Char­kiw wer­den von Rake­ten, Droh­nen und Marsch­flug­kör­pern attackiert.

In Cher­son im Süden oder in Lyman, Kurachowe, Kup­jansk, Kra­ma­torsk, Slo­wjansk im Osten ist das Don­nern der Artil­le­rie All­tag für die Men­schen, die dort­ge­blie­ben sind. Nahe der Rui­nen­wüs­ten, die ein­mal Awdi­jiw­ka, Bach­mut und Mar­jin­ka hie­ßen, ver­su­chen die ukrai­ni­schen Ver­tei­di­ger ver­zwei­felt, rus­si­sche Durch­brü­che zu ver­hin­dern. Es man­gelt ihnen an Artil­le­rie­mu­ni­ti­on, an Ersatz­tei­len für das Kriegs­ge­rät, das die west­li­chen Part­ner gelie­fert haben.

In Deutsch­land wird über ein „Ein­frie­ren“ des Krie­ges dis­ku­tiert. Es ist eine absur­de Debat­te. Für Putin gibt es kei­nen Grund, sich auf Ver­hand­lun­gen ein­zu­las­sen. Die Rüs­tungs­pro­duk­ti­on in Russ­land ist hoch­ge­fah­ren wor­den. Die Wahl­far­ce kann der Kreml­macht­ha­ber als Zustim­mung zu sei­nem Krieg ver­kau­fen. In den USA blo­ckie­ren innen­po­li­ti­sche Rän­ke­spie­le wei­te­re Ukrai­ne-Hil­fen. Die Ergeb­nis­se des jüngs­ten EU-Gip­fels waren ernüchternd.

Nicht zu ver­ges­sen : Noch längst haben die Rus­sen nicht das ukrai­ni­sche Ter­ri­to­ri­um besetzt, das Putin 2022 völ­ker­rechts­wid­rig annek­tiert hat. Krie­ge wer­den heu­te nicht allein auf dem Schlacht­feld ent­schie­den. Fast noch wich­ti­ger als kon­kre­te mili­tä­ri­sche Erfol­ge ist die Beherr­schung des Infor­ma­ti­ons­rau­mes. Auch auf die­sem Feld ist Mos­kau erfolg­reich. Mitt­ler­wei­le leh­nen zwei Drit­tel der Deut­schen die Lie­fe­rung von Tau­rus-Marsch­flug­kör­pern aus Angst vor einer Eska­la­ti­on des Kon­flik­tes ab. Die­se Angst wird vom Kreml meis­ter­haft geschürt.

Der Bun­des­kanz­ler und die SPD las­sen sich auf die­ses Spiel ein. Dabei soll­te Deutsch­land ein Inter­es­se dar­an haben, dass die Rus­sen nicht wei­ter vor­sto­ßen. Soll­ten den rus­si­schen Streit­kräf­ten im Som­mer gro­ße Gelän­de­ge­win­ne gelin­gen oder soll­te eine Groß­stadt wie Char­kiw im Nord­os­ten erneut in die Reich­wei­te ihrer Artil­le­rie gera­ten, wer­den sich mög­li­cher­wei­se Hun­dert­tau­sen­de neue Flücht­lin­ge auf den Weg machen.

Was die Ukrai­ner jetzt brau­chen, sind kei­ne wohl­fei­len Debat­ten, son­dern ganz kon­kre­te und grö­ße­re Mili­tär­hil­fen : Sie brau­chen Artil­le­rie­mu­ni­ti­on, um die rus­si­schen Vor­stö­ße auf­zu­hal­ten, sie brau­chen Marsch­flug­kör­per, um den rus­si­schen Nach­schub zu unter­bin­den, sie brau­chen Luft­ab­wehr­sys­te­me, um ihre Städ­te zu schüt­zen. Sie brau­chen ein Euro­pa, das mit einer Stim­me spricht.

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Quel­le : BER­LI­NER MOR­GEN­POST, Redaktion
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Foto­credit : Ado­be­Stock 481899145 / Brisystem

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