Traut euch! Haltet die Sprüche aus! Werdet Papa Courage! Kommentar von Yvonne Weiß zur Väterzeit

Berliner Morgenpost: Papa Courage, ein Kommentar von Yvonne Weiß zur Väterzeit

Bevor unser ers­tes Kind zur Welt kam, recher­chier­ten mein Mann und ich die bes­ten Rat­ge­ber für jun­ge Eltern und lasen alle. Nach der Geburt habe ich kein ein­zi­ges Buch mehr zur Hand genom­men, denn schnell wur­de klar: Lek­tü­re hilft wenig, wir müs­sen machen. Hand­lung statt Buchhandlung.

Eltern­sein ist ein 100-pro­zen­ti­ger Lear­ning-by-Doing-Job, das wich­tigs­te Home­of­fice der Welt. Bist du zu Hau­se bei dei­nem Baby, wird es dir alles zei­gen, was du über die­ses zau­ber­haf­te Wesen wis­sen musst. Bist du nicht da, kann es dir nichts bei­brin­gen und du wirst nicht bes­ser. Es ist wie Rad­fah­ren ler­nen: Du musst selbst auf­stei­gen, selbst tre­ten, selbst hin­fal­len, selbst wie­der auf­ste­hen. Und irgend­wann läuft es. Des­halb brau­chen wir end­lich bun­des­weit die soge­nann­te Väter­zeit, die bezahl­te Aus­zeit von der Arbeit zur Geburt eines Kin­des. Euro­pa for­dert sie schon lan­ge im Rah­men der EU-Richt­li­nie zur bes­se­ren Ver­ein­bar­keit von Fami­lie und Beruf, doch unse­re Regie­rung küm­mert das nicht. Kei­ne poli­ti­sche Care-Arbeit zum The­ma Care-Arbeit.

Die FUN­KE Medi­en­grup­pe, zu der auch die­se Zei­tung gehört, will nicht mehr auf die Poli­tik war­ten und wird des­halb ab dem 1. April allen Part­nern und Part­ne­rin­nen von Müt­tern eine zehn­tä­gi­ge Aus­zeit ermög­li­chen. Der Son­der­ur­laub kann vom zwei­ten Eltern­teil inner­halb der ers­ten sechs Wochen nach Geburt des Kin­des genom­men wer­den. Spielt der Vater – oder der Part­ner oder die Part­ne­rin, denn der Son­der­ur­laub gilt geschlechts­neu­tral und auch bei Adop­tio­nen – von Anfang an eine Rol­le in der Pfle­ge des Nach­wuch­ses, stei­gert das die emo­tio­na­le Bin­dung und man agiert selbst­be­wusst in der neu­en Rol­le. Das ist wich­tig, weil in die­ser Pha­se die Wei­chen für die Zukunft gestellt wer­den. Wenn der eine Eltern­teil inner­halb kur­zer Zeit zum Pro­fi wird und der ande­re im Anfän­ger-Sta­di­um ver­harrt, wird die Sche­re des Kön­nens und damit der Ver­ant­wort­lich­keit immer wei­ter aus­ein­an­der­klaf­fen. Der eine ist meis­tens DIE Eine, also die Mama. Dabei kennt Care-Arbeit kein Geschlecht. Jeder kann sich küm­mern. Jeder kann es lernen.

Die Auf­lö­sung des Rol­len-Ste­reo­typs „Mama = Kids, Papa = Koh­le“ hat auch Aus­wir­kun­gen auf den Wunsch vie­ler Fir­men, mehr Frau­en in Füh­rungs­po­si­tio­nen zu brin­gen. Ist der Part­ner ein sou­ve­rä­ner Dad­dy, muss die Mut­ter nicht unbe­dingt weni­ge Stun­den arbei­ten. Ihre Kar­rie­re-Lücke ver­kürzt sich, ihre Chan­cen auf Beför­de­rung und mehr Ver­dienst steigen.

Letzt­lich trägt die Väter­zeit zur Anti­dis­kri­mi­nie­rung bei.

Stel­len wir uns mal vor, in Deutsch­land wäre es end­lich nor­mal, dass sich bei­de Eltern­tei­le gleich­mä­ßig um die Zukunft unse­res Lan­des küm­mer­ten. In Vor­stel­lungs­ge­sprä­chen däch­te kein Ent­schei­der mehr: „Talen­tiert, aber ich stel­le sie lie­ber nicht ein – die wird irgend­wann schwan­ger und ist weg.“ Oder anders­rum: Vor Gericht wird im Streit um die Kin­der häu­fig zuguns­ten der Müt­ter ent­schie­den, weil die sich angeb­lich bes­ser küm­mern. Bei­de Bei­spie­le sind toxi­sche Vorur­teile, die raus­müs­sen aus unse­ren Köpfen.

Je mehr akti­ve Väter, des­to mehr männ­li­che Rol­len­vor­bil­der – was die Betei­li­gung von Vätern an der Kin­der­be­treu­ung nor­ma­li­siert. Frau­en­för­de­rung funk­tio­niert über Män­ner, die es anders machen. Des­halb wün­sche ich mir zum Welt­frau­en­tag Män­ner, die es anders machen. Die den Mut haben, die Betreu­ung ihrer Kin­der durch­zu­set­zen. Die die Väter­zeit for­dern, Eltern­zeit neh­men oder Mit­ar­bei­ter dar­in unter­stüt­zen, in Teil­zeit zu arbei­ten, damit die Betreu­ung gleich­mä­ßi­ger ver­teilt wer­den kann. Traut euch! Hal­tet die Sprü­che aus! Wer­det Papa Courage!

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Quel­le: BER­LI­NER MOR­GEN­POST, Redaktion
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