Erschütternde Bilanz: Kein Zuhause, keine Bildung, verwundete Seelen – Kinder sind die größten Opfer des Ukraine-Krieges …

Zum 2. Jahrestag am 24.Februar ziehen die SOS-Kinderdörfer erschütternde Bilanz. Kein Zuhause, keine Bildung, verwundete Seelen – Kinder sind die größten Opfer des Ukraine-Krieges

Zwei Jah­re Krieg in der Ukrai­ne haben das Leben von zahl­rei­chen Kin­dern und Fami­li­en zer­stört. Die SOS-Kin­der­dör­fer wei­sen dar­auf hin, dass sich die Situa­ti­on abseh­bar noch wei­ter ver­schlech­tern wird. Nach Schät­zun­gen wer­den 2024 14,6 Mil­lio­nen Ukrai­ner – 40 Pro­zent der Bevöl­ke­rung – auf huma­ni­tä­re Hil­fe ange­wie­sen sein. Dar­un­ter 4,1 Mil­lio­nen Kin­der. Zum Jah­res­tag des voll­um­fäng­li­chen Krie­ges Russ­lands gegen die Ukrai­ne am 24.Februar zie­hen die SOS-Kin­der­dör­fer erschüt­tern­de Bilanz.

Ver­las­se­ne Kin­der – am meis­ten gefährdet

Kin­der ohne elter­li­che Für­sor­ge gehö­ren zu den am meis­ten gefähr­de­ten Bevöl­ke­rungs­grup­pen in bewaff­ne­ten Kon­flik­ten. Sie sind einem hohen Risi­ko von Gewalt, Ver­nach­läs­si­gung oder Men­schen­han­del aus­ge­setzt. Laut dem ukrai­ni­schen Ombuds­mann Dmy­t­ro Lubi­nets haben bis Sep­tem­ber letz­ten Jah­res 10.153 Kin­der min­des­tens ein Eltern­teil ver­lo­ren, 1.610 von ihnen haben nie­man­den mehr, der sich um sie küm­mert. Zahl­rei­che wei­te­re Fami­li­en dro­hen an den schlim­men Kriegs­er­leb­nis­sen und der Belas­tung zu zer­bre­chen. Ser­hii Lukas­hov, Lei­ter der SOS-Kin­der­dör­fer in der Ukrai­ne, sagt: „Wir set­zen uns dafür ein, Fami­li­en zusam­men­zu­hal­ten, unter ande­rem durch psy­chi­sche und päd­ago­gi­sche und wirt­schaft­li­che Hil­fe. Seit Beginn des Krie­ges haben wir mehr als 400.000 Men­schen unter­stützt. Kin­der, die ihre Fami­lie ver­lo­ren haben, ver­su­chen wir, in Pfle­ge­fa­mi­li­en unterzubringen.“

Ver­letzt und getö­tet – zivi­le Opfer

Luft­an­grif­fe und Bom­ben auf bewohn­te Gebie­te haben nicht nur Häu­ser und Infra­struk­tur zer­stört, son­dern auch zu Tod und Ver­let­zun­gen unter Kin­dern und Erwach­se­nen geführt. „Es gibt kei­nen siche­ren Ort mehr für Kin­der. Fast jeden Tag kommt es zu Opfern“, sagt Lukas­hov. Schät­zun­gen zufol­ge sind in den zwei Kriegs­jah­ren 10.191 Zivi­lis­ten getö­tet wor­den, dar­un­ter 572 Kin­der. 19.139 Zivi­lis­ten wur­den ver­letzt, 1.249 von ihnen Kin­der. Die tat­säch­li­che Zahl dürf­te erheb­lich höher lie­gen. Als eine von weni­gen Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen unter­stüt­zen die SOS-Kin­der­dör­fer ver­letz­te Kin­der und ihre Fami­li­en lang­fris­tig. Seit Aus­bruch des Krie­ges haben sie 1.166 Kin­der und Ange­hö­ri­ge unter­stützt. Lukas­hov sagt: „Wir orga­ni­sie­ren für die Kin­der ortho­pä­di­sche, neu­ro­lo­gi­sche und ganz­heit­li­che Reha­bi­li­ta­ti­on, unter­stüt­zen psy­cho­lo­gisch und bei der Beschaf­fung von Medi­ka­men­ten, Eltern bekom­men auch juris­ti­sche Beratung.“

Ver­trei­bung und Flucht

Aktu­ell sind 3.7 Mil­lio­nen Ukrai­ner im eige­nen Land auf der Flucht, dar­un­ter 1 Mil­li­on Kin­der (27 Pro­zent). Fast 6 Mil­lio­nen Ukrai­ner sind ins Aus­land geflo­hen, davon 40 Pro­zent Kin­der (2,4 Mio) Kin­der auf der Flucht wer­den viel­fach ihrer Rech­te beraubt: dem Recht auf Schutz und Sicher­heit, auf Bil­dung, Gesund­heits­ver­sor­gung, Spiel. Die SOS-Kin­der­dör­fer haben unmit­tel­bar nach Aus­bruch des Krie­ges begon­nen, Kin­der und Fami­li­en aus den umkämpf­ten Gebie­ten zu eva­ku­ie­ren. Sie unter­stüt­zen die Geflüch­te­ten auch an den Ankunfts­or­ten – inner­halb der Ukrai­ne und in zahl­rei­chen euro­päi­schen Staaten.

Psy­chi­sche Gesund­heit schwer beschädigt

„Das Ver­mächt­nis die­ses Krie­ges ist eine trau­ma­ti­sier­te Gene­ra­ti­on“, sagt Lukas­hov. Der Ver­lust von Ange­hö­ri­gen, die Ver­trei­bung aus dem eige­nen Zuhau­se, Gewalt, Zer­stö­rung, Angst und Per­spek­tiv­lo­sig­keit – all dies hat schwe­re Aus­wir­kun­gen auf die psy­chi­sche Gesund­heit der Men­schen. Zahl­rei­che Kin­der haben Trau­ma­ta davon­ge­tra­gen, ins­be­son­de­re in den Gebie­ten nahe der Front­li­nie. Ver­hal­tens­auf­fäl­lig­kei­ten, Ent­wick­lungs­ver­zö­ge­run­gen sowie Panik- und Wut­zu­stän­de gehö­ren zu den Fol­gen. Bleibt ein Trau­ma unbe­han­delt, kann es zu lebens­lan­gen schwer­wie­gen­den Beein­träch­ti­gun­gen füh­ren. Auch Eltern sind psy­chisch schwer belas­tet. Aktu­ell zeigt jeder vier­te Ukrai­ner Anzei­chen einer Depres­si­on. In der Arbeit der SOS-Kin­der­dör­fer hat die psy­cho­so­zia­le Hil­fe des­halb hohe Prio­ri­tät. Die Exper­ten der Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on unter­stüt­zen Kin­der und Fami­li­en im gan­zen Land und errei­chen mit mobi­len psy­cho­lo­gi­schen Kli­ni­ken auch Men­schen in Brennpunkten.

Kei­ne Chan­ce auf Bildung

Der anhal­ten­de Krieg hat auch schwe­re Aus­wir­kun­gen auf das Bil­dungs­sys­tem. 363 Kin­der­gär­ten und Schu­len sind seit Febru­ar 2022 zer­stört und 2.246 beschä­digt wor­den. Kin­der auf der Flucht haben oft kei­ne Chan­ce, zur Schu­le zu gehen, trau­ma­ti­sche Erleb­nis­se füh­ren viel­fach zu Lern­blo­cka­den und sozia­ler Iso­la­ti­on. Eine Umfra­ge der Orga­ni­sa­ti­on „GoGlo­bal“ ergab, dass 54 Pro­zent der Leh­rer unter Burn­out lei­den und 75 Pro­zent aller Schü­ler Anzei­chen von Stress zei­gen. Ser­hii Lukas­hov sagt: „Der Krieg dik­tiert die Bil­dungs­si­tua­ti­on der Kin­der aufs Bru­tals­te: Luft­alarm, Angrif­fe und Strom­aus­fäl­le gehö­ren zu ihrem All­tag. Sie füh­ren zu erzwun­ge­nen Unter­richts­pau­sen, einem Absin­ken des Bil­dungs­stan­dards und zur Ver­stär­kung der Ungleich­heit. Zahl­rei­che Schü­ler bre­chen ihre Bil­dung kom­plett ab.“ Die Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on unter­stützt mit Zusatz­un­ter­richt und Aus­stat­tung für den Online-Unter­richt. In der Regi­on Charkiv hat sie eine Schu­le im Unter­grund errichtet.

Ent­führ­te Kin­der: rus­si­sche Päs­se und Brainwashing

Min­des­tens 19.000 ukrai­ni­sche Kin­der sind nach Russ­land depor­tiert wor­den. „Dies ist ein Kriegs­ver­bre­chen. Es muss alles getan wer­den, sie wie­der zurück­zu­ho­len“, sagt Lukas­hov. Ein höchst kom­ple­xes Unter­fan­gen. Ins­ge­samt sei­en bis­lang ledig­lich 385 depor­tier­te Kin­der in die Ukrai­ne zurück­ge­führt wor­den, davon 84 durch die SOS-Kin­der­dör­fer und ihre Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen. In Russ­land wür­den die Kin­der in Hei­men, Kran­ken­häu­sern oder Pfle­ge­fa­mi­li­en unter­ge­bracht und nach kur­zer Zeit einen rus­si­schen Pass bekom­men. Vie­le berich­ten von Brain­wa­shing. Lukas­hov ist sich sicher, dass das Schick­sal der Kin­der die nächs­te Gene­ra­ti­on beschäf­ti­gen wird. Er sagt: „Wenn der Krieg vor­bei ist, wer­den wir uns auf die Suche nach ihnen bege­ben. Ob sie dann noch zurück­wol­len, ist ihre Ent­schei­dung. Aber sie haben ein Recht darauf!“

Quel­le: Anne Beck, Pres­se­spre­che­rin SOS-Kin­der­dör­fer weltweit
Ori­gi­nal-Con­tent von: SOS-Kin­der­dör­fer welt­weit Her­mann-Gmei­ner-Fonds Deutsch­land e.V., über­mit­telt durch news aktuell

Foto­credit: Ado­be­Stock 633497874 / Brisystem

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