Polen die Hand reichen – Kommentar von Christian Kerl
Die Polen haben lange warten müssen auf ihre neue Regierung. Acht Wochen lang hat sich die rechtsnationale PiS-Partei mit allen Tricks an die Macht geklammert. Jetzt ist das lächerliche Schauspiel endlich vorbei: Das Parlament hat den liberalkonservativen Donald Tusk als neuen Premier bestätigt. Sein Kabinett steht in den Startlöchern. Polen kann aufatmen – und Europa auch.
Der Machtwechsel ist ein Sieg für die Demokratie: Der Abbau des Rechtsstaats in Polen, die Einschränkung der Medienfreiheit, die Diskriminierung von Minderheiten sind gestoppt. Der europafeindliche Blockadekurs in der EU ist vorbei.
Tusk steht für eine umfassende Neuausrichtung der polnischen Innen- und Europapolitik. Auf dem Weg lauern zwar viele Hindernisse. Präsident Duda wird sicher bald auf die Veto-Bremse treten, um den Kurswechsel auszubremsen.
Das Land ist gespalten, die PiS hat ihre Getreuen an vielen Stellen des Staatsapparates installiert. Aber wenn der Premier die Rechtsstreitigkeiten mit der EU zügig abräumt und das Verhältnis zur Ukraine kittet, könnte er Polen endlich zu jenem größeren Einfluss in Europa verhelfen, der seiner Größe und Wirtschaftskraft entspricht.
Damit sich das deutsch-polnische Verhältnis entspannt, wird der Premier indes auch die irrwitzigen Reparationsforderungen zurücknehmen müssen – was Berlin nicht von der Pflicht befreit, die moralische Verantwortung Deutschlands für die Weltkriegsverbrechen in Polen zu bekräftigen.
Die Bundesregierung muss zügig ihre Zurückhaltung aufgeben und aktiv werden: Kanzler Olaf Scholz sollte dem Nachbarn im Osten schnell die Hand reichen für einen Neustart der Beziehungen.
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Quelle: BERLINER MORGENPOST
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