Auf der richtigen Seite – Leitartikel von Thorsten Knuf zu Scholz‘ Israel-Besuch

Berliner Morgenpost : Auf der richtigen Seite – Leitartikel von Thorsten Knuf zu Scholz‘ Israel-Besuch

Es gibt vie­les, was man an Kanz­ler Olaf Scholz kri­ti­sie­ren kann. Sein Selbst­bewusstsein ist deut­lich stär­ker aus­ge­prägt als sei­ne Fähig­keit zur Kom­mu­ni­ka­ti­on. Scholz führt eher von hin­ten als von vorn, was zum schwa­chen Erschei­nungs­bild sei­ner Ampel­ko­ali­ti­on bei­trägt. Und er wägt die Din­ge häu­fig so lan­ge ab, bis der Ein­druck ent­steht, dass er sich vor har­ten Ent­schei­dun­gen drü­cken will. Eines muss man dem SPD-Poli­ti­ker aller­dings las­sen : Scholz ist so klug, ein­mal began­ge­ne Feh­ler nicht zu wie­der­ho­len. Am Mitt­woch ist der Kanz­ler zu einem Soli­da­ri­täts­be­such nach Isra­el gereist. Das Land steht nach dem Über­fall der Hamas-Ter­ro­ris­ten unter Schock, mit einer Boden­of­fen­si­ve der Streit­kräf­te im Gaza­strei­fen ist bin­nen kür­zes­ter Zeit zu rech­nen. Dort spielt sich bereits jetzt eine huma­ni­tä­re Kata­stro­phe ab.

Scholz ist der ers­te aus­län­di­sche Staats­len­ker, der Isra­el nach den Atta­cken besucht. US-Prä­si­dent Joe Biden wird erst am Mitt­woch erwar­tet. Der Kanz­ler scheint erkannt zu haben, dass er jetzt Prä­senz und Füh­rungs­stär­ke zei­gen muss. Als Russ­land vor andert­halb Jah­ren die Ukrai­ne über­fiel, erhielt Scholz im Bun­des­tag zwar Stan­ding Ova­tions für sei­ne „Zeitenwende“-Rede. Danach war in Ber­lin aber erst mal das klei­ne Karo Trumpf : Waf­fen­lie­fe­run­gen kamen nur lang­sam in Gang. Als der ukrai­ni­sche Prä­si­dent Wolo­dym­yr Selen­skyj per Video zum Bun­des­tag sprach, schwieg der Kanz­ler. Und bis er Kiew einen Besuch abstat­te­te, ver­gin­gen Monate.

Isra­el erlebt in die­sen Tagen eine his­to­ri­sche Zäsur. Noch nie seit dem Holo­caust, den Deutsch­land zu ver­ant­wor­ten hat, sind auf einen Schlag so vie­le Juden ermor­det wor­den wie beim jüngs­ten Über­fall der Hamas – näm­lich mehr als 1300. Die Erkennt­nis, dass die eige­nen Sicher­heits­kräf­te zunächst ver­sagt haben, rüt­telt in Isra­el an den Grund­fes­ten von Staat und Gesell­schaft. Der Staat wur­de 1948 nach der Erfah­rung der Shoa gegrün­det, um einen Ort zu schaf­fen, an dem Juden in Sicher­heit und Frei­heit leben kön­nen. Nach dem Hamas-Ter­ror holt Isra­el jetzt zum Gegen­schlag aus, allein durch die bis­he­ri­gen Bom­bar­de­ments des Gaza­strei­fens gab es bereits mehr als 2800 Tote.

Das ist die Situa­ti­on, in der Scholz dem jüdi­schen Staat sei­nen Besuch abstat­tet. Er hat sich gemein­sam mit den Ampel­parteien, der Uni­on und den west­li­chen Ver­bün­de­ten ohne Wenn und Aber auf die Sei­te Isra­els gestellt und betont, dass das Land jedes Recht zur Selbst­ver­tei­di­gung habe. Deutsch­land unter­stützt die Israe­lis dabei auch aktiv, etwa durch die Über­las­sung von Kriegs­ge­rät. Zugleich gibt es diplo­ma­ti­sche Bemü­hun­gen, um den Kon­flikt einzuhegen.

Seit Ange­la Mer­kels berühm­ter Rede vor der Knes­set im Jahr 2008 gilt das Dik­tum, dass die Sicher­heit Isra­els Teil der deut­schen Staats­rä­son sei. Scholz sieht das auch so. Er ist offen­kun­dig zu dem Ergeb­nis gekom­men, dass jetzt der Augen­blick ist, um Wor­ten Taten fol­gen zu las­sen. Der Kanz­ler kann bei sei­nen Gesprä­chen in Isra­el an die Staats­füh­rung appel­lie­ren, die huma­ni­tä­re Lage im Gaza­strei­fen nicht aus dem Blick zu ver­lie­ren. An der grund­le­gen­den Par­tei­nah­me für Isra­el ändert das nichts. In die­sem Kon­flikt gibt es eine ein­zi­ge Nati­on, hin­ter der sich die Deut­schen poli­tisch ver­ste­cken könn­ten. Das sind die USA, die Schutz­macht Isra­els. Danach steht gleich Deutsch­land in der Ver­ant­wor­tung. Nie­mand wür­de der Bun­des­re­pu­blik in die­ser Lage ein Zau­dern ver­zei­hen. Die Israe­lis nicht, die Ver­bün­de­ten nicht und die Geschich­te erst recht nicht.

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Quel­le : BER­LI­NER MORGENPOST
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Foto­credit : Ado­be­Stock 248671133 / Brisystem

 

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