Know-how-Mangel hemmt die Wärmewende – Wer auf eigene Faust handelt, zahlt mehr …

Know-how-Mangel hemmt die Wärmewende

Damit der Ein­bau alter­na­ti­ver Heiz­sys­te­me im Bestand an drin­gend not­wen­di­gem Tem­po gewinnt, brau­chen wir neben kla­rer poli­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen und För­de­run­gen einen mas­si­ven Know-how-Aus­bau in der Bran­che, erklärt Prof. Dr.-Ing. Micha­el Bau­er, Part­ner beim auf Bau und Immo­bi­li­en spe­zia­li­sier­ten Bera­tungs­un­ter­neh­men Drees & Som­mer SE. Dort ver­ant­wor­tet er ins­be­son­de­re den Bereich nach­hal­ti­ge Ener­gie­kon­zep­te. Beglei­tet hat er bei­spiels­wei­se das kli­ma­po­si­ti­ve Rat­haus in Frei­burg, die expe­ri­men­ta Heil­bronn, die Neue Mes­se Stutt­gart und die Ent­wick­lung A‑Plus des Flug­ha­fens Frank­furt. Micha­el Bau­er absol­vier­te sein Stu­di­um mit Schwer­punkt ener­gie­spa­ren­de Gebäu­de­tech­nik an der Uni­ver­si­tät Stutt­gart, an der er auch über die Simu­la­ti­on von ener­gie­spa­ren­den Heiz­an­la­gen promovierte.

Know-how-Man­gel hemmt die Wärmewende

(von Prof. Dr.-Ing. Micha­el Bau­er, Part­ner der Drees & Som­mer SE)

Deutsch­land kommt in Sachen Wär­me­pum­pen-Ein­bau deut­lich lang­sa­mer vor­an als sei­ne euro­päi­schen Nach­barn und belegt im EU-Ver­gleich der­zeit noch den vor­letz­ten Platz. Der Grund : Wäh­rend Län­der wie Däne­mark oder Schwe­den bereits vor Jah­ren anfin­gen, sich mit kli­ma­freund­li­chen Hei­zungs­tech­no­lo­gien zu beschäf­tig­ten und fos­si­le Hei­zun­gen zu ver­bie­ten, setzt man hier­zu­lan­de bis heu­te auf Frei­wil­lig­keit bei der Wahl der Wär­me­er­zeu­gung. Dem­entspre­chend man­gelt es jetzt an Wis­sen und Erfah­rungs­wer­ten, wie die seit­her fos­sil betrie­be­nen Bestands­hei­zun­gen zukünf­tig mög­lichst wirt­schaft­lich mit Wär­me­pum­pen beheizt wer­den kön­nen. Genau die­sen Ent­wick­lung- und Know-how-Vor­sprung gilt es nun auf­zu­ho­len, damit die Wär­me­trans­for­ma­ti­on noch recht­zei­tig gelingt.

Wer auf eige­ne Faust han­delt, zahlt mehr

Um das zu schaf­fen, brau­chen wir zum einen deut­lich mehr Exper­ti­se dar­über, wie im Bestand am sinn­volls­ten Wär­me­pum­pen­sys­te­me ein­zu­bin­den sind. Zum ande­ren muss die­ses Wis­sen den Pla­nern, den Ener­gie­be­ra­tern und den aus­füh­ren­den Fir­men zugäng­lich gemacht wer­den. Der­zeit wer­den Ent­schei­dun­gen, ob und wann eine Wär­me­pum­pe sinn­voll und wirt­schaft­lich ist, von vie­len noch auf­ge­scho­ben oder auf eige­ne Faust und ohne eine ordent­li­che Ana­ly­se des Bestan­des sowie eine aus­ge­wie­se­ne Exper­ten­mei­nung getrof­fen. Das Ergeb­nis ist oft eine inef­fi­zi­en­te Lösung, die sich bei genaue­rer Betrach­tung als unwirt­schaft­lich herausstellt.

Dabei feh­len nicht nur bei gro­ßen Immo­bi­li­en, son­dern auch bei Ein- und Mehr­fa­mi­li­en­häu­sern fun­dier­te Fach­kennt­nis­se dar­über, wie eine rich­ti­ge und effi­zi­en­te Hei­zungs­lö­sung mit Wär­me­pum­pen, einer sinn­vol­len und wirt­schaft­li­chen Wär­me­quel­le, ggf. einem Spei­cher und kom­bi­niert mit Pho­to­vol­ta­ik oder nur mit grü­nem Strom, für den Bestand aus­se­hen kann. Ist eine Bestands­hei­zung defekt und soll­te aus­ge­tauscht wer­den, gibt es vie­le Fra­ge­stel­lun­gen, die heu­te nur bedingt fach­kun­dig beant­wor­tet wer­den kön­nen. Wie ist die aktu­el­le Betriebs­wei­se der Bestands­hei­zung ? Wel­che sinn­vol­len und wirt­schaft­li­chen Wär­me­quel­len ste­hen für die Wär­me­pum­pen im Bestand zur Ver­fü­gung ? Wie tief kön­nen die Betriebs­tem­pe­ra­tu­ren abge­senkt wer­den, damit die Wär­me­pum­pe wirt­schaft­lich betrie­ben wer­den kann und es trotz­dem noch warm wird ? Kann das vor­han­de­ne Hei­zungs­ver­teil­netz auch bei nied­ri­ge­ren Tem­pe­ra­tu­ren genutzt wer­den ? Macht es Sinn, die Heiz­kör­per zu tau­schen, damit es mit nied­ri­ge­ren Heiz­tem­pe­ra­tu­ren geheizt wer­den kann ? Kann man mit zusätz­li­cher Pho­to­vol­ta­ik auf dem Dach die Wirt­schaft­lich­keit verbessern ?

Oft­mals feh­len die Exper­ten­ant­wor­ten zu die­sen Fra­gen, auch weil die meis­ten Immo­bi­li­en­be­sit­zer für eine fach­män­ni­sche Ana­ly­se des Bestands nicht zusätz­lich Geld aus­ge­ben wol­len. Ohne eine detail­lier­te Ana­ly­se des Bestands sind die­se Fra­gen der­zeit jedoch nicht fach­kun­dig zu beant­wor­ten. Für eine effi­zi­en­te und damit wirt­schaft­li­che Umge­stal­tung der Heiz­an­la­ge im Bestand sind die rich­ti­gen Ant­wor­ten aber essenziell.

Wär­me­pum­pe im Bestand – Hebel oder Hindernis ?

Das Gute ist : Die ein­zel­nen not­wen­di­gen tech­ni­schen Kom­po­nen­ten und Tools sind bereits vor­han­den und es lie­gen auch Betriebs­er­fah­run­gen vor. Im Neu­bau­be­reich gehö­ren Wär­me­pum­pen fast schon zum Stan­dard bei der Aus­wahl der Hei­zungs­tech­nik. Anders sieht die Lage jedoch im Bestand aus : Hier feh­len noch aus­rei­chen­de Aus­le­gungs- und Betriebs­er­fah­run­gen zu sinn­vol­len und wirt­schaft­li­chen Sys­tem­lö­sun­gen je nach Bestandssituation.

Die größ­te Her­aus­for­de­rung für die Alt­bau­ten ins­be­son­de­re im Woh­nungs­be­reich, besteht dar­in, für jede Bestands­si­tua­ti­on die pas­sen­de wirt­schaft­li­che Lösung für die grü­ne Wär­me­wen­de zu entwickeln.

Dafür gilt es zunächst im lau­fen­den Betrieb die Betriebs­tem­pe­ra­tu­ren zu mes­sen, um ana­ly­sie­ren zu kön­nen, wie tief die­se abge­senkt wer­den könn­ten, ohne dass es in den Räu­men zu kalt wird. Je nach Ergeb­nis ist dann zu prü­fen, ob die erreich­ba­re Betriebs­tem­pe­ra­tur für einen Wär­me­pum­pen­be­trieb wirt­schaft­lich mach­bar ist. Ist das nicht der Fall, kann ver­sucht wer­den, durch eine bes­se­re Wär­me­däm­mung der Gebäu­de­hül­le, bes­ser wär­me­ge­dämm­te Fens­ter, grö­ße­re Heiz­kör­per oder eine Kom­bi­na­ti­on die­ser Maß­nah­men die Betriebs­tem­pe­ra­tur noch wei­ter abzu­sen­ken und zu schau­en, was davon noch in einem wirt­schaft­li­chen Bereich liegt.

Des Wei­te­ren ist zu prü­fen, wel­che Wär­me­quel­len wirt­schaft­lich erschlos­sen wer­den könn­ten : Geo­ther­mie, Außen­luft, PVT-Kol­lek­to­ren oder Erd­reich­kol­lek­tor ? Im Anschluss dar­an gilt es zu errech­nen, wel­ches Spei­cher­sys­tem für den effek­tivs­ten Wär­me­pum­pen­be­trieb sorgt oder die Zwi­schen­spei­che­rung der Wär­me­quel­le unter­stützt ? Es wird klar, dass eine der­ar­ti­ge indi­vi­du­el­le Ana­ly­se und Kon­zept­ent­wick­lung für jedes ein­zel­ne Bestands­ge­bäu­de zu auf­wen­dig ist und spe­zi­ell im Ein­fa­mi­li­en- und Mehr­fa­mi­li­en­haus­be­reich sicher­lich zu kost­spie­lig. Daher benö­ti­gen wir so schnell wie mög­lich stan­dar­di­sier­te Vor­ge­hens­wei­sen und für den Bestand ent­wi­ckel­te stan­dar­di­sier­te Lösun­gen für ähn­li­che Gebäu­de, z. B. geclus­tert nach Bau­al­ters­klas­sen oder nach Ener­gie­ef­fi­zi­enz­klas­sen in Kom­bi­na­ti­on mit den typi­schen Bestands-Heiz­sys­te­men der jewei­li­gen Zeit.

Die Stan­dards wür­den auf­zei­gen, bei wel­chen Bestands­ge­bäu­den und Bestands­heiz­sys­te­men erfah­rungs­ge­mäß die Vor­lauf­tem­pe­ra­tur durch unge­naue Heiz­last-Berech­nun­gen der dama­li­gen Zeit und die meis­tens über­di­men­sio­nier­ten Heiz­kör­per abge­senkt wer­den könn­ten. Wel­che Wär­me­quel­le zu wel­cher Wirt­schaft­lich­keit füh­ren wird und wie groß ein Wär­me­spei­cher übli­cher­wei­se sein soll­te, um eine gewis­se Fle­xi­bi­li­tät beim Betrieb der Wär­me­pum­pe zu errei­chen. Nur durch eine Art Stan­dard­ka­ta­log mit drei bis vier Vari­an­ten mit Emp­feh­lungs­cha­rak­ter in Abhän­gig­keit der gän­gi­gen Gebäu­de je nach Bau­al­ters­klas­se oder Ener­gie­ef­fi­zi­enz­klas­se kann ver­mie­den wer­den, dass jeder Markt­teil­neh­mer ver­sucht‘ das Rad neu zu erfin­den. Und nur so wird man die not­wen­di­ge Geschwin­dig­keit in der Trans­for­ma­ti­on des Bestan­des erreichen.

Gleich­zei­tig wäre es falsch, die Wär­me­pum­pe als eine Non-Plus-Ultra-Lösung zu betrach­ten, da ihre Wirt­schaft­lich­keit im Bestand wie beschrie­ben von sehr vie­len Rand­be­din­gun­gen abhängt.

Daher ist es sinn­voll, in der Gesamt­be­trach­tung auch Alter­na­ti­ven wie Anschluss­mög­lich­kei­ten an rege­ne­ra­tiv betrie­be­ne Nah­wär­me- und Fern­wär­me­sys­te­me zu prü­fen und zu bewer­ten. Die kom­mu­na­le Wär­me­pla­nung ist daher der rich­ti­ge Schritt und soll­te mit höchs­ter Prio­ri­tät nach vor­ne getrie­ben wer­den. Wenn jedoch kein Anschluss an Fern­wär­me- oder Nah­wär­me­net­ze mit wesent­li­cher rege­ne­ra­ti­ver Ener­gie­er­zeu­gung mög­lich ist, ist die Wär­me­pum­pe mit wirt­schaft­li­chen und effek­ti­ven Wär­me­quel­len und mög­lichst nied­ri­gen Betriebs­tem­pe­ra­tu­ren die sinn­volls­te und zukunfts­fä­higs­te Lösung. Die teil­wei­se auch poli­tisch geschür­ten Erwar­tun­gen, dass in den nächs­ten 10 bis 15 Jah­ren Was­ser­stoff in der Men­ge und zu den Kon­di­tio­nen zur Ver­fü­gung ste­hen wird, sodass man ihn zum Hei­zen von Gebäu­den ver­wen­den kann, ist bei allei­ni­ger Betrach­tung der Effi­zi­enz­ket­ten von der Elek­tro­ly­se über den Trans­port des Was­ser­stoffs mit Spei­che­rung bis hin zu des­sen Ver­bren­nung eher unrealistisch.

Wert­ver­lust der Immo­bi­li­en vermeiden

Egal aus wel­chem Blick­win­kel man die Zukunft betrach­tet : Die Wär­me­trans­for­ma­ti­on in den nächs­ten 10 Jah­ren wird ohne Erd­gas und Öl statt­fin­den. Sie wird schwer­punkt­mä­ßig über grü­nen Strom in Kom­bi­na­ti­on mit Wär­me­pum­pen mit unter­schied­li­chen Wär­me­quel­len wie Außen­luft, Geo­ther­mie, PVT-Kol­lek­to­ren, Abwas­ser­wär­me­tau­scher, Erd­kol­lek­to­ren oder ande­ren Abwär­me­quel­len sowie über kom­mu­na­le oder kom­mer­zi­el­le rege­ne­ra­ti­ve Nah- und Fern­wär­me­net­ze stattfinden.

Statt abzu­war­ten, ob und wann die poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen wie das geplan­te Ver­bot her­kömm­li­cher Gas­hei­zun­gen in Kraft tre­ten, soll­ten Immo­bi­li­en­ei­gen­tü­mer und Bestands­hal­ter, deren Bestands­heiz­sys­te­me bald das Ende ihrer übli­chen Lebens­dau­er errei­chen wer­den, jetzt schon prü­fen las­sen, wel­che rege­ne­ra­ti­ven Ener­gie­sys­te­me bei ihren Immo­bi­li­en und Lie­gen­schaf­ten zur Ver­fü­gung ste­hen. Wel­che Umbau­ten not­wen­dig oder mög­lich sind, um ihre Wär­me­ver­sor­gung zu dekar­bo­ni­sie­ren ? Und wie – meis­tens unter lau­fen­dem Betrieb – Stück für Stück der Bestand umge­baut wer­den kann, um mög­lichst wirt­schaft­lich kli­ma­neu­tral zu wer­den ? Durch den Green Deal, die ESG-Regu­lie­rung und die EU-Taxo­no­mie wer­den ihre Immo­bi­li­en oder Lie­gen­schaf­ten sonst irgend­wann einen Wert­ver­lust erfah­ren oder gar nicht mehr ver­äu­ßer­bar sein. Im gewerb­li­chen Bereich spricht man heu­te bereits von soge­nann­ten „stran­ded assets“. Auch bei geplan­ten und bereits lau­fen­den Neu­bau­pro­jek­ten oder Bestands­sa­nie­run­gen gilt es zu prü­fen, ob die Pla­nung noch so ange­passt wer­den kann, dass sie wirt­schaft­lich bleibt und den neu­en Rah­men­be­din­gun­gen ent­spricht. Für die­se Auf­ga­ben und Fra­ge­stel­lun­gen lohnt es sich, pro­fes­sio­nel­le Energieberater:innen ins Boot zu holen, die eine Road­map für wirt­schaft­li­che Wege in eine kli­ma­neu­tra­le Zukunft für die Immo­bi­li­en erstel­len und Bau­her­ren, Pro­jekt­ent­wick­lern und Immo­bi­li­en­be­sit­zern fun­dier­te Hand­lungs­emp­feh­lun­gen an die Hand geben.

Ob wir die Ziel­mar­ke von sechs Mil­lio­nen Wär­me­pum­pen bis 2030 errei­chen, bleibt abzu­war­ten. Fest steht jedoch : Die Dring­lich­keit einer Trans­for­ma­ti­on der Wär­me­ver­sor­gung kann nie­mand mehr leug­nen. Klar ist zudem, die Zukunft der Kli­ma­tech­nik wird strom­be­trie­ben und nicht gas­be­trie­ben sein. Die Wär­me­pum­pe als effi­zi­en­te Lösung für eine kli­ma­scho­nen­de Hei­zung wird einen wesent­li­chen Bei­trag leisten.

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Quel­le : Drees & Som­mer SE, madina.​kriegel@​dreso.​com
Ori­gi­nal-Con­tent von : Drees & Som­mer SE, über­mit­telt durch news aktuell

Bild­un­ter­schrift : Sechs Mil­lio­nen ver­bau­te Wär­me­pum­pen und damit mehr als das Vier­fa­che des jet­zi­gen Bestands – das will die Bun­des­re­gie­rung bis 2030 schaf­fen. Noch fehlt dafür das Know-How in der Branche.

Bildrechte:©Drees & Som­mer SE
Foto­graf:© Hiro­shi Watana­be – Gettyimages

 

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