Neue Männlichkeit wagen – Umfrage zur Gewaltbereitschaft unter jungen Männern sollte wachrütteln

Leitartikel von Christian Unger : Neue Männlichkeit wagen / Umfrage zur Gewaltbereitschaft unter jungen Männern sollte wachrütteln

Wir erle­ben in die­ser Zeit, dass Gewiss­hei­ten ins Wan­ken gera­ten. Der Glau­be an ein Euro­pa im ewi­gen Frie­den, nach den Grau­en der Welt­krie­ge. Doch nun bricht Krieg aus im Osten des Kon­ti­nents. Lan­ge bestand die Zuver­sicht, dass die wach­sen­de Wirt­schaft uns vor allem Wohl­stand beschert. Doch Armut und Kli­ma­zer­stö­rung wuch­sen mit dem Kapi­tal. Und lan­ge Zeit glaub­ten vie­le, dass unse­re Gesell­schaft immer libe­ra­ler würde.

Doch auch das trügt. Par­tei­en in Euro­pa gewin­nen an Zuspruch mit stramm natio­na­len Paro­len, sie set­zen auf Pola­ri­sie­rung und auf klas­si­sche Rol­len­bil­der : Die Frau macht Fami­lie, der Mann Kar­rie­re. Der Glau­be an den ewi­gen Fort­schritt – er bekommt Ris­se. Das sehen wir im Gro­ßen : in der Wirt­schaft, im Krieg, beim Kli­ma. Wir erle­ben es aber auch im Klei­nen, zu Hau­se. In den Part­ner­schaf­ten. Eine reprä­sen­ta­ti­ve Umfra­ge von Plan Inter­na­tio­nal hat knapp 1000 jun­ge Män­ner und 1000 jun­ge Frau­en zwi­schen 18 und 35 Jah­ren zu ihrem Blick auf Männ­lich­keit befragt. Zwei Aus­sa­gen ver­stö­ren beson­ders : Ein Drit­tel der Män­ner gibt an, dass sie „gegen­über Frau­en schon mal hand­greif­lich wer­den, um ihnen Respekt ein­zu­flö­ßen“. Jeder Drit­te fin­det es zudem „okay“, wenn in einem Streit mit der Part­ne­rin „gele­gent­lich die Hand ausrutscht“.

Eini­ge wer­den jetzt womög­lich den­ken : Das gibt es doch nicht?! Deutsch­land im Jahr 2023 fühlt sich auf­ge­klärt, sen­si­bel für den Kampf gegen Gewalt, Regie­run­gen wer­ben in Kam­pa­gnen für „Acht­sam­keit“. Doch das Land erlebt eine Re-Tra­di­tio­na­li­sie­rung. Und hin­ter vie­len Haus­wän­den wer­den Frau­en noch immer bedroht, unter Druck gesetzt, miss­braucht. In allen Schichten.

Vor allem bei jun­gen Men­schen, die befragt wur­den, ist Gewalt­a­ffi­ni­tät in der Regel höher als in ande­ren Alters­grup­pen.

Zugleich deu­ten ande­re Stu­di­en und Umfra­gen dar­auf hin, wie stark Frau­en betrof­fen sind. Das Robert-Koch-Insti­tut hielt 2020 fest, dass 35 Pro­zent der Frau­en seit dem 15. Lebens­jahr kör­per­li­che und/​oder sexu­el­le Gewalt wider­fah­ren ist. Laut der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on hat etwa jede vier­te Frau auf der Welt min­des­tens ein­mal in ihrem Leben Gewalt durch Part­ner erlebt. Und : Jeden drit­ten Tag tötet ein Mann in Deutsch­land sei­ne (Ex-)Partnerin – der Femizid.

Gera­de Frau­en, die sich tren­nen, sind gefähr­det, Opfer der Schlä­ge ihres „Ex“ zu wer­den – weil hier der Mann merkt, dass er eine Frau „nicht besit­zen“ kann. Er ver­liert Macht. Das Aus­maß die­ser Gewalt ist nicht hin­nehm­bar. Noch immer domi­niert ein Bild des „star­ken Man­nes“, der kei­ne Schwä­che zei­gen darf, der erfolg­reich, potent und wett­be­werbs­fä­hig sein muss, um als „Mann“ bei ande­ren Män­nern zu bestehen.

Je stär­ker sich Frau­en in unse­rer Gesell­schaft posi­tio­nie­ren, des­to stär­ker grei­fen Män­ner die­se erfolg­rei­chen Frau­en an. 

Wir erle­ben ein Wach­sen des Has­ses gegen Frau­en in den sozia­len Netz­wer­ken. Das formt ein Kli­ma, das gefähr­lich ist. Doch nicht die Frau allein muss sich gegen Gewalt durch Män­ner weh­ren. Es müs­sen sich auch Män­ner gegen Män­ner stark­ma­chen, die Macht miss­brau­chen. Im Beruf, unter Freun­den, in Fami­li­en. Kol­le­gen, Söh­ne, Väter, Nach­barn dür­fen ande­re Män­ner nicht decken, wenn sie dro­hen oder schla­gen.Sie müs­sen Frau­en unter­stüt­zen. Nicht nur im Kampf gegen Gewalt. Es braucht auch eine „neue Männ­lich­keit des 21. Jahr­hun­derts“. Eine, die nicht auf Stär­ke und Potenz setzt. Ein Mann darf Kar­rie­re machen, darf mäch­tig sein. Er darf aber auch pfle­gen, lie­ben, hüten. Ver­letz­lich sein.

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Quel­le : BER­LI­NER MOR­GEN­POST, REDAKTION
Ori­gi­nal-Con­tent von : BER­LI­NER MOR­GEN­POST, über­mit­telt durch news aktuell

Foto­credit : Ado­be­Stock 245211756 / Brisystem

 

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