Wie die AfD zu stoppen ist – Leitartikel von Politik-Korrespondent Matthias Iken

Die Politik muss näher ran an die Sorgen der Menschen, ihre Nöte erkennen und ihre Ängste verstehen. Das ist kein Populismus. Man nennt es Demokratie.

Mei­nungs­um­fra­gen erin­nern die­ser Tage an Ver­stei­ge­run­gen : 15, 17, 18 Pro­zent für die AfD – wer bie­tet mehr ? So ver­ständ­lich es ist, sich über die Zah­len zu ärgern, sie mora­lisch zu ver­ur­tei­len oder in wohl­ge­setz­ten Wor­ten zu war­nen, so klar soll­te uns sein : So stoppt man die AfD nicht.

Der Auf­wind der Par­tei ist nicht auf beson­de­re Leis­tun­gen zurück­zu­füh­ren. Man darf bezwei­feln, dass 18 Pro­zent der Deut­schen die letz­te Höcke-Rede, das letz­te Wei­del-Inter­view oder den letz­ten Gau­land-Auf­satz an den Rand das demo­kra­ti­schen Sek­tors getrie­ben haben. Der Erfolg der AfD geht eher auf Feh­ler der ande­ren Par­tei­en zurück.

Die Alter­na­ti­ve trägt ihren Poli­tik­an­satz im Namen – sie ist pure Oppo­si­ti­on und pro­fi­tiert vom Ver­spre­chen, alles anders zu machen. Ein Ver­spre­chen, das sie nie ein­lö­sen muss. Zei­ten der Unsi­cher­heit sind Hoch-Zei­ten für Popu­lis­ten. Wenn das Ver­trau­en schrumpft, wach­sen die Rän­der. So begann der Auf­stieg der AfD. Ohne die Merkel’sche Flücht­lings­po­li­tik wäre die Anti-Euro-Par­tei längst ver­schwun­den. Nach­dem die damals rechts­kon­ser­va­ti­ve Par­tei 2013 den Ein­zug in den Bun­des­tag ver­passt hat­te, tau­mel­te sie im Som­mer 2015 ihrer Bedeu­tungs­lo­sig­keit ent­ge­gen und lag in den Umfra­gen bei drei Pro­zent. Ein hal­bes Jahr offe­ne Gren­zen spä­ter hat­te sich die Zahl der Wäh­ler ins zwei­stel­li­ge Ter­rain verdreifacht.

Die Migra­ti­on treibt den Rechts­po­pu­lis­ten bis heu­te neue Wäh­ler zu : 

Gefragt nach den drei wich­tigs­ten The­men, geben zwei Drit­tel der AfD-Anhän­ger die Zuwan­de­rung an. Doch im öffent­li­chen Raum kom­men die­se Sor­gen kaum vor. So wach­sen Vor­ur­tei­le und Vor­be­hal­te im Ver­bor­ge­nen. Wer sei­ne Sor­gen nicht mehr äußern darf, ver­liert sich in den Echo­kam­mern alter­na­ti­ver Fakten.

Nur noch 45 Pro­zent der Deut­schen haben das Gefühl, die poli­ti­sche Mei­nung kön­ne frei geäu­ßert wer­den.Es regiert ein Unwil­le, sich mit abwei­chen­den Mei­nun­gen aus­ein­an­der­zu­set­zen, und der fes­te Wil­le, alles, was irgend­wie nach AfD klingt, als rechts­ra­di­kal zu brand­mar­ken. Das ist leicht – und wird fürs Land zur schwe­ren Bür­de. Irgend­wann glau­ben die Men­schen selbst, dass sie rechts sind und ver­lie­ren ihre Hem­mun­gen, die AfD zu wäh­len. Die­se Aus­ge­grenz­ten bil­den das ste­tig wach­sen­de Reser­voir. Sie wäh­len die Rechts­po­pu­lis­ten nicht aus Über­zeu­gung, son­dern aus Ver­zweif­lung. Hier gilt es anzu­set­zen : 2018 ver­sprach Fried­rich Merz, die AfD zu hal­bie­ren. Sobald er aber nur ver­sucht, kon­ser­va­ti­ve Posi­tio­nen zu beset­zen, setzt das öffent­li­che Wut­ge­heul ein. Kri­ti­siert der CDU-Chef etwa das Gen­dern, das zwei Drit­tel der Deut­schen ableh­nen, erken­nen grü­ne Spit­zen­po­li­ti­ker dar­in Hetze.

Die Pola­ri­sie­rung im Land beför­dert die AfD : Lan­ge haben die Grü­nen davon pro­fi­tiert, eine Art Posi­tiv­ab­zug zum Nega­tiv der AfD zu sein. Nun, im Streit um Verkehrs‑, Wär­me und Ener­gie­wen­de, wäh­len plötz­lich vie­le die Anti-Grü­nen. Die Grü­nen soll­ten ihren Bei­trag zur Pola­ri­sie­rung hinterfragen.

Und die SPD muss sich an die Aus­sa­ge ihres frü­he­ren Par­tei­chefs Sig­mar Gabri­el erin­nern : „Wir müs­sen raus ins Leben ; da, wo es laut ist ; da, wo es bro­delt ; da, wo es manch­mal riecht, gele­gent­lich auch stinkt. Wir müs­sen dahin, wo es anstren­gend ist.“ Nicht jeder im Land lebt in den In-Vier­teln der Metro­po­len, ernährt sich vegan oder fährt Las­ten­rad. Die Mehr­hei­ten lie­gen anderswo.

Die Poli­tik muss näher ran an die Sor­gen der Men­schen, ihre Nöte erken­nen und ihre Ängs­te ver­ste­hen. Das ist kein Popu­lis­mus. Man nennt es Demokratie.

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Quel­le : BER­LI­NER MOR­GEN­POST, REDAKTION
Ori­gi­nal-Con­tent von : BER­LI­NER MOR­GEN­POST, über­mit­telt durch news aktuell

Foto­credit : Ado­be­Stock 453363800 / Brisystem

 

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