Corona hat mich nicht kleingekriegt aber seelisch erschöpft

Superintendent Dr. Manuel Schilling ist seit einem Jahr im Amt / Ein Gespräch über große Herausforderungen

win­ter­berg-total­lo­kal : SOEST/ARNSBERG : Seit über einem Jahr hält die Coro­na-Pan­de­mie die Welt in Atem. Eigent­lich denk­bar schlech­te (Start)-Voraussetzungen für Dr. Manu­el Schil­ling, der Anfang Juni seit einem Jahr im Amt ist als Super­in­ten­dent des Kir­chen­krei­ses Soest –Arns­berg ist. War­um er den­noch eine posi­ti­ve Bilanz unter die ers­ten zwölf Mona­te zieht und wel­che Her­aus­for­de­run­gen er aktu­ell sieht, erklärt er in einem Inter­view mit Öffent­lich­keits­re­fe­rent Hans-Albert Limbrock.

Star­ten wir mal posi­tiv : Was hat Ihnen in die­sem ers­ten Jahr bis­her so rich­tig viel Freu­de bereitet ?

Es sind die Men­schen, ob in Soest im Kreis­kir­chen­amt oder in den Gemein­den vor Ort, sie sind mir offen und freund­lich ent­ge­gen­ge­kom­men und haben mei­ne völ­li­ge Ahnungs­lo­sig­keit akzep­tiert. Vor allem die Geschwis­ter im Pfarr­dienst schen­ken mir ein Ver­trau­en, das mich über­wäl­tigt. Ich habe schon unzäh­li­ge Ein­zel­ge­sprä­che mit den Pfar­re­rin­nen und Pfar­rern geführt – und immer noch fehlt mir fast ein Drit­tel. Das wird noch bis zum Jah­res­en­de dau­ern, bis ich mit allen ein­mal habe spre­chen können. 

Sie sind jetzt seit einem Jahr im Amt. Ver­mut­lich hat es kei­nen Tag gege­ben, an dem Coro­na kei­ne Rol­le gespielt hat. Was hat das mit Ihnen gemacht ?

Gestar­tet bin ich in einem fast „nor­ma­len“ Som­mer. Der zwei­te Lock­down mit der kurz­fris­ti­gen Absa­ge aller Weih­nachts­got­tes­diens­te hat mich – und ja noch viel mehr die Men­schen in den Gemein­den vor Ort – bru­tal getrof­fen. März und April fand ich per­sön­lich hart, weil mei­ne see­li­schen Wider­stands­kräf­te schmol­zen. Am Ende bin ich see­lisch abge­rie­ben und erschöpft. Coro­na hat mich nicht klein gekriegt, aber es hat mich erschöpft. Ich weiß jetzt noch bes­ser als vor­her mei­ne Gren­zen. Das ist doch wie­der­um eine gute Erkenntnis.

Wel­che größ­te Hür­de hat die Pan­de­mie in den ver­gan­ge­nen zwölf Mona­ten für Sie und Ihre Arbeit aufgebaut ?

Ich hat­te davon geträumt, an jedem Sonn­tag in eine ande­re Gemein­de zu fah­ren und dort den Got­tes­dienst zu besu­chen, Men­schen zu spre­chen und ab und zu auch mal zu pre­di­gen. Es ist nicht über­trie­ben, wenn ich kal­ku­lie­re : von den weit über hun­dert Mit­ar­bei­tern, für die ich ver­ant­wort­lich bin, und mit denen ich schon sehr inten­si­ve Gesprä­che haben füh­ren kön­nen, habe ich min­des­tens die Hälf­te noch nie phy­sisch real gese­hen, son­dern nur per Bildschirm.

Auch Sie wer­den Tage gro­ßer Nie­der­ge­schla­gen­heit – viel­leicht sogar Mut­lo­sig­keit – erlebt haben,  was hilft Ihnen dann ?

Ja, die gibt es. Manch­mal fra­ge ich mich : Bist du der Rich­ti­ge für die­sen Job ? Die Kin­der krie­gen von ihrem Vater nichts mit, und die Frau hat die meis­te Last zu tragen.nIn sol­chen Momen­ten hilft mir : mit mei­ner Frau ein klei­nes Glas Rosé trin­ken, wäh­rend ich die Zwie­beln für das Abend­essen schnippele. 

Hat Coro­na die Men­schen vom Glau­ben ent­fernt oder bekommt der Glau­be an Gott gera­de durch eine sol­che Kri­se eine tie­fe­re Bedeu­tung, wird viel­leicht sogar neu definiert ?

Das ist schwer zu sagen. Anfäng­lich in der ers­ten Schock­star­re vor einem Jahr hat­te ich den Ein­druck, dass nicht weni­ge Men­schen reflex­haft und tra­di­tio­nell Trost bei der Kir­che such­ten. Als wir uns an Coro­na gewöhnt hat­ten, sank die­ses Bedürf­nis. Bei der Steue­rung der Kri­se haben Poli­ti­ker, Medi­zi­ner und Öko­no­men das Wort geführt. Theo­lo­gie und Kir­che waren unwich­tig. Indiz dafür ist, dass wir Seel­sor­ge­rIn­nen ziem­lich spät mit Podo­lo­gIn­nen und Fri­seu­rIn­nen in die Impf­grup­pe genom­men wur­den. Aber statt über die ach so des­in­ter­es­sier­te Welt zu schimp­fen, fra­ge ich, ob wir als Kir­che etwas Sub­stan­ti­el­les zu sagen hat­ten ? Zuwei­len hat­te ich das Gefühl, wir in der Kir­che bie­ten weder genü­gend Raum für die Kla­ge und den Zorn gegen­über Gott, noch sprüh­te unse­re Ver­kün­di­gung von der Freu­de über die Leben­dig­keit Got­tes, der allem, wirk­lich allem Leid ein Ende set­zen wird. Auch Corona.

Auch ohne die Pan­de­mie steht die Kir­che vor gro­ßen Auf­ga­ben. Wel­che ist für Sie in Ihrer Funk­ti­on als Super­in­ten­dent die­ses gro­ßen Kir­chen­krei­ses die größ­te Her­aus­for­de­rung der kom­men­den fünf Jahre ?

Wir wer­den klei­ner, das sagen uns ziem­lich ver­läss­li­che Pro­gno­sen. Das müs­sen wir ernst neh­men, das müs­sen wir soli­de steu­ern. Weni­ger Pfar­re­rIn­nen, weni­ger Gemein­de­glie­der und weni­ger Geld – all das muss ver­nünf­tig auf­ein­an­der bezo­gen wer­den, um kei­ne bösen Über­ra­schun­gen zu erle­ben. Und gleich­zei­tig dür­fen wir den Traum nicht auf­ge­ben, dass wir die „Bot­schaft von der frei­en Gna­de Got­tes an alles Volk“ (Bar­men 5) wei­ter­sa­gen sol­len. Wenn wir uns mit unse­rer eige­nen dro­hen­den Bedeu­tungs­lo­sig­keit abfin­den, sind wir jetzt schon tot. Der Hei­li­ge Geist ist kein Skep­ti­ker, hat Luther ein­mal gesagt. Wohl wahr. Schließ­lich ist aber wich­tig, dass uns die­ser span­nen­de Spa­gat nicht zer­reißt, dass wir nicht ver­su­chen, ver­zwei­felt gegen den Mega­trend durch eige­ne Hyper­ak­ti­vi­tät die Kir­che auf­zu­pum­pen und unse­re eige­ne Wirk­mäch­tig­keit zu über­deh­nen. Das wäre der direk­te Weg in den kol­lek­ti­ven oder indi­vi­du­el­len Burn­out. Ich habe kei­ne Lust, mei­ne sowie­so schon gebeu­tel­ten Pfar­re­rIn­nen und Pfar­rer mit sol­chen Phan­ta­sien zu überfordern.

Was berei­tet Ihnen zuneh­mend Sorge ?

Es ist die­ses absur­de Lebens­ge­fühl des Tan­zes auf dem Vul­kan. Kei­ne Gene­ra­ti­on vor uns hat­te mate­ri­ell und gesell­schaft­lich so güns­ti­ge Vor­aus­set­zun­gen – wir könn­ten doch aus der Erde ein Para­dies machen, wir Men­schen müss­ten nur ler­nen, die Reich­tü­mer der Erde gerecht zu ver­tei­len. Und die Kir­che hat­te noch nie soviel Frei­heit und Gele­gen­heit, den Men­schen Got­tes Bot­schaft wei­ter­zu­ge­ben. Aber kei­ne Gene­ra­ti­on bedroht so unein­sich­tig den Fort­be­stand der mensch­li­chen Zivi­li­sa­ti­on und des öko­lo­gi­schen Gleich­ge­wich­tes. Und die Kir­che schafft es nicht, nach­hal­tig gegen die­sen Trend zu steuern. 

Ein nor­ma­ler Acht-Stun­den-Büro­tag ist für Sie eher die Aus­nah­me. Sind Sie über­rascht von Kom­ple­xi­tät und Inten­si­tät Ihrer Aufgaben ?

Ja, und jeden Tag mehr. Nach einem Jahr ist mir jetzt klar : ich wer­de die jet­zi­ge Arbeits­leis­tung und Orga­ni­sa­ti­on so nicht durch­hal­ten. Frü­her hat­te ich nur bei offe­nem Streit Magen­drü­cken, jetzt kommt das  öfters vor, spä­tes­tens Don­ners­tag­abend nach einem lan­gen Tag. Das soll sich ändern. Ändern soll sich nicht : ich will wei­ter­hin den Men­schen mit offe­nen Visier ent­ge­gen­tre­ten, ohne Poker­face. Ich möch­te wei­ter­hin ver­su­chen, zuerst die Men­schen zu ver­ste­hen, die Gott mir ent­ge­gen­sen­det. Zugleich will ich klar Posi­ti­on bezie­hen, wenn es nötig ist, und wenn’s auch weh tun soll­te. Dane­ben soll ich aber auch Garant für Ord­nung sein und Sicher­heit aus­strah­len. Oje, die­se Band­brei­te will ich wei­ter durch­hal­ten. Allein, dass ich mich eben wei­ser orga­ni­sie­re, und manch­mal weni­ger mache.

Wie und wo holen Sie sich die Kraft für Ihr ver­ant­wor­tungs­vol­les Amt ?

Zuerst bei der Fami­lie. Zum Bei­spiel schnip­pe­le ich auch ger­ne in der Küche mit unse­rer Toch­ter und höre der­weil das Hör­buch „Har­ry Pot­ter“, vom unsterb­li­chen Rufus Beck gele­sen. Oder ich hel­fe mei­ner Frau am Wochen­en­de und im Gar­ten. Umgra­ben und Unkraut Jäten, herr­lich. Zwei­mal pro Woche gehe ich in den Kel­ler und spie­le dort – damit mich nie­mand hört –  Cel­lo. Und ich sit­ze jeden Mor­gen eine hal­be Stun­de, bevor das Haus auf­wacht, vor der Iko­ne und bete. Ich glau­be, das hilft am allermeisten.

Gibt es schon einen Platz, einen Ort, wo Sie sich beson­ders wohlfühlen ?

In der Hoh­ne­kir­che unter dem Apsis­fres­ko, dem soge­nann­ten Engeltanz.

Was wer­den Sie als ers­tes tun, wenn die von allen ersehn­te Nor­ma­li­tät end­lich wie­der Wirk­lich­keit wird ?

Auf dem Markt von Soest sit­zen und einen Kaf­fee mit mei­ner Frau trin­ken. Vie­le Men­schen, die man bis­her nur wie ein höf­li­cher Man­da­rin mit gekreuz­ten Armen grüß­te, in den Arm nehmen.

Der Tag wird kom­men, an dem wir sagen dür­fen „Coro­na ist vor­bei?“ Wel­che Auf­ga­be kommt dann der Kir­che, spe­zi­ell Ihrer Kir­che zu ? Gibt es da schon Plä­ne, Überlegungen ?

Wir soll­ten vie­le Fes­te fei­ern, um all denen zu dan­ken, die sich in Coro­na so ver­aus­gabt haben. Wir soll­ten die Men­schen besu­chen, zu denen wir uns nicht getraut haben, um sie nicht gesund­heit­lich zu gefähr­den. Wir vom Kir­chen­kreis wer­den mit dem Deka­nat die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter der Soes­ter Inten­siv­sta­tio­nen zu einem Orgel­kon­zert und einem Sekt­emp­fang einladen.

Zum Schluss der Klas­si­ker : Sie haben drei Wün­sche frei – bit­te kurz, knapp selbsterklärend :

Dass ein sehr gro­ßes kul­tu­rel­les Pro­jekt im Früh­jahr 2023, das wir gera­de pla­nen, gelingt. Dass mei­ne Frau und ich Freun­de in Soest und Umge­bung fin­den. Dass wir in Deutsch­land Frie­den behal­ten und ein gast­freund­li­ches Land blei­ben – offen für die Men­schen, die bei uns Zuflucht suchen.

Quel­le : Hans-Albert Lim­b­rock – Ev. Kir­chen­kreis Soest-Arnsberg

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