Stichwort der Woche : „Oh Kohle mio“

Winterberg-Totallokal : Stichwort der Woche, von Norbert Schnellen

win­ter­berg-total­lo­kal : „Ein Gespenst geht um in Euro­pa und die­ses Gespenst heißt Popu­lis­mus“. Frei nach Karl Marx kann man die der­zei­ti­ge poli­ti­sche Stim­mung in der EU so dia­gnos­ti­zie­ren. „Jetzt also auch Ita­li­en!“ mag sich man­cher nach dem Wahl­aus­gang in der dritt­größ­ten Wirt­schafts­macht der EU gedacht haben. Was ist bloß los mit den Wäh­lern in aller Welt ? War­um kom­men jetzt über­all Popu­lis­ten an die Macht ? Herr Trump, Herr Putin, Herr Erdo­gan, Herr Orban, Herr Kac­zyn­ski, Herr Kurz, Herr Söder (oh, Ent­schul­di­gung, die bei­den gehö­ren hier wirk­lich nicht hin), sie alle haben sich ja nicht an die Macht geputscht, son­dern sind durch freie Wah­len in ihre Ämter gekom­men. Ita­li­en lie­fert uns jetzt eine beson­de­re Vari­an­te einer popu­lis­ti­schen Regie­rung. Die eher links­po­pu­lis­ti­sche 5‑S­ter­ne-Bewe­gung bil­det gemein­sam mit der rechts­po­pu­lis­ti­schen Lega eine gemein­sa­me Regie­rung. Eigent­lich müss­ten sich die bei­den spin­ne­feind sein, aber bei­de sind sich einig in ihrer Ableh­nung der EU und des Euro. Das scheint die Mehr­heit der Wäh­ler über­zeugt zu haben. Dabei war Ita­li­en eines der Grün­dungs­mit­glie­der der EU und die Ita­lie­ner sind eigent­lich über­zeug­te Euro­pä­er. Spin­nen die jetzt, die Römer ?

Wenn man die gan­ze Situa­ti­on mal etwas dif­fe­ren­zier­ter betrach­tet, kommt man sehr schnell zu der Ein­sicht, dass der Erfolg der soge­nann­ten Popu­lis­ten haupt­säch­lich durch eine Kri­se der west­li­chen Demo­kra­tien ent­stan­den ist. Unkon­trol­lier­te Finanz­märk­te, Lob­by­is­mus, aus­ufern­de Büro­kra­tie, Arbeits­lo­sig­keit, Ver­mö­gens­ver­nich­tung durch Null­zins­po­li­tik und stei­gen­de Ungleich­heit, alle die­se Begleit­erschei­nun­gen eines glo­ba­len Kapi­ta­lis­mus wer­den von vie­len Men­schen in Euro­pa mit Brüs­sel gleich­ge­setzt. Man fühlt sich in Euro­pa nicht mehr durch die bestehen­den poli­ti­schen Insti­tu­tio­nen ver­tre­ten, son­dern man fühlt sich durch die­se ver­ra­ten und ver­kauft. Die Lösungs­vor­schlä­ge der Popu­lis­ten sind so ein­fach wie geni­al : Man hält sich ein­fach nicht mehr an bestehen­de Ver­trä­ge. Die Geschich­te kennt ein gutes Bei­spiel : Vie­le Jah­re bemüh­ten sich demo­kra­ti­sche Poli­ti­ker der Wei­ma­rer Repu­blik, die hohen Repa­ra­ti­ons­zah­lun­gen an die Sie­ger­mäch­te des ers­ten Welt­kriegs ein wenig zu redu­zie­ren. Dabei bis­sen sie in Paris und Lon­don auf Gra­nit. Als dann die Nazis an die Macht gewählt wur­den, stell­ten sie ein­fach die Zah­lun­gen ein – und was pas­sier­te ? Nichts ! Man kann davon aus­ge­hen, dass es auch in Ita­li­en Men­schen gibt, die sich mit Geschich­te aus­ken­nen. Wenn die neue ita­lie­ni­sche Regie­rung die­sem Bei­spiel folgt wird die Sache für Deutsch­land bit­ter. Dann rächt sich die sorg­lo­se euro­päi­sche Wäh­rungs­po­li­tik der letz­ten Jah­re. Davon betrof­fen sind dann wie­der die deut­schen Steu­er­zah­ler und Spa­rer. Spä­tes­tens dann wird auch die „schwar­ze Null“ zu einem „schwar­zen Loch“. Wenn dann die Ita­lie­ner mit ihrem bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men in der Son­ne lie­gen und „Oh sole mio“ sin­gen, knech­ten wir noch mehr als jetzt und kön­nen nur noch „Oh Koh­le mio“ stöhnen.

Ihr Nor­bert Schnellen

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