Winterberg-Totallokal : Stichwort der Woche, von Norbert Schnellen…
winterberg-totallokal : Mal ehrlich, bis vor kurzem wussten die wenigsten von uns, dass Barcelona in Katalonien liegt. Der FC Barcelona ist nun mal eine erfolgreiche spanische Fußballmannschaft und zahlreiche deutsche Firmen haben im Nordosten der iberischen Halbinsel ihre spanischen Niederlassungen errichtet. Separatismus kannte man in Spanien nur aus dem Baskenland, wo die militante ETA in früheren Zeiten für Schlagzeilen sorgte. Jetzt also Katalonien ! Was wollen diese Menschen überhaupt ? In unserer globalen Weltordnung ist eine Rückkehr zu kleinen Nationalstaaten doch ein absoluter Anachronismus. Es ist doch schon schlimm genug, dass Leute wie Trump, Putin, Erdogan, Orban und Kaczynski ihre „großen“ Nationalstaaten wieder gegen die Welt abschotten möchten. Nun möchte ein gewisser Herr Puigdemond mit der Unabhängigkeit von Spanien einen neuen Nationalstaat errichten, reicht’s jetzt ?
Ich glaube, wir tun den Katalanen bitter unrecht, wenn wir sie in einen Topf mit den ewig gestrigen Nationalisten anderer Staaten werfen. Hier lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen. An der Spitze der katalanischen Autonomiebewegung stehen keine grölenden Hohlköpfe, sondern große Teile der gebildeten Jugend des Landes, sowie viele gescheite Köpfe aus Gesellschaft und Politik, wie zum Beispiel die Medizinerin und Benediktinerinnennonne Teresa Forcades, die sich als Verfechterin einer „Feministischen Theologie“ und als Pharmakritikerin einen Namen gemacht hat. Diese Menschen wollen die Unabhängigkeit erreichen um in Katalonien ein neues, sozialeres und gerechteres Gesellschaftssystem aufzubauen. Als wirtschaftlich stärkste Region des heutigen Spaniens möchte man die erwirtschafteten Steuereinnahmen nicht länger einer zentralistischen (und sicher nicht ganz korruptionsfreien) Regierung in Madrid in den Rachen schmeißen. Das lässt vielleicht auf eine fehlende Solidarität mit den ärmeren Landesteilen schließen, ist aber auch der Versuch, die Steuereinnahmen nicht mehr in irgendwelche „dunklen Kanäle“ fließen zu lassen. Sicher spielt hierbei auch die Erfahrung mit, dass in kleineren Gemeinwesen die politische Kontrolle besser funktioniert als in großen, zentralistisch ausgerichteten Nationalstaaten.
Geht uns dieser Konflikt überhaupt etwas an ? Vordenker der EU träumten von einem „Europa der Regionen“, in welchem die Menschen ihre kulturelle Identität pflegen können und in viele Begegnungen lernen, die kulturelle Andersartigkeit ihrer Nachbarn zu respektieren. Von dieser Vision ist heute nicht mehr viel übrig geblieben. Ein globaler Konsum-Einheitsbrei lässt weltweit die kulturellen Eigenarten der einzelnen Regionen verschwinden. Das dadurch entstehende Vakuum an „Heimat“ wird dann gerne durch nationalistische Brandstifter mit falschem Nationalstolz gefüllt. Vielleicht bringen die Ereignisse in Katalonien die Verantwortlichen in der EU und ihrer Mitgliedsstaaten zum Nachdenken über ein freieres, unbürokratisches und gerechteres Europa der Regionen, in welchem der Ruf nach „Independencia“ überflüssig wird.
Ihr Norbert Schnellen