Stichwort der Woche : Das Kreuz mit dem Kreuzchen

Winterberg-Totallokal : Stichwort der Woche, von Norbert Schnellen…

win­ter­berg-total­lo­kal : Am kom­men­den Sonn­tag ist Bun­des­tags­wahl. Ohne gro­ße hell­se­he­ri­sche Fähig­kei­ten und ohne die Wahl zu beein­flus­sen, kann man davon aus­ge­hen, dass unse­re Kanz­le­rin auch in den nächs­ten vier Jah­ren eine Frau sein wird und zwar die glei­che, die schon seit 12 Jah­ren unse­re Herr­sche­rin ist : Ange­la Mer­kel. Zum Ende der kom­men­den Legis­la­tur­pe­ri­ode, im Sep­tem­ber 2021, ist sie dann fast genau­so lan­ge im Amt wie ihr poli­ti­scher Zieh­va­ter Hel­mut Kohl. In den ver­gan­ge­nen 12 Jah­ren haben unse­re fran­zö­si­schen Nach­barn vier Prä­si­den­ten ver­schlis­sen, auch die Bri­ten haben mit The­re­sa May die vier­te Amts­in­ha­be­rin als Pre­mier­mi­nis­ter und die Ita­lie­ner haben sich sogar über sechs Minis­ter­prä­si­den­ten amü­sie­ren dür­fen. Wir Deut­schen schät­zen anschei­nend die Kon­ti­nui­tät und mögen kei­ne Ver­än­de­run­gen. Wenn wir uns ein­mal an ein Gesicht gewöhnt haben, muss schon eini­ges pas­sie­ren bis wir uns dann viel­leicht doch mal umori­en­tie­ren. Das ist nicht erst seit der Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik so, seit der Grün­dung des Deut­schen Reichs im Jahr 1871 hat es in die­sem Land nur 26 Macht­ha­ber gege­ben, davon allein 14 in den 14 Jah­ren der Wei­ma­rer Repu­blik. Die Bun­des­re­pu­blik begnüg­te sich in den 68 Jah­ren ihres Bestehens mit acht Bundeskanzlern.

Wenn man die­se Fak­ten betrach­tet, muss man sich fra­gen, ob wir Deut­schen immer noch kei­ne rich­ti­gen Demo­kra­ten sind, denn Demo­kra­tie lebt bekannt­lich vom Wech­sel. Sicher hat die­se Kon­ti­nui­tät außen­po­li­tisch dazu bei­getra­gen, unser Land welt­weit als „star­ken und ver­läss­li­chen“ Part­ner dar­zu­stel­len. Innen­po­li­tisch führt eine sol­che Kon­ti­nui­tät jedoch immer zu ver­krus­te­ten Par­tei­struk­tu­ren und der Her­aus­bil­dung einer eige­nen „Poli­ti­ker­kas­te“. Das Pro­blem liegt viel­leicht auch dar­in, dass die meis­ten von uns ihre Teil­ha­be an der Demo­kra­tie so ver­ste­hen, dass sie alle vier Jah­re ihr Kreuz­chen auf einem Stimm­zet­tel machen und danach vier Jah­re lang über die, von ihnen selbst gewähl­ten Poli­ti­ker, schimp­fen kön­nen. Wirk­lich demo­kra­ti­sches Enga­ge­ment sieht jedoch völ­lig anders aus. Demo­kra­tie beginnt an der Basis, also im Ver­ein, beim ehren­amt­li­chen Enga­ge­ment, in der poli­ti­schen Mit­wir­kung auf kom­mu­na­ler Ebe­ne und einer kri­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit „vor­ge­fer­tig­ten Mei­nun­gen“ in den Medi­en und den sozia­len Netz­wer­ken. Zudem soll­te man sich die Mühe machen, sich mit den ört­li­chen Kan­di­da­ten der ein­zel­nen Par­tei­en zu befas­sen und die­se auch mal dar­an zu erin­nern, wer sie gewählt hat und wes­sen Inter­es­sen sie zu ver­tre­ten haben. Nur dadurch kön­nen wir ver­hin­dern, dass die Par­tei­en- und Poli­tik­mü­dig­keit zunimmt, immer mehr Men­schen ihr Wahl­recht nicht mehr wahr­neh­men und letzt­end­lich Leu­te an die Macht kom­men, die wir alle sicher nicht dort haben wollen.

Ihr Nor­bert Schnellen

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