Lasst! Es! Bleiben! Zum „Kussgate“ zwischen Kroatien und der Bundesrepublik Deutschland

Berliner Morgenpost/​Lasst! Es! Bleiben!/Leitartikel von Jörg Quoos zum Thema „Kussgate“ zwischen Kroatien und der Bundesrepublik Deutschland

Es sind nur Sekun­den­bruch­tei­le, aber sie beschäf­ti­gen das Netz an einem grau­en Herbst­nach­mit­tag mehr als Kri­sen, Krie­ge und Kli­ma­ka­ta­stro­phen zusam­men. Kroa­ti­ens Außen­mi­nis­ter Gor­dan Grlic Rad­man hat ver­sucht, die deut­sche Außen­mi­nis­te­rin zu küs­sen – und der gro­tes­ke Annä­he­rungs­ver­such vor den Kame­ras der Welt­pres­se lan­det sogar in der Tagesschau.

Um allen Miss­ver­ständ­nis­sen vor­zu­beu­gen: Män­ner haben Frau­en nicht ein­fach unge­fragt zu küs­sen.Beson­ders nicht, wenn sie offi­zi­ell auf­ein­an­der tref­fen und die­ses Ritu­al nicht schon oft im gegen­sei­ti­gen Ein­ver­neh­men zele­briert haben. Ernst­haft Ver­lieb­te pro­bie­ren so etwas aus, seit­dem es die Mensch­heit gibt. Aber auch sie müs­sen mit den Kon­se­quen­zen leben. Beim ältes­ten Rou­lette der Welt kann der Ver­such auf der ande­ren Sei­te mit freu­dig geöff­ne­ten Lip­pen oder einer kra­chen­den Ohr­fei­ge enden.

Weder mit dem einen noch mit dem ande­ren konn­te jeden­falls der Außen­mi­nis­ter gerech­net haben, den bis ges­tern nur Außen­po­li­tik-Nerds kann­ten. Dass der Knutsch-Kroa­te Schlag­zei­len pro­du­ziert, hat ein­deu­tig mit dem Kuss-Skan­dal um Spa­ni­ens Natio­nal­spie­le­rin Jen­ni­fer Her­mo­so zu tun, der nur weni­ge Wochen zurück liegt.

Aber es gibt im jüngs­ten Lip­pen-Gate doch einen gra­vie­ren­den Unter­schied zur spa­ni­schen Atta­cke. Bei der Spa­nie­rin war klar, dass sie sich durch den Kuss wirk­lich beläs­tigt fühl­te und dass der inzwi­schen zurück­ge­tre­te­ne Fuss­ball­boss auch sonst ger­ne unge­fragt zupackte.

Über das Balz­ver­hal­ten von Kroa­ti­ens Top­di­plo­ma­ten gibt es dage­gen kei­ne Erkennt­nis­se und bei der deut­schen Außen­mi­nis­te­rin dazu auch kei­ne offi­zi­el­le Reak­ti­on. Außer der Tat­sa­che, dass sie ihren Kopf schnell weg­ge­dreht hat. Höchs­tens Insi­der wis­sen, wie die bei­den sich sonst begrü­ßen. Nur Anna­le­na Baer­bock selbst – und nicht der empör­te Fern­ana­ly­ti­ker auf Twit­ter – kann den Vor­fall als Skan­dal oder Tol­pat­schig­keit einordnen.

Inof­fi­zi­ell ver­lau­tet aus Baer­bocks Umfeld, es habe sich um den unge­len­ken Ver­such gehan­delt, sich schnell zu begrü­ßen. Damit ist klar: Die Grü­nen-Poli­ti­ke­rin selbst hängt den Faux­pas nied­rig und hat kein Inter­es­se dar­an, dar­aus eine gro­ße Sache zu machen. Sie will die Pein­lich­keit nicht mit einem Zitat der Bun­des­au­ßen­mi­nis­te­rin adeln, was schlau ist. Euro­pa hat grö­ße­re Pro­ble­me als alte wei­ße Män­ner, die sich nicht beneh­men kön­nen. Wer Baer­bock kennt weiß, dass sie sich mehr über Poli­ti­ker erregt, die Frau­en aus Über­zeu­gung den Hand­schlag verweigern.

Aber eines kön­nen Män­ner aus dem Kuss von Gor­dan Grlic Rad­man doch ler­nen: Vor dem Lip­pen­schür­zen – Gehirn ein­schal­ten! Bes­ser Küs­se emp­fan­gen als vor­schnell ver­tei­len. Und sogar das kann schief gehen, wenn man die Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit ernst nimmt. Es ist jeden­falls nicht über­lie­fert, ob sich Manu­el Neu­er von Ange­la Mer­kel beläs­tigt fühl­te, als sie ihn nach dem WM-Sieg auf offe­ner Büh­ne auf die Wan­ge küss­te. Vom Besuch in der Umklei­de­ka­bi­ne der Her­ren-Natio­nal­elf ganz zu schweigen.

Und um die Sache mal aus der Per­spek­ti­ve des Fern­seh­zu­schau­ers abzu­schlie­ßen: Die Bus­si-Bus­si-Ritua­le der Spit­zen­po­li­ti­ke­rin­nen und Spit­zen­po­li­ti­ker ner­ven schon lan­ge. Selbst wenn alle ger­ne und frei­wil­lig mit­ma­chen. Die­se Kas­te muss knall­hart Inter­es­sen ver­tre­ten, sich hart in der Sache strei­ten und per­sön­li­che Vor­lie­ben oder Aver­sio­nen zurück­stel­len. Küss­chen links und rechts sehen dabei nicht nur ver­lo­gen aus, son­dern sind es meist auch. Es sei denn, man ist Franzose.

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