TikTok als Haupt-Informationsquelle – Was Jugendliche mit geringem Interesse an Nachrichten von Medien erwarten

Mehr Bezug zum Leben, Perspektivenvielfalt und Verständlichkeit: Was Jugendliche mit geringem Interesse an Nachrichten von Medien erwarten

Immer mehr Jugend­li­che und jun­ge Erwach­se­ne fin­den ihre Inter­es­sen und Anlie­gen in den klas­si­schen Nach­rich­ten­me­di­en nicht wie­der. Sie haben nur ein gerin­ges Inter­es­se am aktu­el­len Welt­ge­sche­hen, nut­zen kaum Infor­ma­ti­ons­an­ge­bo­te eta­blier­ter Medi­en und wer­den daher mit jour­na­lis­ti­schen Ange­bo­ten kaum noch erreicht. Statt­des­sen spie­len Ange­bo­te in sozia­len Medi­en eine wich­ti­ge Rol­le für die­se Grup­pe jun­ger Men­schen. Sie blei­ben fast aus­schließ­lich über bei­läu­fi­ge Infor­ma­ti­ons­kon­tak­te bei Tik­Tok und You­Tube auf dem Lau­fen­den, bevor­zu­gen unter­hal­ten­de Inhal­te und ver­fol­gen dabei indi­vi­du­el­le Inter­es­sen, über die sie auch im Freun­des­kreis spre­chen. Wie ihre Infor­ma­ti­ons­be­dürf­nis­se, Nut­zungs­prak­ti­ken und Ein­stel­lun­gen aus­se­hen, hat das Leib­niz-Insti­tut für Medi­en­for­schung in Gesprächs­run­den mit jun­gen Men­schen erforscht, die sich kaum für aktu­el­le Infor­ma­tio­nen inter­es­sie­ren und mit jour­na­lis­ti­schen Ange­bo­ten nicht erreicht wer­den: die gering Infor­ma­ti­ons­ori­en­tier­ten. Die qua­li­ta­ti­ve Stu­die wur­de im Rah­men der Nach­rich­ten­kom­pe­tenz-Initia­ti­ve #Use­The­News umge­setzt und mit Mit­teln des Bun­des­pres­se­am­tes und der Lan­des­an­stalt für Medi­en NRW unterstützt.

Gerin­ges Informationsbedürfnis

Jugend­li­che und jun­ge Erwach­se­ne, die zu den gering Infor­ma­ti­ons­ori­en­tier­ten gehö­ren, haben meist eine nied­ri­ge for­ma­le Bil­dung, und für sie spie­len eta­blier­te Nach­rich­ten­an­ge­bo­te kaum mehr eine Rol­le. Infor­ma­tio­nen wer­den bei­läu­fig, pas­siv und fast aus­schließ­lich über sozia­le Medi­en auf­ge­nom­men. Die jun­gen Men­schen sind über­wie­gend in Grup­pen unter­wegs, in denen zwar unter­schied­li­che Mei­nun­gen zu einem The­ma wert­ge­schätzt wer­den, über poli­ti­sche The­men aber sel­ten dis­ku­tiert wird. Aller­dings wird über gesell­schaft­li­che The­men wie Dis­kri­mi­nie­rung, sozia­le Gerech­tig­keit oder Gleich­be­rech­ti­gung in den Freun­des­grup­pen gespro­chen. Kri­ti­siert wird an den eta­blier­ten Medi­en vor allem, dass sie kei­ne Berüh­rungs­punk­te zur Lebens­welt der Jugend­li­chen auf­wei­sen und kei­nen Bezug zur eige­nen Per­son und Iden­ti­tät, etwa ihrer Her­kunft und Reli­gi­on, herstellen.

Tik­Tok als Haupt-Informationsquelle

Jugend­li­che und jun­ge Erwach­se­ne aus der Grup­pe der gering Infor­ma­ti­ons­ori­en­tier­ten schät­zen unter­hal­ten­de Inhal­te, die ihre per­sön­li­chen Inter­es­sen auf­grei­fen. Dem­entspre­chend wer­den Infor­ma­tio­nen bei Tik­Tok, Insta­gram und You­Tube sowie bei einer akti­ven Suche auch bei Goog­le gefun­den. Social Media Con­tent Crea­tor wie Herr Anwalt oder Rezo neh­men eine wich­ti­ge Rol­le als Infor­ma­ti­ons­quel­le ein, weil sie das Inter­es­se jun­ger Leu­te wecken. Zudem genie­ßen sie Ver­trau­en, da sie nach Ansicht der jun­gen Men­schen die rich­ti­gen The­men auf eine neu­tra­le Art mit der ent­spre­chen­den unter­hal­ten­den Dar­stel­lungs­wei­se behandeln.

Ins­ge­samt schät­zen die Befrag­ten neben der Aktua­li­tät ins­be­son­de­re die kur­zen und unter­hal­ten­den Inhal­te auf Tik­Tok sowie die dort ange­bo­te­nen unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven, die als Grund­la­ge zur Bil­dung einer eige­nen Mei­nung ange­se­hen werden.

Fake News füh­ren zu weni­ger Ver­trau­en in sozia­le Medi­en insgesamt

Ein gewis­ses „Sucht­po­ten­zi­al“ pro­ble­ma­ti­sie­ren die Befrag­ten bei ihrer Nut­zung sozia­ler Medi­en. Dass über­wie­gend nega­ti­ver, „toxi­scher“ Con­tent ver­brei­tet wird und „Fake-Accounts“ und „Fake-Inhal­te“ zuneh­men, führt in der befrag­ten Grup­pe zu Unsi­cher­hei­ten und in der Kon­se­quenz zu feh­len­dem Ver­trau­en in Inhal­te in sozia­len Medi­en all­ge­mein – eine Dif­fe­ren­zie­rung nach Account­typ bzw. Absen­der wird dabei nicht getrof­fen. Zwar haben die Teil­neh­men­den teil­wei­se Stra­te­gien, wie sie mit Unsi­cher­hei­ten ange­sichts zwei­fel­haf­ter Absen­der und Inhal­te umge­hen (meis­tens eine Goog­le-Suche). Ins­ge­samt ist dies aller­dings ein Indiz dafür, dass es in der unter­such­ten Grup­pe gro­ße Ori­en­tie­rungs­pro­ble­me gibt.

Wenig Wis­sen über die Rol­le und Funk­ti­on des Jour­na­lis­mus vorhanden

Die Teil­neh­men­den der Fokus­grup­pen wis­sen sehr wenig über die Rol­le des Jour­na­lis­mus für die Ver­brei­tung von Infor­ma­tio­nen all­ge­mein und dar­über, wie die Berufs­aus­bil­dung erfolgt. Der Begriff „Jour­na­lis­mus“ löst bei ihnen über­wie­gend nega­ti­ve Emo­tio­nen wie Des­in­ter­es­se aus und ruft Asso­zia­tio­nen mit Fake News und Papa­raz­zi her­vor. An den Nach­rich­ten in klas­si­schen Medi­en wird kri­ti­siert, dass sie zu viel über­trei­ben und zu wenig dif­fe­ren­ziert erklä­ren. Es wer­de zu viel über bestimm­te The­men berich­tet, wäh­rend ande­re wich­ti­ge­re The­men nicht erwähnt bzw. ver­schwie­gen wer­den. Die eige­ne alters- und her­kunfts­be­zo­ge­ne Iden­ti­tät sehen die gering Infor­ma­ti­ons­ori­en­tier­ten als nicht aus­rei­chend reprä­sen­tiert. Dies führt zu der Wahr­neh­mung, dass die eigent­lich wich­ti­gen The­men aus den Augen ver­lo­ren wer­den. Es wer­de in den Medi­en meist eine domi­nan­te Per­spek­ti­ve ver­tre­ten, wäh­rend ande­re nicht zu Wort kom­men. Dadurch ent­ste­he Druck, die­se Medi­en-Per­spek­ti­ve zu über­neh­men, der wie­der­um zu Unver­ständ­nis führt und zur Wahr­neh­mung, dass die eige­ne Mei­nungs­bil­dung nega­tiv beein­flusst wer­den soll.

Die befrag­ten Jugend­li­chen und jun­gen Erwach­se­nen fin­den in den eta­blier­ten Medi­en ein zwei­fel­haf­tes Gesamt­bild, das weni­ger auf­grund fal­scher Fak­ten als viel­mehr auf­grund des Weg­las­sens ein­zel­ner Tat­sa­chen, Mei­nun­gen und Ereig­nis­se zustan­de kom­me. Dies führt zu Ver­trau­ens­ver­lust und zur Abkehr von klas­si­schen Medienangeboten.

Gewünscht wird Ver­ständ­lich­keit und Begeg­nung auf Augenhöhe

Nach ihren Wün­schen an den Jour­na­lis­mus befragt, nen­nen die Teil­neh­men­den: neu­tra­le Dar­stel­lun­gen, Mei­nungs­viel­falt, Ver­ständ­lich­keit und Begeg­nung auf Augen­hö­he. Bis­lang erfül­len sozia­le Medi­en wie Tik­Tok die­se Kri­te­ri­en für die Befrag­ten. Ent­schei­dend sei­en per­sön­li­che Berüh­rungs­punk­te, die The­men müs­sen die eige­ne Per­son und Iden­ti­tät (Reli­gi­on, Her­kunft) oder das engs­te Fami­li­en- und Freun­des­um­feld betreffen.

Infor­ma­tio­nen zur Studie

Wie infor­mie­ren sich die Men­schen in Deutsch­land im digi­ta­len Zeit­al­ter? In dem lang­fris­tig ange­leg­ten Pro­jekt „Use­The­News – Nach­rich­ten­nut­zung und Nach­rich­ten­kom­pe­tenz im digi­ta­len Zeit­al­ter“ erforscht das HBI die Nach­rich­ten­kom­pe­tenz ins­be­son­de­re der Bevöl­ke­rung unter 30 Jahren.

Im Fokus der vor­lie­gen­den Teil­stu­die stan­den jun­ge Men­schen, die sich kaum für aktu­el­le Infor­ma­tio­nen inter­es­sie­ren und mit jour­na­lis­ti­schen Ange­bo­ten nicht erreicht wer­den: die gering Infor­ma­ti­ons­ori­en­tier­ten. Hier­zu wur­den im Som­mer 2023 in vier Groß­städ­ten in Deutsch­land zehn Fokus­grup­pen (n=46) mit sol­chen Jugend­li­chen und jun­gen Erwach­se­nen geführt, die sich auf­grund aus­ge­wähl­ter sozio­de­mo­gra­fi­scher Merk­ma­le die­ser Grup­pe zurech­nen las­sen. Die Fokus­grup­pen fan­den in den Städ­ten Ham­burg, Bot­trop (Nord­rhein-West­fa­len), Dres­den (Sach­sen) und Nürn­berg (Bay­ern) statt.

Die in die­ser Stu­die gewon­nen Erkennt­nis­se sind nicht dazu geeig­net, ver­all­ge­mei­nernd und all­ge­mein­gül­tig auf alle Jugend­li­chen und jun­gen Erwach­se­nen in Deutsch­land über­tra­gen zu wer­den. Viel­mehr geben die Ergeb­nis­se wert­vol­le Ein­sich­ten in eine Teil­grup­pe jun­ger Men­schen, die wenig am aktu­el­len Welt­ge­sche­hen inter­es­siert ist und mit Infor­ma­ti­ons­an­ge­bo­ten eta­blier­ter Anbie­ter kaum erreicht wird.

Stu­die zum Download

Wun­der­lich, Leo­nie; Hölig, Sascha (2023): „Ver­ständ­li­cher, nicht so poli­tisch“ – Ein­bli­cke in die Bedürf­nis­se und Nut­zungs­prak­ti­ken gering infor­ma­ti­ons­ori­en­tier­ter jun­ger Men­schen. Ham­burg: Ver­lag Hans-Bre­dow-Insti­tut, Okto­ber 2023 (Arbeits­pa­pie­re des Hans-Bre­dow-Insti­tuts | Pro­jekt­er­geb­nis­se Nr.69), https://​doi​.org/​1​0​.​2​1​2​4​1​/​s​s​o​a​r​.​9​0​067, ISBN 978−3−87296−183−9 (Open Access, lizen­ziert unter einer Crea­ti­ve Com­mons Namens­nen­nung 4.0 Inter­na­tio­nal Lizenz CC BY 4.0).

Die Autorin­nen und Autoren

Leo­nie Wun­der­lich, M. A., ist Juni­or Rese­ar­cher am Leib­niz-Insti­tut für Medi­en­for­schung | Hans-Bre­dow-Insti­tut (HBI) in Ham­burg, Dr. Sascha Hölig ist Seni­or Rese­ar­cher am HBI.

Über #Use­The­News

Die Initia­ti­ve #Use­The­News geht der Nach­rich­ten­nut­zung und ‑kom­pe­tenz jun­ger Men­schen auf den Grund und ent­wi­ckelt neue Infor­ma­ti­ons- und Bil­dungs­an­ge­bo­te. In einem News Liter­acy Lab wer­den auf Basis der Stu­di­en­ergeb­nis­se neue Nach­rich­ten­an­ge­bo­te kon­zi­piert. Beglei­tet wird das News Liter­acy Lab von Jour­na­lis­mus-Exper­ten der Ham­bur­ger Hoch­schu­le für Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten (HAW Ham­burg). Dar­über hin­aus wer­den unter dem Titel Open News Edu­ca­ti­on (ONE) Bil­dungs­an­ge­bo­te, Unter­richts­ma­te­ria­li­en und Fort­bil­dun­gen für Lehr­kräf­te ent­wi­ckelt, um die Ver­mitt­lung von Nach­rich­ten­kom­pe­tenz in Schu­len zu stär­ken. Initi­iert wur­de #Use­The­News von der Deut­schen Pres­se-Agen­tur dpa und der Ham­bur­ger Behör­de für Kul­tur und Medi­en. Unter­stützt wird das Pro­jekt von einem Kura­to­ri­um aus nam­haf­ten Per­sön­lich­kei­ten aus Medi­en und Poli­tik. Im Mai 2022 wur­de die Initia­ti­ve auf eine rechts­gül­ti­ge Basis gestellt und in die Use­The­News gGmbH über­führt. #Use­The­News hat Part­ner in Öster­reich, Schweiz, den Nie­der­lan­den und den USA, die die Initia­ti­ve in den eige­nen Län­dern vorantreiben.

Infor­ma­tio­nen zum Leib­niz-Insti­tut für Medi­en­for­schung | Hans-Bre­dow-Insti­tut (HBI)

Das Leib­niz-Insti­tut für Medi­en­for­schung | Hans-Bre­dow-Insti­tut erforscht den Medi­en­wan­del und die damit ver­bun­de­nen struk­tu­rel­len Ver­än­de­run­gen öffent­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on. Medi­en­über­grei­fend, inter­dis­zi­pli­när und unab­hän­gig ver­bin­det es Grund­la­gen­wis­sen­schaft und Trans­fer­for­schung und schafft so pro­blem­re­le­van­tes Wis­sen für Poli­tik, Wirt­schaft und Zivil­ge­sell­schaft. Im Jahr 2019 wur­de das Insti­tut in die Leib­niz-Gemein­schaft aufgenommen.

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Quel­le: Use­The­News gGmbH / dpa Deut­sche Pres­se-Agen­tur GmbH, Jens Peter­sen, Lei­ter Konzernkommunikation
Ori­gi­nal-Con­tent von: Use­The­News gGmbH, über­mit­telt durch news aktuell

Bild­un­ter­schrift: Mehr Bezug zum Leben, Per­spek­ti­ven­viel­falt und Ver­ständ­lich­keit: Was gering infor­ma­ti­ons­ori­en­tier­te jun­ge Men­schen von Nach­rich­ten­an­ge­bo­ten erwarten

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Fotograf:©TINCON/Gregor Fischer