Ein ganz normaler Job in einem ganz normalen Gewerbe ? Leitartikel von Birgitta Stauber zur Debatte über die Legalisierung der Prostitution

„Berliner Morgenpost“: Sexarbeit ist kein Job / Leitartikel von Birgitta Stauber zur Debatte über die Legalisierung der Prostitution

Es klingt nach einem schlich­ten Geschäfts­mo­dell : Ein Mann kauft sich Sex als Dienst­leis­tung, die Frau lie­fert, was ver­ein­bart und bezahlt wur­de. Sie gibt dafür Steu­ern ab, Sozi­al- und Kran­ken­ver­si­che­rung, das Gan­ze nennt sich dann Sex­ar­beit. Ein ganz nor­ma­ler Job in einem ganz nor­ma­len Gewerbe ?

Zumin­dest soll­te es das wer­den, als die rot-grü­ne Regie­rung unter Bun­des­kanz­ler Ger­hard Schrö­der die Pro­sti­tu­ti­on 2002 lega­li­sier­te. Haupt­zie­le damals : Zwangs­pro­sti­tu­ti­on und Men­schen­han­del – wesent­li­che Bestand­tei­le der orga­ni­sier­ten Kri­mi­na­li­tät – soll­ten ein­ge­dämmt wer­den. Frau­en soll­ten die Mög­lich­keit haben, ihren Kör­per frei und selbst­be­stimmt gegen Geld für Sex zur Ver­fü­gung zu stel­len. Die soge­nann­te Sex­ar­beit soll­te nicht mehr sit­ten­wid­rig sein.

Nun gibt es tat­säch­lich die selbst­be­wuss­te Pro­sti­tu­ier­te, die mit ihrem Job ihr Stu­di­um finan­ziert, die Fami­li­en­kas­se auf­bes­sert oder die eine Wei­le Sex ver­kauft, bis sie einen ande­ren Job fin­det. Doch laut einer aktu­el­len Stu­die arbei­ten nur fünf Pro­zent der Sex­ar­bei­te­rin­nen selbst­be­stimmt. Die aller­meis­ten Pro­sti­tu­ier­ten sind nicht frei­wil­lig tätig. Sie wer­den rekru­tiert unter fal­schen Ver­spre­chun­gen oder aus dem Aus­land schlicht ver­schleppt – oft aus Ost­eu­ro­pa oder Afrika.

Oft wer­den ihnen die Rei­se­päs­se abge­nom­men. Weil sie kein Deutsch kön­nen, sind sie dann wehr­los und schutz­los Frei­ern und Zuhäl­tern aus­ge­lie­fert. Es fehlt die Kran­ken­ver­si­che­rung, die eige­ne Woh­nung. Letzt­lich glei­chen die Lebens­um­stän­de vie­ler Frau­en in den Bor­del­len moder­ner Sklaverei.

Die Ergeb­nis­se der Stu­die sind nicht über­ra­schend. Schon weni­ge Jah­re nach der Lega­li­sie­rung zeig­te der Boom der Groß­bor­del­le, dass die Pro­sti­tu­ti­on ins­ge­samt zunimmt und es kei­nes­falls selbst­ver­ständ­lich ist, dass Frau­en ihre Arbeit für die eige­ne Tasche ver­rich­ten. Oben­drein gab es immer wie­der Stu­di­en, aus denen her­vor­ging, dass das gan­ze Sys­tem auf Gewalt und Aus­beu­tung beruht. Nun, mehr als 20 Jah­re spä­ter, kann kaum bestrit­ten wer­den, dass die Zie­le des Pro­sti­tu­ti­ons­ge­set­zes von 2002 klar geschei­tert sind.

Natür­lich ist es blau­äu­gig zu erwar­ten, dass mit einem Ver­bot das Ende der Pro­sti­tu­ti­on erreicht wer­den kann. Das zeigt der Blick auf Län­der wie Nor­we­gen und Schwe­den. Genau­so blau­äu­gig war es aber auch 2002, mit der Libe­ra­li­sie­rung das Ende von Men­schen­han­del und Zwangs­pro­sti­tu­ti­on bewir­ken zu wol­len. Sex­ar­beit soll­te ein sau­be­rer, siche­rer, aner­kann­ter Job wer­den. Doch wie kann es dann sein, dass 2021 nur 23.000 Frau­en bei den Behör­den als Pro­sti­tu­ier­te gemel­det waren – bei einer geschätz­ten Dun­kel­zif­fer von 200.000 bis 400.000 Frauen ?

Im Jahr 21 nach der Lega­li­sie­rung ist die selbst­be­stimm­te Sex­ar­beit zu einer roman­tisch ver­klär­ten Wunsch­vor­stel­lung von Frei­ern gewor­den, die sich in der Sicher­heit wie­gen kön­nen, nichts Ver­bo­te­nes zu tun. Die Fra­ge, unter wel­chen Bedin­gun­gen die Frau tätig ist, ob sie von einem Zuhäl­ter abkas­siert wird, ob sie mas­siv unter Druck gesetzt, miss­han­delt und ihrer Frei­heit beraubt wird, muss sie nicht inter­es­sie­ren. Oben­drein sind Poli­zei und Staats­an­walt­schaft durch das libe­ra­le Gesetz oft die Hän­de gebun­den. Die Fol­ge : Deutsch­land gilt als Bor­dell Euro­pas – bei dem im Übri­gen das Schick­sal der Frau­en unter dem Radar bleibt. Das passt nicht zu einer femi­nis­ti­schen Poli­tik, zu deren Leit­li­ni­en es gehört, Sexis­mus, Miss­brauch, Gewalt und Aus­beu­tung von Frau­en zu bekämp­fen. Ob es der Ampel-Regie­rung passt oder nicht : Die­sen Tat­sa­chen muss sie sich stellen.

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Quel­le : BER­LI­NER MOR­GEN­POST, Redaktion
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Foto­credit : Ado­be­Stock 126615710 / Brisystem

 

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