Sogenannte „Freie Hochzeiten“
Ein Phänomen der besonderen Art, doch nicht ganz unbekannt: Jeder kennt von uns Bestattungsfeiern ohne Begleitung eines Liturgen. Dafür wird ein „freier Redner“ bestellt oder keiner. Die nicht unbedenklichen Kosten spielen dabei keine große Rolle. Diese Form scheint den oft unkirchlichen Voraussetzungen viel näherzukommen. Eine individuelle Ritualisierung im Rückzug auf das Private?
Ein weiteres Phänomen zeigt sich auch im Bereich der Trauungen. Ob mit oder ohne vorausgehender Ziviltrauung finden sich die zumeist jungen Leute zu einer Feierlichkeit fern aller traditionellen Norm zusammen. Wozu Kirche? Warum sollen wir etwas vorgeben, was vorher auch nicht war?
In meinem unmittelbaren Bekannten- und Verwandtenkreis sind mehrere solcher Feiern mittlerweile erfolgt. Bei einigen war ich ein Gast, ein Teilnehmer ohne jegliche Funktion eines Kirchenvertreters. Die sich Trauenden beließen es bei einem Ja-Wort zueinander, andere fanden aus dem Freundes- bzw. Familienkreis einen Moderator. Darin liegt vielleicht auch die Stärke des Modells, dass je nach den persönlichen Voraussetzungen ein Rituale entworfen und durchgeführt wird. Der Effekt wird sein, dass diese Form „allgemein“ wird: „Wenn die das können, können wir das auch! Unsere Liebe geht nur uns etwas an! Warum das ganze Kirchenrecht? Liebe ist begrenzt, und wenn wir uns nicht mehr lieben, gehen wir einfach wieder auseinander, ohne Verpflichtungen!“
Volker Looman, Finanzanalytiker in Berlin, schrieb in der FAZ vom 18. Juli 2023 eine interessante Kolumne unter dem Titel „Ehe ohne Vertrag ist wie Klettern ohne Seil“.
Von Zugewinngemeinschaft, Ehevertrag, Risikolebensversicherungen ist da die Rede! Der §1363 im BGB erdet den Höhenflug in die Freiheit der Form. Das mag ja alles geregelt sein vor dem Standesamt.
Und wie halten wir es mit der Religion? Es muss ja nicht alles Gott-los sein, was ohne Kirche geschieht. Da die Ehe stets Familie, Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften, auch Glaubensgemeinschaften berührt, ist diese niemals eine „Privatsache“. Christliche Eheleute heiraten „im HERRN“ (1 Kor 7,39), was im Laufe der Zeit stets unterschiedlich erfolgte. Die Formen wandeln sich und dazu leben Christen zunehmend unter Nichtchristen. Die Ehe lässt sich naturrechtlich deuten, jedoch auch offenbarungsbezogen, dann eben innerhalb von Liturgie und Sakramenten der Kirche. Und wer letzteres so will, wie Gott und Kirche es geben, der möge es so tun.
In unserer Zeit lösen sich die Formen auf, und die Formlosigkeit lässt vielleicht stau- nend das Verlorengegangene wiederentdecken. Neue Formen entwickeln sich auch aus den Vorgaben des Vergangenen, mit belebender Emotionalität, die den kirchlichen Ritualen verloren gegangen ist. Das Verständnis eines Sakramentes bleibt Anfrage, doch sind die Zeichen selbst oft sakramental angelehnt.
Bei der Mitfeier einer „freien Trauung“ hat mich die Ehrlichkeit und Herzlichkeit überzeugt. Die jungen Leute brauchten nicht etwas „vorspielen“, was nicht gewollt ist. Es musste sich keiner „genötigt“ fühlen, etwas zu versprechen, was nicht gewollt ist. Ohnehin würde das Trausakrament ungültig, wenn die Voraussetzung der Wahrhaftigkeit fehlen würde. Letztlich geht es um die Treue in Gott zu Christus, doch es braucht Zeit, da hineinzuwachsen.
Propst Dr. Reinhard Richter, Brilon
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Quelle: Pastoralbrief vom 9. – 24. September 2023 / Pastoralverbund-Brilon
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