Bittere Pille für Mieter – Leitartikel von Tobias Kisling zu Sozialwohnungen

„Berliner Morgenpost“: Bittere Pille für Mieter – Leitartikel von Tobias Kisling zu Sozialwohnungen

Über­ra­schend kommt die Nach­richt nicht, bit­ter ist sie trotz­dem für Mie­te­rin­nen und Mie­ter. Die Zahl der Sozi­al­woh­nun­gen ist 2022 erneut gesun­ken. Gera­de ein­mal 22.545 neue Sozi­al­woh­nun­gen wur­den gebaut. Es ist nicht ein­mal ein Vier­tel des Ziels von jähr­lich 100.000 neu­en Sozi­al­woh­nun­gen, das SPD, Grü­ne und FDP in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag ver­ein­bart hat­ten und mit dem Kanz­ler Olaf Scholz (SPD) im Wahl­kampf hau­sie­ren ging. Weil gleich­zei­tig rund 36.500 Woh­nun­gen ihre Sozi­al­preis­bin­dun­gen ver­lo­ren, steht unter dem Strich ein Ver­lust von rund 14.000 Sozialwohnungen.

Das ist nicht nur eine schlech­te Neu­ig­keit für all jene, die eine sol­che Woh­nung bewoh­nen und deren Sozi­al­bin­dung in den kom­men­den Jah­ren aus­läuft. Die Ent­wick­lung betrifft nahe­zu alle Akteu­re auf dem Woh­nungs­markt. Je weni­ger Sozi­al­woh­nun­gen es gibt, des­to stär­ker lässt deren dämp­fen­de Wir­kung auf den Miet­spie­gel nach. Künf­ti­ge Miet­preis­er­hö­hun­gen könn­ten dann kräf­ti­ger aus­fal­len. Immer­hin: Wer kei­ne Sozi­al­woh­nung fin­det und eine teu­re Mie­te zah­len muss, kann mit dem Wohn­geld einen staat­li­chen Zuschuss erhal­ten. So rich­tig die­ser Zuschuss ist: Letzt­lich wird mit Steu­er­geld ein Sym­ptom bekämpft, ohne die Ursa­che wir­kungs­voll anzugehen.

Das alles ist sicher nicht die allei­ni­ge Schuld der Ampel­ko­ali­ti­on. Zum einen dau­ern Bau­pro­jek­te Jah­re, zum ande­ren ist Woh­nungs­bau Sache der Län­der. Aber SPD, Grü­ne und FDP haben in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag ver­spro­chen, die Ursa­che zu bekämp­fen. 400.000 neue Woh­nun­gen soll­ten pro Jahr ent­ste­hen, dar­un­ter 100.000 Sozi­al­woh­nun­gen. Die Rea­li­tät ist eine ande­re. Elf Mil­lio­nen Men­schen in Deutsch­land hät­ten Anspruch auf eine Sozi­al­woh­nung. Nur noch eine Mil­li­on die­ser Woh­nun­gen gibt es. Statt 400.000 Woh­nun­gen wur­den im ver­gan­ge­nen Jahr nicht ein­mal 300.000 Woh­nun­gen fer­tig­ge­stellt. Und nun die­se ver­hee­ren­de Zahl beim Sozi­al­woh­nungs­bau. In kaum einem ande­ren Bereich klaf­fen Anspruch und Wirk­lich­keit der­art aus­ein­an­der wie in der Wohnungspolitik.

Nun mag man der Bun­des­re­gie­rung zugu­te­hal­ten, dass das Papier, auf dem der Koali­ti­ons­ver­trag geschrie­ben steht, mit dem 24. Febru­ar 2022 wenig wert war. Krieg, Ener­gie­kri­se, stei­gen­de Zin­sen. Die viel zitier­te Zei­ten­wen­de. Doch aus­ge­rech­net auf dem Woh­nungs­markt, wo eine Zei­ten­wen­de schon vor­her so drin­gend nötig gewe­sen wäre, fällt sie aus.

Die Fol­gen sind fatal. Für die Haus­hal­te, von denen laut Sta­tis­ti­schem Bun­des­amt schon heu­te über 3,1 Mil­lio­nen mehr als 40 Pro­zent ihres Ein­kom­mens für die Mie­te aus­ge­ben müs­sen. Aber auch für die Wirt­schaft. Der Woh­nungs­bau war lan­ge eine Kon­junk­tur­lo­ko­mo­ti­ve. Er wür­de jetzt, da die Wirt­schaft lahmt, gut gebraucht werden.

Aber auch immer mehr Unter­neh­men in Deutsch­land spü­ren die Fol­gen. In Zei­ten des Fach­kräf­te­man­gels haben vie­le Arbeit­neh­mer schlicht kei­ne Lust, über­teu­er­te Mie­ten in Bal­lungs­räu­men zu zah­len. Sie wer­den schließ­lich auch anders­wo fün­dig bei der Arbeits­su­che. Damit nicht genug. Wie soll die altern­de Gesell­schaft eigent­lich per­spek­ti­visch woh­nen, wo es doch nicht annä­he­rend genü­gend bar­rie­re­frei­en Wohn­raum gibt? Wie sol­len Gebäu­de kli­ma­fit wer­den, wo schon ein Hei­zungs­ge­setz für ein der­ar­ti­ges Cha­os sorgt? Und wo sol­len eigent­lich die Hun­dert­tau­sen­den Zuwan­de­rer woh­nen, die die Ampel zur Bekämp­fung des Fach­kräf­te­man­gels pro Jahr anlo­cken möchte?

Es wäre an Bun­des­kanz­ler Scholz, die­se Fra­gen zur Chef­sa­che zu machen und Ant­wor­ten zu liefern.

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Quel­le: BER­LI­NER MORGENPOST
Ori­gi­nal-Con­tent von: BER­LI­NER MOR­GEN­POST, über­mit­telt durch news aktuell

Foto­credit: Ado­be­Stock 99943045 / Brisystem

 

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