„Berliner Morgenpost“: Ende der Blauäugigkeit zur deutschen China-Politik

Leitartikel von Thorsten Knuf zur deutschen China-Politik – „Berliner Morgenpost“ – Ende der Blauäugigkeit …

Für Inne­hal­ten und Umkehr ist es nie zu spät. Das gilt nicht nur für das Leben eines Chris­ten­men­schen, son­dern auch für die inter­na­tio­na­le Poli­tik. Feh­ler der Ver­gan­gen­heit las­sen sich in der Regel nicht mehr rück­gän­gig machen. Aber ihre Fol­gen las­sen sich begren­zen und neue Feh­ler ver­mei­den. Die Bun­des­re­gie­rung hat am Don­ners­tag ein Doku­ment beschlos­sen, das den künf­ti­gen Rah­men für den Umgang mit Chi­na vor­ge­ben soll.

Über Mona­te hin­weg gab es hef­ti­ge Debat­ten über die neue Stra­te­gie. Vor allem das SPD-geführ­te Kanz­ler­amt und das grün geführ­te Außen­amt lagen über Kreuz. Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz ist in alter Ham­bur­ger Tra­di­ti­on ein Mann des Welt­han­dels. Für Außen­mi­nis­te­rin Anna­le­na Baer­bock spie­len Wer­te und Men­schen­rech­te eine her­aus­ra­gen­de Rolle.

So oder so mar­kiert Deutsch­lands neue Chi­na-Stra­te­gie einen Wen­de­punkt im Ver­hält­nis zur auf­stei­gen­den Welt­macht. Der Grund­ge­dan­ke lau­tet : Weni­ger Blau­äu­gig­keit, mehr Wach­sam­keit und im Zwei­fel auch ein ent­schie­de­nes Ein­tre­ten für eige­ne Inter­es­sen. Kein Abkop­peln von der zweit­größ­ten Volks­wirt­schaft des Pla­ne­ten, aber eine Redu­zie­rung der Risi­ken. Im Ein­klang mit den ande­ren EU-Staa­ten und den USA betrach­tet Deutsch­land das auto­kra­tisch geführ­te Rie­sen­reich als Part­ner, Wett­be­wer­ber und sys­te­mi­schen Riva­len. Die­se Neu­be­stim­mung war über­fäl­lig. Dass sie jetzt erfolgt, ist eine unmit­tel­ba­re Fol­ge des rus­si­schen Angriffs­kriegs gegen die Ukraine.

Gedan­ken­los war in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren nicht nur Deutsch­lands Umgang mit Russ­land, son­dern auch mit Chi­na. Die deut­schen Unter­neh­men und mit ihnen die hie­si­ge Poli­tik waren wie besof­fen vom rasan­ten Wirt­schafts­wachs­tum im Reich der Mit­te. Die Abhän­gig­keit wur­de von Jahr zu Jahr grö­ßer, längst ist Chi­na Deutsch­lands wich­tigs­ter Han­dels­part­ner. So wie Deutsch­land lan­ge Zeit am rus­si­schen Gas hing, hängt sei­ne Export­wirt­schaft am Chi­na-Geschäft. Kon­zer­ne wie VW, BASF oder Daim­ler tru­gen ent­schei­dend zum Auf­stieg des Lan­des bei. Zugleich roll­te Deutsch­land staats­na­hen Unter­neh­men aus Chi­na den roten Tep­pich aus.

In der Bun­des­re­pu­blik gibt es eine unse­li­ge Tra­di­ti­on, die dar­in besteht, Außen­po­li­tik und Außen­wirt­schafts­po­li­tik gleich­zu­set­zen. Das ließ sich in der Ver­gan­gen­heit sogar noch ideo­lo­gisch ver­brä­men : indem man sich dem Glau­ben hin­gab, dass gegen­sei­ti­ge Ver­flech­tun­gen in jedem Fall sta­bi­li­sie­rend auf das Gesamt­sys­tem wir­ken und Groß­kon­flik­te eigent­lich unmög­lich machen. Die­ser Ansatz mag unter demo­kra­ti­schen Staa­ten funk­tio­nie­ren. Expan­sio­nis­ti­sche Groß­mäch­te hin­ge­gen las­sen sich davon nicht beein­dru­cken. Die­sen Beweis hat Wla­di­mir Putin erbracht. Und es ist auch nicht zu erken­nen, dass Chi­nas Prä­si­dent Xi Jin­ping sei­ne Tai­wan-Poli­tik ändert, nur weil chi­ne­si­sche Unter­neh­men im gro­ßen Stil in Euro­pa aktiv sind und umgekehrt.

Part­ner, Wett­be­wer­ber und sys­te­mi­scher Riva­le : Das ist der zeit­ge­mä­ße, rea­lis­ti­sche Blick auf Chi­na. Es ist gut, dass Deutsch­land ihn sich zu eigen macht. Ein Part­ner bleibt Chi­na, weil bei­de Sei­ten selbst­ver­ständ­lich auch in Zukunft Han­del trei­ben sol­len und Mensch­heits­pro­ble­me wie die Kli­ma­kri­se von allen Staa­ten gemein­sam ange­gan­gen wer­den müs­sen. Ein Wett­be­wer­ber ist Chi­na, wenn es um Märk­te und Tech­no­lo­gien der Zukunft geht. Sys­te­mi­sche Riva­li­tät bedeu­tet, dass der Wes­ten sei­ne Wer­te und die freie Gesell­schaft offen­siv ver­tei­di­gen muss, bei sich selbst und anders­wo. Alles ande­re wäre fahr­läs­sig und naiv.

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Quel­le : BER­LI­NER MOR­GEN­POST, REDAKTION
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Foto­credit : Ado­be­Stock 589881183 / Brisystem

 

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