Berliner Morgenpost/​Bittere Wahrheit/​Leitartikel von Julia Emmrich

Die einen sehen es so : Deutsch­land hat Mil­li­ar­den für den Kli­ma­schutz und die Bun­des­wehr – aber kein Geld für arme Kin­der. Der Finanz­mi­nis­ter klebt sich wie ein irrer Haus­halts­ak­ti­vist an der Schul­den­brem­se fest – und schaut hart­her­zig über das Leid von Mil­lio­nen Kin­dern hin­weg. Und das, obwohl uns Frank­reich gera­de zeigt, was pas­siert, wenn eine gan­ze Gene­ra­ti­on abge­hängt wird.

Die ande­ren hal­ten dage­gen, oft genau­so zuge­spitzt : Purer Geld­trans­fer hat noch kei­nem Kind gehol­fen, es ist ja nicht mal sicher, ob das staat­li­che Plus über­haupt bei den Kin­dern ankommt – weil die Eltern damit am Ende doch nur shop­pen gehen. Und arbei­ten gehen will bei so viel Staats­hil­fe auch kei­ner mehr. Puh. Bit­te mal abrüs­ten und tief durch­at­men. Geht es bei die­sem Streit über­haupt noch um die Kinder ?

Zur Erin­ne­rung : Seit Mona­ten rin­gen Finanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lind­ner und Fami­li­en­mi­nis­te­rin Lisa Paus um die Fra­ge, ob die Koali­ti­on armen Kin­dern stär­ker als bis­her unter die Arme grei­fen soll. Einig sind sich der FDP-Mann und die Grü­nen-Frau, dass die staat­li­che Unter­stüt­zung Fami­li­en mit Kin­dern ins­ge­samt ein­fa­cher errei­chen soll : Die Ampel-Koali­ti­on will unter dem Dach der geplan­ten Kin­der­grund­si­che­rung meh­re­re fami­li­en­po­li­ti­sche Leis­tun­gen zusam­men­fas­sen – neben dem Kin­der­geld auch das Bür­ger­geld, den Kin­der­zu­schlag oder das Wohn­geld. Sämt­li­che Leis­tun­gen sol­len ein­fa­cher zu bean­tra­gen sein – und dürf­ten damit von deut­lich mehr Fami­li­en als bis­lang genutzt wer­den. Lind­ner geht davon aus, dass allein durch die­se Umstel­lung pro Jahr eine nied­ri­ge ein­stel­li­ge Mil­li­ar­den­sum­me nötig wird.

Paus dage­gen will die Ein­füh­rung der Kin­der­grund­si­che­rung dazu nut­zen, arme Kin­der deut­lich stär­ker zu för­dern als bis­her : Alle Kin­der und Jugend­li­chen unter 18 Jah­ren sol­len einen Grund­be­trag bekom­men, einen Zusatz­be­trag soll es dar­über hin­aus für ein­kom­mens­schwa­che Fami­li­en geben. Kos­ten­punkt : bis zu zwölf Mil­li­ar­den Euro jähr­lich. Das geht Lind­ner zu weit : Der Finanz­mi­nis­ter ver­weist dar­auf, dass der Staat durch die jüngs­te Erhö­hung des Kin­der­gelds auf 250 Euro pro Kind sowie die Erhö­hung des Kin­der­zu­schlags auf bis zu 250 Euro bereits tief in die Tasche gegrif­fen hat. Der Ein­wand der Kri­ti­ker : Bei Mil­lio­nen Kin­dern aus armen Fami­li­en kommt der Geld­se­gen gar nicht an, weil das Kin­der­geld auf die Grund­si­che­rung ange­rech­net wird.

Lind­ner und Paus haben sich inzwi­schen so ver­hakt, dass sie einen Coach brau­chen : Kanz­ler Olaf Scholz, des­sen sozi­al­de­mo­kra­ti­sches Herz ver­mut­lich für die Plä­ne der Fami­li­en­mi­nis­te­rin schlägt, der aus sei­ner Zeit als Finanz­mi­nis­ter aber auch Ver­ständ­nis für das rigo­ro­se Nein des FDP-Man­nes hat. Die ers­te Run­de zu dritt ende­te ohne Ergeb­nis, bis zum Ende der Som­mer­pau­se will Scholz den Streit schlich­ten. Wie ? Offen.

Ganz egal, wie der Streit aus­geht – die struk­tu­rel­le Kin­der­ar­mut wür­de durch ein paar Euro mehr oder weni­ger allen­falls kurz­fris­tig gemil­dert. Ers­tens, weil die Infla­ti­on jedes Plus auf­frisst. Zwei­tens, weil sich dadurch prak­tisch nichts an den mie­sen Start­chan­cen für arme Kin­der ändert. Der Streit um die Mil­li­ar­den ver­deckt, dass Kin­der­ar­mut nicht nur Gel­d­ar­mut ist. Ihnen fehlt oft alles, was wohl­ha­ben­de Kin­der per Geburt haben – siche­res Auf­wach­sen, gute Schu­len, opti­ma­le För­de­rung. Wer Kin­der­ar­mut dau­er­haft bekämp­fen will, muss das ganz gro­ße Rad dre­hen. Dass die Poli­tik hier auf allen Ebe­nen seit Jahr­zehn­ten ver­sagt, ist die bit­te­re Wahr­heit hin­ter dem Ampel-Streit.

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Quel­le : BER­LI­NER MOR­GEN­POST, Redaktion
Ori­gi­nal-Con­tent von : BER­LI­NER MOR­GEN­POST, über­mit­telt durch news aktuell

Foto­credit : Ado­be­Stock 596075688 Brisystem

 

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