Entwicklung auf lange Sicht

Forschende erhalten vier Millionen Euro, um mit einer Neuroprothese das Sehvermögen zu verbessern

win­ter­berg-total­lo­kal : Unge­fähr 354 Mil­lio­nen Men­schen welt­weit sind seh­be­hin­dert, rund 40 Mil­lio­nen sind blind. Nur etwa die Hälf­te der erblin­de­ten Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten pro­fi­tiert von gän­gi­gen Behand­lungs­me­tho­den. Die Neu­ro­pro­the­tik kann das Seh­ver­mö­gen zwar wie­der­her­stel­len, aber bis­her fehl­te die Tech­no­lo­gie, um visu­el­le Wahr­neh­mun­gen über län­ge­re Zeit­räu­me hin­weg zu ermög­li­chen. In einem inter­na­tio­na­len For­schungs­kon­sor­ti­um wol­len Dr. Maria Asplund und Dr. Patrick Ruther vom Insti­tut für Mikro­sys­tem­tech­nik und vom Zen­trum Brain­Links-Brain­Tools der Uni­ver­si­tät Frei­burg eine Neu­ro­pro­the­se ent­wi­ckeln, die mit­tels maschi­nel­len Ler­nens das Seh­ver­mö­gen lang­fris­tig ver­bes­sern soll. Die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on för­dert das Pro­jekt „Neur­aVi­PeR“ im För­der­pro­gramm „Hori­zon 2020“ ab dem 1. Sep­tem­ber 2020 für vier Jah­re mit ins­ge­samt knapp vier Mil­lio­nen Euro. Davon erhält das Frei­bur­ger Pro­jekt­team 692.000 Euro.

Heu­ti­ge Neu­ro­pro­the­sen besit­zen zu weni­ge Elek­tro­den, und ihre Lebens­dau­er von ein paar Wochen reicht nicht aus, um die neu­ro­na­le Akti­vi­tät lang­fris­tig zu sti­mu­lie­ren und auf­zu­zeich­nen. Zudem über­wa­chen sie nicht, wie wirk­sam die Sti­mu­la­ti­on ist und in wel­chem Zustand sich das Gehirn des Pati­en­ten befin­det. Die Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler wol­len im Pro­jekt „Neur­aVi­PeR“ Grund­la­gen für ein lang­le­bi­ges Implan­tat zur Hirn­sti­mu­la­ti­on und ‑auf­zeich­nung schaf­fen. Mit­tels adap­ti­ver Algo­rith­men des Deep Lear­ning, einem auto­ma­ti­sier­ten Ver­fah­ren des maschi­nel­len Ler­nens, will das Kon­sor­ti­um eine neue Gehirn-Com­pu­ter-Schnitt­stel­len­tech­no­lo­gie ent­wi­ckeln, die jahr­zehn­te­lang sicher und effek­tiv arbeitet.

Die Algo­rith­men erzeu­gen aus Kame­ra­auf­nah­men elek­tri­sche Sti­mu­la­ti­ons­mus­ter für den visu­el­len Kor­tex – den Teil der Groß­hirn­rin­de, der das Sehen ermög­licht. Sie wer­den zudem die auf­ge­zeich­ne­ten Hirn­si­gna­le und Augen­be­we­gun­gen nut­zen, um die Wahr­neh­mung in einem geschlos­se­nen Regel­kreis zu ver­bes­sern. Auf die­se Wei­se sol­len es die Algo­rith­men Blin­den ermög­li­chen, Objek­te und Gesichts­aus­drü­cke zu erken­nen und durch unge­wohn­te Umge­bun­gen zu navi­gie­ren. Um das Sys­tem leicht, zuver­läs­sig und trag­bar zu machen, wol­len die For­schen­den die Soft­ware-Algo­rith­men auf ener­gie­spa­ren­de Hard­ware mit nied­ri­ger Ver­zö­ge­rungs­zeit installieren.

Die in Frei­burg zu ent­wi­ckeln­de Neu­ro­pro­the­se besteht aus Tau­sen­den von beschich­te­ten Mikro­elek­tro­den, die über moder­ne Auf­bau- und Ver­bin­dungs­tech­no­lo­gien elek­trisch mit hoch­in­te­grier­ten Com­pu­ter­chips ver­bun­den und in den visu­el­len Kor­tex implan­tiert wer­den. Die Elek­tro­den sol­len nur mini­ma­le Gewe­be­schä­den ver­ur­sa­chen und trotz lang­fris­ti­ger wie­der­hol­ter elek­tri­scher Sti­mu­la­ti­on sta­bil blei­ben. Mit­hil­fe der neu­ar­ti­gen Com­pu­ter­chips will das inter­na­tio­na­le For­schungs­team Sti­mu­la­ti­ons­strö­me zu den Elek­tro­den füh­ren und die neu­ro­na­le Akti­vi­tät in grö­ße­ren Hirn­re­gio­nen überwachen.

Prof. Dr. Shih-Chii Liu von der Uni­ver­si­tät Zürich/​Schweiz wird das Pro­jekt lei­ten. Wei­te­re Mit­glie­der kom­men vom Nie­der­län­di­schen Insti­tut für Neu­ro­wis­sen­schaf­ten an der König­lich Nie­der­län­di­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten in Ams­ter­dam, der Aus­grün­dung Phos­phoe­nix in Ams­ter­dam, der Sticht­ing Uni­ver­si­tät in Nijmegen/​Niederlande, der Uni­ver­si­tät Miguel Hernán­dez in Elche/​Spanien und dem Inter­uni­ver­si­ty Microelec­tro­nics Cent­re in Leuven/​ Bel­gi­en. Das Team ver­eint Exper­ti­se aus Computer‑, Sys­tem- und kli­ni­schen Neu­ro­wis­sen­schaf­ten, Werk­stoff­tech­nik, Mikro­sys­tem­tech­nik und Deep Lear­ning. Maria Asplund und Patrick Ruther wer­den im neu­en For­schungs­ge­bäu­de „Intel­li­gent Machi­ne-Brain Inter­fa­cing Tech­no­lo­gy“ (IMBIT) an dem Pro­jekt arbei­ten. Das IMBIT wird vor­aus­sicht­lich Anfang 2021 eröff­net und soll Frei­bur­ger Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­lern eine opti­ma­le Infra­struk­tur für das The­ma Gehirn-Maschi­ne-Schnitt­stel­le bieten.

Bild : Die For­schen­den wer­den unter­su­chen, wie die elek­tri­sche Sti­mu­la­ti­on im visu­el­len Kor­tex genutzt wer­den kann, um künst­li­che visu­el­le Ein­drü­cke zu erzeugen. 

Illus­tra­ti­on : Maria Asplund und BrainLinks-BrainTool

Quel­le : Insti­tut für Mikro­sys­tem­tech­nik (IMTEK) Albert-Lud­wigs-Uni­ver­si­tät Freiburg

Print Friendly, PDF & Email