Stichwort der Woche : Flickschusterei

Winterberg-Totallokal : Stichwort der Woche, von Norbert Schnellen…

win­ter­berg-total­lo­kal : Wann haben Sie zuletzt ein Paar Schu­he besoh­len las­sen ? Lohnt doch eigent­lich nicht mehr, denn Schu­he sind Weg­werfar­ti­kel gewor­den, genau­so wie Tex­ti­li­en, Möbel, Han­dys, Com­pu­ter, Fern­se­her, Haus­halts­ge­rä­te, Autos und, und, und. Repa­rie­ren ist ein­fach nicht mehr in, man kann ja all die­se Din­ge für rela­tiv klei­nes Geld neu kau­fen. Dazu braucht man eigent­lich auch kei­nen Fach­ein­zel­han­del mehr, oft noch mit alt­mo­di­schem Repa­ra­tur­ser­vice, alle Din­ge des täg­li­chen Bedarfs bekommt man schließ­lich auch bei den gro­ßen Dis­coun­tern oder bei den ange­sag­ten Anbie­tern im Inter­net. Uns geht es heu­te doch viel bes­ser als den Gene­ra­tio­nen vor uns, die für jede Neu­an­schaf­fung rich­tig viel Geld hin­ge­legt haben und ihre alten Kla­mot­ten immer wie­der fli­cken las­sen muss­ten. Wir brau­chen uns mit sol­cher Flick­schus­te­rei gar nicht auf­zu­hal­ten. Strümp­fe stop­fen, Hosen enger oder oft wei­ter nähen, Möbel repa­rie­ren, die­se Hand­werks­leis­tun­gen sind im Müll­ei­mer der Geschich­te gelan­det und da lie­gen sie gut –oder ? All die­se Dienst­leis­tun­gen haben näm­lich nicht zum Wirt­schafts­wachs­tum bei­getra­gen, son­dern die­sen durch die Ver­län­ge­rung der Nut­zungs­dau­er sogar aus­ge­bremst, so was geht ja gar nicht.

Unse­re schö­ne neue Ver­brau­cher­welt pro­du­ziert stän­di­ges Wachs­tum. Dazu braucht es stän­dig wech­seln­de Moden, stän­di­ge „Inno­va­tio­nen“ von Pro­duk­ten und eine stän­dig wach­sen­den Wer­be­bran­che, die uns blö­den Ver­brau­chern bei­bringt, was wir jetzt unbe­dingt brau­chen und uns wirk­lich drin­gend wün­schen. Beglei­tend dazu ver­neh­men wir das stän­di­ge Man­tra von Poli­tik und Medi­en, dass Wirt­schafts­wachs­tum unbe­dingt nötig ist, weil es Voll­be­schäf­ti­gung bringt und das ein­zi­ge Mit­tel ist unse­ren Wohl­stand und unse­re Demo­kra­tie sowie unser aller Glück und Wohl­be­fin­den zu garan­tie­ren. Die weni­gen kri­ti­schen Stim­men, die die­se „Wachs­tums­re­li­gi­on“ hin­ter­fra­gen und anzwei­feln, dass Kon­sum­rausch wirk­lich glück­lich macht und dar­auf hin­wei­sen, was das alles für Aus­wir­kun­gen auf unse­re Umwelt hat, wer­den schnell auf dem „Schei­ter­hau­fen für Spin­ner“ ver­bal ver­brannt. Es war viel ein­fa­cher aus unse­rer über­wie­gend christ­lich gepräg­ten Kul­tur ein mehr­heit­lich athe­is­ti­sches Gemein­we­sen zu machen, als das gol­de­ne Kalb der Kon­sum- und Wachs­tum­s­an­be­tung einer rea­lis­ti­schen Betrach­tung zu unter­zie­hen und dann even­tu­ell zu schlachten.

Dabei sagen selbst Vor­stän­de von DAX-Unter­neh­men eine bevor­ste­hen­de Ent­kopp­lung von Wachs­tum und Voll­be­schäf­ti­gung vor­aus. Vie­le neu ent­ste­hen­de Arbeits­plät­ze sind im Nied­rig­lohn­sek­tor ange­sie­delt und müs­sen zusätz­lich Sozi­al­leis­tun­gen in Anspruch neh­men. Wäh­rend frü­her der Flick­schus­ter von sei­nem Hand­werk leben konn­te, kann es heu­te der Paket­bo­te, der die neu­en Schu­he von „Schrei vor Glück“ anlie­fert, in der Regel nicht. Trotz­dem will es kei­ner wahr haben, dass unse­re der­zei­ti­ge Kon­sum­ge­sell­schaft eine Sack­gas­se ist, an deren Ende man nicht wen­den kann. Schuld dar­an ist eine Poli­tik, die es seit Jahr­zehn­ten ver­säumt hat die öko­lo­gisch und öko­no­misch rich­ti­gen Wei­chen zu stel­len und sich statt­des­sen nur mit „Flick­schus­te­rei“ begnügt hat.

Ihr Nor­bert Schnellen

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