Stichwort der Woche : (K)ein Weihnachtswunder

Stichwort der Woche, von Norbert Schnellen…

win­ter­berg-total­lo­kal : Der alte Mann ging durch die hell erleuch­te­ten Stra­ßen der Groß­stadt. Über­all sah er reich geschmück­te Tan­nen­bäu­me, Schau­fens­ter, die voll gefüllt waren mit den tolls­ten Geschen­ken, leuch­ten­de Ster­ne und rot geklei­de­te Weih­nachts­män­ner. Dem Mann war anzu­se­hen, dass er sich hier nicht wohl­fühl­te. Der gan­ze Wohl­stand schien ihm fremd zu sein, je mehr er sah, um so schwe­rer wur­de die Last auf sei­nen Schul­tern. Vor sich sah er nun ein präch­ti­ges altes Got­tes­haus aus dem fest­li­che Orgel­mu­sik und schö­ner Gesang ertön­te. Weil ihm kalt war in die­ser glit­zern­den Kon­sum­welt trat er ein. Hier hoff­te er end­lich etwas Hei­mat zu fin­den. Die Kir­che war heu­te sehr gut besucht. Fest­lich geklei­de­te Men­schen ver­folg­ten, mehr oder weni­ger auf­merk­sam, die Hand­lung am Altar. 

Ein eben­falls fest­lich geklei­de­ter Pries­ter ver­kün­de­te dort den Frie­den auf Erden. „Frie­de auf Erden?“ Der alte Mann dach­te an sei­ne Brü­der in Alep­po, im Jemen, in Liby­en und in allen Tei­len der Welt. „Frie­de auf Erden?“ wie­der­hol­te der alte Mann laut. Erschro­cken dreh­ten sich die Got­tes­dienst­be­su­cher nach ihm um. Was sie sahen, pass­te nun heu­te wirk­lich nicht hier her. Ein Obdach­lo­ser in einem alten Parka, die lan­gen Haa­re schau­ten unter einer abge­wetz­ten Müt­ze her­vor und Trä­nen ran­nen in sei­nen wei­ßen Bart. Die Gläu­bi­gen schau­ten jetzt lie­ber wie­der nach vor­ne (oder auf ihr Han­dy), weil sie sich durch „so einen“ ihre Fest­tags­stim­mung nicht ver­der­ben las­sen woll­ten. Er ver­ließ die Kir­che und wan­der­te ziel­los wei­ter durch die Stra­ßen der Stadt. Vor einer Bar fei­er­te eine Grup­pe Jugend­li­cher mit roten Zip­fel­müt­zen. Die Musik aus der Bar klang weni­ger weih­nacht­lich als eben in der Kirche. 

Der alte Mann sprach die Jugend­li­chen an. „Was fei­ert ihr denn hier?“ frag­te er sie. „Hey Alder, komms­te vom ande­ren Stern oder bis­te Mos­lem oder so was?“ frag­te einer der Jugend­li­chen, „heu­te is doch Weih­nach­ten!“ „Weih­nach­ten, was bedeu­tet das?“ frag­te der Alte. „Jo, da gibt’s krass viel Geschen­ke und alle fres­sen und sau­fen bis nichts mehr rein­passt.“ „Und war­um?“ „Ja weil Weih­nach­ten ist“, war die erschöp­fen­de Aus­kunft. Der alte Mann wan­der­te wei­ter. Drei Stra­ßen wei­ter begeg­ne­te er dem Pries­ter, der eben noch die Mess­fei­er in der alten Kir­che gehal­ten hat­te. Er sprach ihn an : „Bru­der, kannst Du mir wenigs­tens sagen, was hier heu­te gefei­ert wird?“ „Tut mir Leid“ sag­te der Pries­ter, „aber ich habe es wirk­lich eilig. 

In 20 Minu­ten muss ich die Christ­met­te in St. Mari­en hal­ten, sie wis­sen ja – der Pries­ter­man­gel“ rief er und bestieg sein Auto. „Erkennst Du mich nicht?“ frag­te der Alte. „Ein ander­mal“ ant­wor­te­te der eili­ge Mann und fuhr mit quiet­schen­den Rei­fen davon. Erschöpft ließ sich der Alte im war­men Ein­gangs­be­reich eines Kauf­hau­ses nie­der. Minu­ten spä­ter kam ein schwarz geklei­de­ter Wach­mann auf ihn zu und herrsch­te ihn an : „Hier kannst Du nicht blei­ben Du Pen­ner, sieh zu das Du hier weg­kommst. Sol­che wie Dich brau­chen wir hier nicht.“ Müh­sam erhob sich der Alte und ver­ließ die Stadt. „Vater“, sag­te er, „es ist jetzt 2016 Jah­re her, dass ich auf die­se Welt kam um den Men­schen Heil zu brin­gen. Seit­dem ist vie­les noch schlim­mer gewor­den. Die mate­ri­el­le Not in den armen Län­dern und die see­li­sche Not in den rei­chen Län­dern.“ Am Stadt­rand ent­deck­te er jetzt ein ziem­lich schä­bi­ges Haus in wel­chem eine Fami­lie mit vie­len Kin­dern beim Abend­essen saß. Die­se Men­schen gehör­ten offen­sicht­lich zu den Ver­lie­rern der Wohl­stands­ge­sell­schaft. Sie sahen ihn und baten ihn in ihr beschei­de­nes Wohn­zim­mer. Hier teil­ten sie ihr Essen mit ihm und die Kin­der mun­ter­ten ihn auf, weil er doch so trau­rig war. Er hob sei­ne Augen zum Him­mel und sag­te : „Vater, es ist doch noch Hoff­nung auf Erden“. Fro­he Weihnachten…

Ihr Nor­bert Schnellen

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