Problemlage Unterversorgung im ländlichen Raum

Win­ter­berg-Total­lo­kal : Ver­schär­fung der Lage durch Über­al­te­rung der Ärz­te im länd­li­chen Raum

win­ter­berg-total­lo­kal : „Bri­lon ver­sorgt“ – medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung in Bri­lon und den Dör­fern. Unter die­sem Mot­to hat­te der Bür­ger­meis­ter Dr. Chris­tof Bartsch zu einer Infor­ma­ti­ons- und Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung am 1. Juni in das Bür­ger­zen­trum Kol­ping­haus gela­den. Ca. 80 Inter­es­sier­te aus der Bri­lo­ner Ärz­te­schaft, dem Kran­ken­haus Maria Hilf und Bür­ger der Stadt waren die­ser Ein­la­dung gefolgt.

Bri­lon ver­sorgt – Bri­lon bewegt

Unter Hin­weis auf die aktu­el­le und die prä­ven­ti­ve Aus­rich­tung zwei­er Aktio­nen die zu Dau­er- ein­rich­tun­gen wer­den, ver­wies der Bür­ger­meis­ter der Stadt Bri­lon auf eine Pro­blem­la­ge, die zur Zeit als sol­che gar nicht rich­tig erkannt wird. Mit die­sem Hin­weis begrüß­te er die Anwe­sen­den um gleich­zei­tig auf die Not­wen­dig­keit die erfor­der­li­chen Schrit­te zur Wei­chen­stel­lung ein­zu­lei­ten hin­zu­wei­sen. Die Pro­blem­la­ge stellt sich in zwei­er­lei Hin­sicht als gra­vie­rend für unser aller Zukunft in medi­zi­ni­scher Sicht dar. Einer­seits ist es die sich jetzt schon aus­wir­ken­de Unter­ver­sor­gung mit Haus- und Fach­ärz­ten im länd­li­chen Raum und ande­rer­seits die Über­al­te­rung der Ärz­te­schaft. Erschwe­rend kommt wei­ter­hin hin­zu dass der Zugang weib­li­cher Jung­ärz­te oder Fach­ärz­te zumin­dest als zu gering bezeich­net wer­den muss. Die Erhö­hung der Anzahl aus­län­di­scher Ärzte/​innen löst die­ses erkann­te Pro­blem kurz- und mit­tel­fris­tig nicht da vor allem, die Sprach- und Ver­ständ­nis­pro­ble­me über einen län­ge­ren Zeit­raum nega­tiv wir­ken. Glei­ches gilt auch für die Behand­lun­gen von Zuwan­de­rern und Asyl­be­wer­bern, da viel­fach not­wen­di­ge Dol­met­scher nicht zur Ver­fü­gung stehen.

Die Fra­ge von Dr. Bartsch, was ein Bür­ger der Stadt Bri­lon  und ihrer Dör­fer erwar­tet beant­wor­te­te er selbst : 1. Ärzt­li­cher Ver­sor­gung ; 2. Kran­ken­haus vor Ort ; 3. Orts­na­he Not­fall­ver­sor­gung ; 4. Bereit­stel­lung not­wen­di­ger Medi­ka­men­te und 5. Reha-Ein­rich­tung vor Ort.

Haus- und Fach­ärzt­li­che Ver­sor­gung im Raum Brilon

Mar­co Luzi­us – Refe­rent für stra­te­gi­sche Pro­jek­te – Geschäfts­be­reich Zulas­sung und Sicher­stel­lung der Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung West­fa­len Lip­pe (KVWL) ging in sei­nem Refe­rat auf die Bedarfs­pla­nungs­richt­li­nie die Ver­sor­gungs­si­tua­ti­on in Bri­lon, auf die Fra­ge was will der ärzt­li­che Nach­wuchs und was tut die KVWL ein. Laut Sys­te­ma­tik der Bedarfs­pla­nung sind für die haus­ärzt­li­che Ver­sor­gung in Westfalen/​Lippe 111 Haus­ärz­te vor­ge­se­hen, wobei die Ide­al­zahl Patient/​Arzt mit 1.676 zu 1 ange­ge­ben wird. Der Ver­sor­gungs­grad des Mit­tel­be­rei­ches Bri­lon (Bri­lon und Ols­berg) wird durch die KVWL mit 79,7 % bezeich­net, wobei Bri­lon jedoch allein die­se Pro­zent­zahl nicht erreicht, son­dern von Ols­berg pro­fi­tiert. Von den sie­ben Mit­tel­be­rei­chen des HSK errei­chen drei den Ver­sor­gungs­grad von mehr als 100%. Die übri­gen vier lie­gen unter die­ser Mar­ke, wobei der Mit­tel­be­reich Bri­lon am schwächs­ten abschnei­det. Von den 20 Haus­ärz­ten für den Mit­tel­be­reich Bri­lon (Bri­lon u. Ols­berg) ist kein Haus­arzt jün­ger als 45 Jah­re. Vier Ärz­te sind 45 bis 49 Jah­re alt, ein Arzt ist in dem Bereich 50 – 54 Jah­re, fünf in dem Bereich 55 – 59 Jah­re, vier im Bereich 60 – 64 Jah­re, fünf im Bereich 65 – 69 Jah­re und einer ist über 70 Jah­re alt.

Von den 20 Haus­ärz­ten sind 12 im Stadt­be­reich Bri­lon und acht im Bereich Ols­berg. Neben den Haus­ärz­ten befin­den sich noch 13 Fach­ärz­te im Stadt­be­reich.  Legt man die vor­ge­nann­te Ide­al­zahl Patient/​Hausarzt zugrun­de, so feh­len im Bereich Bri­lon mit den Dör­fern, bei einer ange­nom­me­nen Ein­woh­ner­zahl von annä­hernd 27.000, min­des­tens vier Hausärzte/​innen. Ging die KVWL bis­her von einem Ver­sor­gungs­be­darf von 1.000 Ärzten/​innen (2013) für ihren Zustän­dig­keits­be­reich aus, so steigt die­se Zahl auf 1.350 – 1.500 Ärzte/​innen. Der­zeit wer­den pro Jahr ca. 10.660 Stu­die­ren­de zum Medi­zin­stu­di­um zuge­las­sen. Bezo­gen auf die Zahl der Medi­zin­stu­di­en­plät­ze vor der Wie­der­ver­ei­ni­gung müss­ten jedoch 16.000 Plätze/​Jahr zur Ver­fü­gung ste­hen. Laut Dr. Andre­as Botz­lar, 2. Vor­sit­zen­der des Mar­bur­ger Bun­des, bil­det Deutsch­land auf dem Kapa­zi­täts­stand von vor 25 Jah­ren aus. Das Niveau der ärzt­li­chen Ver­sor­gung wird sich auf die­ser Basis nicht auf­recht­erhal­ten las­sen. Einer der Grün­de die­ser Mise­re ist der Weg­fall der Stu­di­en­ka­pa­zi­tät der ehe­ma­li­gen DDR, die­se Kapa­zi­tät ist „durch den Rost gefallen.“

Was tut die KVWL und was wol­len ange­hen­de Mediziner ?

Als ers­te Maß­nah­me hat die KVWL den Mit­tel­be­reich Bri­lon (Bri­lon u. Ols­berg) in das För­der­ver­zeich­nis auf­ge­nom­men. Dies bedeu­tet es wer­den geför­dert Dar­le­hen zum Pra­xis­auf­bau oder zur Pra­xis­über­nah­me. Aus­wei­sung von Umzugs­ga­ran­tien oder Über­nah­me von Kos­ten des Umzu­ges oder von Ein­rich­tun­gen usw. Um die­se För­de­rung zu erhal­ten ist durch den/​die  Arzt/​Ärztin ein Antrag auf För­de­rung zu stel­len, der durch den Vor­stand der KVWL bewer­tet und im Ide­al­fall beschlos­sen wird. Das För­der­ver­zeich­nis wird fort­lau­fend aktualisiert.

Und was wol­len Medi­zin­stu­die­ren­de ? Eine Umfra­ge unter 4.396 stu­die­ren­den ergab : Es woll­ten ledig­lich 27 %, d. h. 1.187, nie­der­ge­las­se­ner Arzt oder Ärz­tin wer­den. Fast 50 % bevor­zug­ten eine Anstel­lung in einer Kli­nik. Von den o. g. 27 % woll­ten ledig­lich 10 % = 119 eine Ein­zel­pra­xis und 66 % in einer Gemein­schafts­pra­xis oder in Pra­xis­ko­ope­ra­ti­on tätig wer­den. Von den ins­ge­samt befrag­ten woll­ten ledig­lich 398 = 9 % All­ge­mein­me­di­zin als Fach­rich­tung wäh­len. Die Fra­ge nach dem Nie­der­las­sungs­ort wur­den dahin­ge­hend beant­wor­tet, dass Städ­te ab 50.000 Ein­woh­nern auf­wärts Prio­ri­tät haben und Städ­te mit Ein­woh­ner­zah­len dar­un­ter und der länd­li­che Raum mit 16 % bzw. 9 % deut­lich dar­un­ter lie­gen. Wel­che Vor­aus­set­zun­gen wür­den Sie dazu bewe­gen, auf dem Land oder in einer Klein­stadt ärzt­lich tätig zu wer­den, war die Fra­ge­stel­lung der KVWL. Gewünsch­te Vor­aus­set­zun­gen waren : Unter­stüt­zung bei der Kin­der­be­treu­ung = 63 %. Kos­ten­lo­se Bereit­sstel­lung von Pra­xis­räum­lich­kei­ten = 59 %. Arbeits­platz für den Part­ner = 51 %. Prä­mi­en­zah­lung durch KV oder Kran­ken­kas­sen = 47 %.

Die Zukunft der Not­fall­pra­xis in Brilon

Die Inan­spruch­nah­me von Kran­ken­haus und Not­fall­pra­xis zeigt in den ers­ten bei­den Quar­ta­len des Jah­res 2015 fast iden­ti­sche Zah­len auf. Bemer­kens­wert ist das sowohl im Kran­ken­haus, als auch bei den nie­der­ge­las­se­nen Ärz­ten die Dia­gramm­kur­ven im glei­chen Ver­hält­nis auf und abstei­gen. Von acht Uhr Mor­gens bis ca. 10 Uhr Mor­gens erfolgt in bei­den Fäl­len ein rasan­ter Anstieg. Ein anwe­sen­der Haus­arzt bezeich­ne­te die­ses als „erst Früh­stü­cken und dann zum Arzt gehen“. Bei der Aus­las­tung nach Wochen­ta­gen liegt die Not­fall­pra­xis Bri­lon im obe­ren Drit­tel aller Not­fall­pra­xen im HSK und Kreis Soest. Die größ­te Aus­las­tung erfolg­te dem­nach an den ers­ten Fei­er­ta­gen, Hei­lig­abend und dann an den zwei­ten Fei­er­ta­gen. Auf­fäl­lig ist das Fron­leich­nam und Him­mel­fahrt weni­ger stark fre­quen­tiert werden.

Mit der Not­fall­dienst­re­form 2.0, die ab 2017 in Bri­lon ein­ge­führt wird, wird eine Prio­ri­sie­rung – d. h. Selek­ti­on von drin­gen­den Not­fäl­len von Baga­tell­er­kran­kun­gen durch­ge­führt. Hier­durch soll auch in Bri­lon zukünf­tig enger mit der Sta­tio­nä­ren Not­auf­nah­me zusam­men­ge­rückt wer­den, um sek­to­ral Bar­rie­ren zwi­schen Kran­ken­haus und ambu­lan­ter Ver­sor­gung zu über­brü­cken. Ziel ist es, eine adäqua­te und wirt­schaft­li­che Behand­lung der Pati­en­ten zu gewähr­leis­ten und Fehl­ver­sor­gung zu ver­mei­den. Wie kann die­ses Ziel erreicht wer­den ? 1. Ver­sor­gung in einer gemein­schaft­lich betrie­be­nen Not­auf­nah­me im Ein­gangs­be­reich des Kran­ken­hau­ses Maria-Hilf. 2. Gemein­sa­me Tria­gie­rung (franz. Trier = sor­tie­ren, deutsch = Sich­tung oder Ein­tei­lung) der Pati­en­ten durch geschul­te Kran­ken­pfle­ge­rin­nen und medi­zi­ni­sche Fach­an­ge­stell­te nach zuvor ver­ein­bar­ten Regeln. 3. Gemein­sa­me Nut­zung der im Kran­ken­haus vor­ge­hal­te­nen Infra­struk­tur (Labor, Rönt­gen usw.) 4. Regel­mä­ßi­ger Aus­tausch der lei­ten­den ärzt­li­chen Koor­di­na­to­ren und des lei­ten­den Fach­per­so­nals. 5. Allei­ni­ge Nut­zung der Räum­lich­kei­ten durch das Kran­ken­haus außer­halb der Not­fall­sprech­stun­de. Somit funk­tio­nel­ler Zuge­winn an Raum­ka­pa­zi­tät durch gemein­schaft­li­che Nutzung.

Per­spek­ti­ven des Kran­ken­hau­ses im länd­li­chen Raum

Die Schlie­ßung von Kran­ken­häu­sern in der Ver­gan­gen­heit erfolg­te über­wie­gend im länd­li­chen Raum. Das es soweit kom­men konn­te lag zum Teil auch an den Pati­en­ten, die sich aus vie­ler­lei Grün­den nicht für ihr Kran­ken­haus vor Ort ent­schie­den haben. Ein wei­te­rer Grund für den Abriss war, dass die Umnut­zung des Kran­ken­hau­ses wirt­schaft­lich nicht ver­tret­bar war. Mit Ein­füh­rung der Bud­ge­tie­rung, dann des DRG Sys­tems und schluss­end­lich des Kran­ken­haus-Struk­tur­ge­set­zes, wird es für klei­ne und länd­li­che Kran­ken­häu­ser immer schwie­ri­ger sich wirt­schaft­lich und fach­lich im Markt „Gesund“ zu behaup­ten. Durch den Min­dest­men­gen­an­satz ist es im länd­li­chen Raum nicht mög­lich, die Per­so­nen­zah­len für die not­wen­di­gen Fall­zah­len zu errei­chen. Wer dann wach­sen will muss auf unat­trak­ti­ve Berei­che ver­zich­ten. Die­se Kran­ken­häu­ser wer­den dann mög­li­cher­wei­se auf die teu­re Not­fall­ver­sor­gung ver­zich­ten. Um die­sem Dilem­ma zu ent­ge­hen, hel­fen nur noch Koope­ra­tio­nen. Auf die­sem Weg ist einer­seits Fach­kom­pe­tenz erreich­bar, für fast alle medi­zi­ni­schen Berei­che und ande­rer­seits kann nicht in jedem Kran­ken­haus das neu­es­te und teu­ers­te medi­zi­ni­sche Gerät vor­ge­hal­ten wer­den. Das Kran­ken­haus Maria-Hilf ist hier­für ein gutes Bei­spiel. 15 Koope­ra­ti­ons­part­ner ste­hen bun­des­weit zur Ver­fü­gung. Von Bri­lon bis Ber­lin, von Ost­west­fa­len bis Sach­sen-Anhalt sind Part­ner­schaf­ten geschlos­sen wor­den. Alles zum Wohl und Wehe des Pati­en­ten aber auch zum wirt­schaft­li­chen Nut­zen des Hau­ses und sei­nes Trägers.

Die nächs­te Ver­an­stal­tung von „Bri­lon ver­sorgt“ fin­det am 15.12. 2016 in Zusam­men­ar­beit mit der Frie­de­rich-Ebert-Stif­tung statt.

Bild­un­ter­schrift : Mode­ra­tor und Ver­an­stal­ter der Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung „Medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung in Bri­lon und den Dörfern“.

Von Links : Bür­ger­meis­ter Dr. Chris­tof Bartsch ; Dr. Hans-Hei­ner Decker – Lei­ter der KVWL-Bezirks­stel­le Arns­berg ; Mar­co Luzi­us – Refe­rent für stra­te­gi­sche Pro­jek­te – Geschäfts­stel­le Zulas­sung und Sicher­stel­lung der KVWL ; Kars­ten Mül­ler – ärzt­li­cher Lei­ter des Ret­tungs­diens­tes HSK ; Hau­ke Möl­ler – Lei­ter Ver­kehrs­ma­nage­ment RLG ; André Son­nen­tag – Geschäfts­füh­rer der Kran­ken­haus­be­ra­tung Jün­ger­kes & Schlü­ter GmbH, Düsseldorf

Text + Bild : Peter Kasper

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