Erster deutscher Soldat studiert in West Point

“No Calling Too Great”- Erster deutscher Soldat absolviert vierjähriges Studium in West Point

Straus­berg / West Point / USA: Mehr als 80.000 Kadet­tin­nen und Kadet­ten haben seit 1802 an der United Sta­tes Mili­ta­ry Aca­de­my (USMA) West Point stu­diert. Dar­un­ter waren berühm­te Ame­ri­ka­ner wie Gene­ral Geor­ge S. Pat­ton Jr., Prä­si­dent Dwight D. Eisen­hower und der Astro­naut Buzz Aldrin. Als ers­ter deut­scher Offi­ziers­an­wär­ter absol­viert jetzt Fah­nen­jun­ker Jes­se L. sein vier­jäh­ri­ges Stu­di­um in West Point.

“Pre­sent Arms!” hallt der Befehl über den Para­de­platz. L.s rech­te Hand erfasst das Rohr des M14, hebt das Gewehr an und führt es prä­zi­se dia­go­nal vor den Kör­per. Sein lin­ker Arm schnellt hoch, die Hand erfasst die Waf­fe am höl­zer­nen Hand­schutz. Prä­zi­se dreht der Fah­nen­jun­ker die Waf­fe nun so, dass ihr Maga­zin nach vorn zeigt, und sie sich ver­ti­kal mit­tig vor sei­nem Kör­per befindet.

Zusam­men mit mehr als 1.200 wei­te­ren Kame­ra­din­nen und Kame­ra­den ist Jes­se L. auf der “Plain” ange­tre­ten, dem rie­si­gen Para­de­platz der USMA West Point. Vor der Washing­ton Hall ist die Bri­ga­de der Kadet­ten der welt­be­rühm­ten Mili­tär­aka­de­mie auf­mar­schiert. Für den 20-Jäh­ri­gen aus Kre­feld ist heu­te einer der wich­tigs­ten Tage in sei­nem bis­he­ri­gen Leben: Wäh­rend der Accep­tance Day Para­de für die Class of 2028 wird er offi­zi­ell in das aus 4.400 Frau­en und Män­nern bestehen­de Kadet­ten­korps der Fakul­tät am Hud­son River aufgenommen.

Ein Kind­heits­traum geht in Erfüllung

Mit dem Stu­di­en­be­ginn in West Point geht für Jes­se L. nicht nur ein Jugend­traum in Erfül­lung, er schreibt auch Geschich­te. Als ers­ter deut­scher Offi­zier­an­wär­ter wird er im Rah­men des For­eign Aca­de­my Exch­an­ge Pro­gram (FAEP) nicht nur ein Aus­tausch­se­mes­ter an der USMA absol­vie­ren, son­dern als Kadett sein gesam­tes vier­jäh­ri­ges Studium.

“Als Kind habe ich mal etwas über West Point gele­sen, seit­dem träu­me ich davon, in den USA zu stu­die­ren,” erklärt der Fah­nen­jun­ker des deut­schen Hee­res, der im Juli 2023 sei­nen Dienst als Sol­dat bei der 5. Kom­pa­nie des Auf­klä­rungs­ba­tail­lons 13 in Bad Sal­zun­gen begon­nen hat. “Ursprüng­lich dach­te ich dabei an ein Aus­tausch­se­mes­ter. Als ich wäh­rend einer Unter­richts­stun­de in der Grund­aus­bil­dung dann aber von der Mög­lich­keit erfah­ren habe, ein vier­jäh­ri­ges Bache­lor of Sci­ence Stu­di­um an der USMA West Point zu absol­vie­ren, hat mich die Idee gefes­selt und ich habe mich sofort bewor­ben”, erin­nert sich L.

Anspruchs­vol­les Auswahlverfahren

Par­al­lel zu sei­ner Spe­zi­al­grund­aus­bil­dung (SGA) bei der 2. Kom­pa­nie des Auf­klä­rungs­ba­tail­lons 7 in Ahlen und sei­nem Fah­nen­jun­ker­lehr­gang bei der Hee­res­auf­klä­rungs­schu­le in Muns­ter durch­lief der jun­ge Mann dann das lan­ge und for­dern­de Aus­wahl­ver­fah­ren für West Point. Alle Bewer­ber muss­ten ver­schie­de­ne Sport­tests meis­tern, medi­zi­ni­sche Unter­su­chun­gen durch­lau­fen, Essays schrei­ben, ein Moti­va­ti­ons­schrei­ben ver­fas­sen und den Scho­la­s­tic Assess­ment Test (SAT) sehr gut abschließen.

Der SAT ist ein stan­dar­di­sier­ter Test, mit dem in den USA die Stu­di­en­fä­hig­keit von Bache­lor­be­wer­bern geprüft wird.Auf natio­na­ler Ebe­ne wur­de das Aus­wahl­ver­fah­ren vom Refe­rat Inter­na­tio­na­le Aus­bil­dungs­an­ge­le­gen­hei­ten des Kom­man­dos Heer in Straus­berg durch­ge­führt. Dies stell­te dann die drei am bes­ten geeig­ne­ten Bewer­ber der USMA vor. “Bei mei­nem Dienst­an­tritt bei der Offi­zier­schu­le des Hee­res in Dres­den hat mir dann der Schul­kom­man­deur eröff­net, dass die USMA West Point­mi­ch­als zukünf­ti­gen Kadet­ten der Class of 2028 aus­ge­wählt hat. Mein Gedan­ke damals: Es ist unglaub­lich, nun kann mein Kind­heits­traum wahr wer­den.” Und er berich­tet wei­ter: “Die nächs­ten zwei Wochen waren dann die Höl­le, eine Viel­zahl von admi­nis­tra­ti­ven Din­gen muss­ten in kür­zes­ter Zeit noch vor mei­ner Abrei­se in die USA erle­digt wer­den. Für die tat­kräf­ti­ge Unter­stüt­zung bin ich beson­ders mei­nem Inspek­ti­ons­feld­we­bel der 11. Inspek­ti­on der OSH extrem dank­bar. Ich glau­be, ohne ihn hät­te ich das alles nicht geschafft.”

Ers­ter inter­na­tio­na­ler Absol­vent kam 1889

“Dass Kadet­ten von Ver­bün­de­ten und Part­nern der USA in West Point stu­die­ren, hat eine lan­ge Tra­di­ti­on”, erklärt Colo­nel Rance Lee auf dem Gelän­de der USMA. Der 50-jäh­ri­ge ehe­ma­li­ge West Point Absol­vent der Class of 1997 ist Direc­tor of Admis­si­ons und somit zustän­dig für die Rekru­tie­rung und Aus­wahl der zukünf­ti­gen West Point Kadet­ten. “Des­halb ist es für uns eine gro­ße Sache, dass nun erst­mals auch ein deut­scher Kadett sein kom­plet­tes Stu­di­um bei uns absolviert.”

Ers­ter inter­na­tio­na­ler West Point Absol­vent war 1889 Anto­nio Bar­ri­os aus Gua­te­ma­la. Inklu­si­ve der Class of 2024 haben seit­her 580 Inter­na­tio­nal Gra­dua­tes ihren Abschluss in West Point gemacht. Heu­te ver­fügt die USMA über ins­ge­samt 60 Stu­di­en­plat­ze für inter­na­tio­na­le Kadet­tin­nen und Kadet­ten, die im Rah­men des For­eign Aca­de­my Exch­an­ge Pro­gram (FAEP) dort stu­die­ren kön­nen. “Mit der Class of 2028 neh­men wir 16 neue auf,” so Lee.

Kon­takt zu ande­ren Kulturen

Neben Deutsch­land kom­men die 15 neu­en Kadet­ten aus Kame­run, Gha­na, Indo­ne­si­en, Jor­da­ni­en, Kenia, der Mon­go­lei, Paki­stan, Polen, den Phil­ip­pin­nen, dem Sene­gal, Sin­ga­po­re, Thai­land, Süd­ko­rea und Tune­si­en. “Vom Pen­ta­gon bekom­men wir jähr­lich zwi­schen 80 und 120 inter­na­tio­na­le Bewer­ber vor­ge­schla­gen, aus denen wir dann die viel­ver­spre­chends­ten aus­wäh­len”, erläu­tert Lee. Nach den Vor­tei­len für West Point gefragt, erklärt er: “Inter­na­tio­na­le Stu­den­ten in West Point zu haben, ist für uns eine Win-win-Situa­ti­on. Unse­re ame­ri­ka­ni­schen Stu­den­ten erhal­ten so schon früh Kon­takt zu Men­schen aus ande­ren Kul­tur­krei­sen. Spä­ter, bei ihrem Dienst als Offi­zier der US-Armee, hel­fen ihnen die so gemach­ten Erfah­run­gen dann bei der Zusam­men­ar­beit mit den Streit­kräf­ten ver­bün­de­ter Natio­nen zum Bei­spiel in der NATO. Im Gegen­zug erhal­ten die inter­na­tio­na­len Kadet­ten ein hoch­wer­ti­ges Stu­di­um und eine erst­klas­si­ge mili­tä­ri­sche Aus­bil­dung, inklu­si­ve eines tie­fen Ein­blicks in die ame­ri­ka­ni­sche Kul­tur und Denkweise.”

Ers­te Schrit­te in den Beast Barracks

Am 1. Juli 2024 begann dann mit dem Recep­ti­on Day die Aus­bil­dung für L. in West Point. Die nächs­ten sechs Wochen erfolg­te die mili­tä­ri­sche Grund­aus­bil­dung in den soge­nann­ten Beast Bar­racks. Auf dem Dienst­plan stan­den dabei unter ande­rem Dis­zi­plin, die Anzugs­ord­nung, mili­tä­ri­sche Umgangs­for­men und For­mal­dienst, aber auch Infan­te­rie­ge­fechts­aus­bil­dung, Über­le­ben im Fel­de und Schie­ßen. Den Abschluss bil­de­te der March Back, ein Marsch über zwölf Mei­len zurück nach West Point. “Wäh­rend der Beast Bar­racks haben wir auch das Mot­to für unse­ren Jahr­gang aus­ge­sucht. Es lau­tet: ‚No Cal­ling To Gre­at’, was über­setzt so viel bedeu­tet wie ‚kei­ne Her­aus­for­de­rung zu groß’ ”, berich­tet der Fahnenjunker.

Der West Point Traum des jun­gen Man­nes wird ins­ge­samt 47 Mona­te dau­ern. In die­ser Zeit wird er am Ufer des Hud­son Rivers nicht nur eine aus­ge­zeich­ne­te aka­de­mi­sche Aus­bil­dung erhal­ten, son­dern auch zu einem her­vor­ra­gen­den mili­tä­ri­schen Füh­rer aus­ge­bil­det. Der Tages­ab­lauf der Kadet­ten umfasst in der Regel mor­gens nach dem gemein­sa­men Früh­stück und nach­mit­tags nach dem gemein­sa­men Mit­tag­essen aller 4.400 Kadet­ten einen mehr­stün­di­gen Vor­le­sungs­block und vor dem Abend­essen zwei Stun­den Zeit für sport­li­che Akti­vi­tä­ten. Dabei kön­nen die Kadet­ten zwi­schen einer Viel­zahl von Sport­ar­ten wäh­len. Unter ande­rem wer­den Boxen, Judo, Hand­ball, Hockey, Ame­ri­can Foot­ball, Schwim­men, Fech­ten und Golf angeboten.

Ver­ant­wor­tung nach dem ers­ten Jahr

Als “Ple­be” oder “Fourth Class Cadet”, wie die Kadet­tin­nen und Kadet­ten im ers­ten Stu­di­en­jahr genannt wer­den, muss L. der­zeit noch ler­nen, Befeh­le zu emp­fan­gen und genau aus­zu­füh­ren sowie die damit ver­bun­de­nen Her­aus­for­de­run­gen zu meis­ten. Im zwei­ten Stu­di­en­jahr wird er dann als “Year­ling” oder “Third Class Cadet” selbst Ver­ant­wor­tung über­neh­men und als Trupp­füh­rer die neu­en “Ple­bes” aus­bil­den. Im drit­ten und vier­ten Stu­di­en­jahr, als Cow, bezie­hungs­wei­se Firstie, wird sei­ne Ver­ant­wor­tung wei­ter stei­gen. Abhän­gig von sei­nem Leis­tungs­ni­veau kann er dann im Kadet­ten­korps als Grup­pen- oder Zug­füh­rer, Kom­pa­nie­chef, Batail­lons­kom­man­deur oder viel­leicht sogar Kadet­ten­bri­ga­de­kom­man­deur ein­ge­setzt werden.

Das Heer wünscht Fah­nen­jun­ker Jes­se L. für sein Bache­lor of Sci­en­ce­Stu­di­um mit der Fach­rich­tung Inter­na­tio­na­le Bezie­hun­gen, und sei­nen Weg an der United Sta­tes Mili­ta­ry Aca­de­my West Point alles Gute!

 

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Bild: Der All­tag der West Point Kadet­ten wie Jes­se L. (l.) ist geprägt durch Vor­le­sun­gen, Sport und mili­tä­ri­sche Aus­bil­dung, dar­un­ter For­mal­dienst mit und ohne Waffe.
Quel­le: Pres­se- und Infor­ma­ti­ons­zen­trum Heer
Foto­credits: Bun­des­wehr / Carl Schulze