Gut so! Endlich aufstehen und Gesicht zeigen: Demonstrationen gegen Rechtsextremismus!

Berliner Morgenpost: Proteste allein reichen nicht / Leitartikel von Madeleine Janssen

Wann hat es das zuletzt gege­ben, dass Demons­tra­tio­nen gegen Rechts­extre­mis­mus so wie am Wochen­en­de in Ham­burg und in Mün­chen wegen zu vie­ler Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer abge­bro­chen wer­den muss­ten? Es sind beson­de­re Zei­ten, die wir da gera­de erle­ben – pas­send zum Beginn eines Jah­res, das mit den drei Land­tags­wah­len in Thü­rin­gen, Sach­sen und Bran­den­burg geeig­net ist, die poli­ti­sche Tek­to­nik der Repu­blik zu verändern.

Man kann davon aus­ge­hen, dass es vor allem die scho­ckie­ren­den Details aus den Tref­fen zwi­schen AfD-Poli­ti­kern, „Iden­ti­tä­rer Bewe­gung“ und CDU-Mit­glie­dern sind, die die Men­schen zu Hun­dert­tau­sen­den auf die Stra­ßen zie­hen. Men­schen abschie­ben zu wol­len auf­grund ihrer fami­liä­ren Wur­zeln, auf­grund einer Migra­ti­ons­ge­schich­te oder unlieb­sa­mer poli­ti­scher Hal­tun­gen – all das erin­nert vie­le an die Wann­see­kon­fe­renz vor 82 Jahren.

Da ist es nur begrü­ßens­wert, wenn so vie­le Men­schen end­lich auf­ste­hen und Gesicht gegen rechts zei­gen. Nein, es ist nicht egal, wer zur Demo geht. Und nein, man kann sich nicht dar­auf ver­las­sen, dass der Nach­bar bestimmt hin­geht, wäh­rend man selbst lie­ber auf dem Sofa sit­zen bleibt. Alle soll­ten sich in die­sen Tagen den Demons­tra­tio­nen anschlie­ßen, Eltern, Kin­der, Unter­neh­mer, öffent­li­che Ein­rich­tun­gen – denn rechts­extre­me Hor­ror­plä­ne kön­nen kei­nem egal sein, der unse­re Demo­kra­tie zu schät­zen weiß. „Gesicht zei­gen“, die­se Phra­se gehör­te in Redak­tio­nen beim Beschrei­ben von Demons­tra­tio­nen eigent­lich auf den Index und wur­de doch immer wie­der ver­wen­det. Aber jetzt kommt es tat­säch­lich dar­auf an, jetzt zählt jedes Gesicht.

Laut dem Sozio­lo­gen und Rechts­extre­mis­mus­for­scher Mat­thi­as Quent sind es wohl die größ­ten Demons­tra­tio­nen gegen Rechts­extre­mis­mus der ver­gan­ge­nen 30 Jah­re. „Gut so!“, möch­te man rufen – und gleich­zei­tig kann man es bedau­er­lich fin­den, dass all die Schock­mel­dun­gen zuvor nicht zu einem sol­chen Ruck für die Demo­kra­tie geführt haben: der NSU, die Exe­ku­ti­on des Kas­se­ler Regie­rungs­prä­si­den­ten Wal­ter Lüb­cke, der ver­such­te Anschlag auf die Syn­ago­ge in Hal­le, der ras­sis­ti­sche Anschlag in Hanau, die Skan­da­le um rechts­extre­me Bun­des­wehr­sol­da­ten und Poli­zis­ten, frem­den­feind­li­che Über­grif­fe auf Flüchtlingsunterkünfte.

Man muss klar benen­nen, dass der Kampf gegen Rechts­extre­mis­mus in Deutsch­land zu lan­ge kei­ne Prio­ri­tät hat­te – und dass er zu oft in eine links­extre­me Ecke gerückt wur­de. Mit­tel für Stif­tun­gen und zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment zusam­men­zu­strei­chen, macht es rech­ten Krei­sen mög­lich, in die Lücke zu stoßen.

Die aktu­el­len Demos, die in sozia­len Netz­wer­ken unter den Hash­tags #wir­s­ind­mehr und #nie­wie­derist­jetzt kom­men­tiert wer­den, sind das eine. Es sind gute Signa­le. Aber sie sind sin­gu­lä­re Ereig­nis­se. Mehr kommt es dar­auf an, im All­tag auf­zu­pas­sen. Zu wider­spre­chen, wenn die Blu­men­ver­käu­fe­rin von ver­meint­lich gesteu­er­ten Medi­en spricht. Fak­ten ein­zu­for­dern, wenn die Ver­wand­ten rech­te Pro­pa­gan­da über Geflüch­te­te ver­brei­ten, ohne glaub­haf­te Quel­len zu nen­nen. Mit den Kin­dern auf kind­ge­rech­te Wei­se über Ras­sis­mus, den Natio­nal­so­zia­lis­mus und Geflüch­te­te zu spre­chen. Aber auch: von Poli­ti­kern vehe­ment ein­zu­for­dern, dass sie sich den Rech­ten nicht anbiedern.

Wie wich­tig das ist, sehen wir, wenn wir der AfD, den rechts­extre­men Hip­stern der „Iden­ti­tä­ren“ und ande­ren rech­ten Akteu­ren zuhö­ren. Ihre Plä­ne sind offen­sicht­lich. Wir müs­sen den Mund auf­ma­chen, sie ent­lar­ven und uns dage­gen­stel­len. Wer schweigt, macht sich mitschuldig.

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Quel­le: BER­LI­NER MORGENPOST
Ori­gi­nal-Con­tent von: BER­LI­NER MOR­GEN­POST, über­mit­telt durch news aktuell

Foto­credit: Ado­be­Stock 636580692 / Brisystem

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