Der Himmel ist blau, im Stadtpark glitzert der Schnee in der Wintersonne – Birgitta Stauber zu falschem „Krankfeiern“

„Berliner Morgenpost“: Druck löst Probleme nicht. Leitartikel von Birgitta Stauber zu falschem „Krankfeiern“

Der Him­mel ist blau, im Stadt­park glit­zert der Schnee in der Win­ter­son­ne. Jetzt ein Spa­zier­gang mit Lat­te-Mac­chia­to-Pau­se, dann den Tag aus­klin­gen las­sen mit dem Korb Bügel­wä­sche, damit das Wochen­en­de unbe­hel­ligt star­ten kann. Wer kennt das Gefühl nicht nach dem Auf­wa­chen: Hät­te ich doch heu­te frei, statt den Tag mit lan­gen Büro­mee­tings zu ver­brin­gen, eine ver­schnupf­te Kita­grup­pe bei Lau­ne zu hal­ten oder an der Super­markt­kas­se zu sit­zen. Und Hand aufs Herz: Wer hat nicht schon mal tief in sei­nen Kör­per hin­ein­ge­hört, ob sich nicht doch ein leich­tes Hals­krat­zen fin­den lässt, etwas Druck hin­ter den Schlä­fen oder ein Zie­hen im Rücken?

Nun bestä­tigt eine reprä­sen­ta­ti­ve Umfra­ge der Pro­no­via BKK, was wir gefühlt immer schon wuss­ten: Die Mehr­heit der abhän­gig Beschäf­tig­ten – 59 Pro­zent – trifft die­se soge­nann­te Bett­kan­ten-Ent­schei­dung am frü­hen Mor­gen auch mal zuguns­ten des Spa­zier­gangs im Stadt­park und lässt sich krank­schrei­ben. Obwohl sie fit genug wären für den Büro­all­tag, der sich ohne­hin auch vom Home­of­fice aus über­ste­hen lässt. Jeder Zehn­te macht das sogar häu­fig, nur jeder Drit­te nie.

Beson­ders im Ver­dacht sind die Jun­gen, die Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter der Gene­ra­ti­on Z. Sie ach­ten, so das Kli­schee, beson­ders auf ihre Work-Life-Balan­ce und las­sen sich nicht stres­sen, wäh­rend es bei den Baby­boo­mern zum guten Ton gehört, den Burn-out, also die chro­ni­sche Erschöp­fung, wenig nach­hal­tig im Som­mer­ur­laub zu kurieren.

Tat­sa­che ist: Die Ein­stel­lung zur Arbeit ver­än­dert sich, und dar­an haben wohl die Berufs­an­fän­ger, die ihre Schu­le, ihre Aus­bil­dung oder ihr Stu­di­um im Lock­down ver­brach­ten, ihren Anteil. Es sind die Kin­der der Boo­mer, die bei ihren per­ma­nent gestress­ten Eltern groß wur­den: Der Vater kaum da, die Mut­ter mit Halb­tags­job und Care-Arbeit nahe­zu rund um die Uhr beschäf­tigt. Bei­de meist unzu­frie­den mit den Auf­ga­ben, den Kol­le­gen, den Vor­ge­setz­ten – und doch schlep­pen sie sich noch mit dem Kopf unter dem Arm ins Büro. Für vie­le jun­ge Men­schen heut­zu­ta­ge ist das Modell kein Vor­bild mehr, womög­lich ist es aber auch der Pan­de­mie geschul­det, dass sie mehr Acht­sam­keit gegen­über sich selbst zeigen.

Völ­lig falsch wäre es nun, wenn Chefs und Che­fin­nen die Dienst­plä­ne durch­ge­hen, die Kran­ken­ta­ge zäh­len und Druck machen. Denn genau der Druck ist es, vor dem man­che Beschäf­tig­te flie­hen oder zumin­dest flie­hen wol­len. Dazu das Gefühl, dass die eige­ne Leis­tung nicht aner­kannt wird, dass man bei inter­es­san­ten Auf­ga­ben oder Kar­rie­re­schrit­ten über­gan­gen wird und der Arbeits­all­tag von unlieb­sa­men Rou­ti­nen geprägt ist.

Das ist alles nicht neu, doch die Gene­ra­ti­on, die das bis­lang immer aus­ge­hal­ten hat, ist dabei, in Ren­te zu gehen. Offen­bar reagie­ren inzwi­schen mehr Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mer mit Rück­zug, und dazu gehört eben auch, dass sie es an man­chen Tagen ein­fach men­tal nicht schaf­fen, die­se Miss­ach­tung und auch Lan­ge­wei­le aus­zu­hal­ten – und sich krank­mel­den. Ande­re suchen sich einen neu­en Job, was ange­sichts des Fach­kräf­te­man­gels oft­mals viel schnel­ler geht, als es Arbeit­ge­bern lieb ist.

Letzt­lich läuft es zwi­schen Arbeit­neh­mern und Arbeit­ge­bern wie in ande­ren Bezie­hun­gen auch: Ist sie intakt, über­wiegt das gute Gefühl, ist der All­tag erfül­lend, hält sie auch den ein oder ande­ren Frust aus. Ist sie zer­rüt­tet, sickert das schlech­te Gefühl wie eine toxi­sche Injek­ti­on in Kör­per und Geist. Kommt dann noch der Schnup­fen dazu, fällt die Bett­kan­ten-Ent­schei­dung leicht.

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Quel­le: BER­LI­NER MORGENPOST
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Foto­credit: Ado­be­Stock 58792643 / Brisystem

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