Peter Liese … allerhöchste Zeit das Problem zu lösen: Kommissionsmitteilung zur Arzneimittelknappheit

Peter Lie­se: Es wird aller­höchs­te Zeit, dass Euro­pa das Pro­blem gemein­sam anpackt …

Die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on wird am Diens­tag in einer Mit­tei­lung umfas­sen­de Maß­nah­men zur Bekämp­fung des Medi­ka­men­ten­man­gels in der Euro­päi­schen Uni­on vor­schla­gen. Der Man­gel von vie­len Arz­nei­mit­teln wie etwa Anti­bio­ti­ka­saft für Kin­der sowie Pati­en­ten, die an Herz­er­kran­kung oder psy­chi­schen Erkran­kun­gen oder Krebs lei­den hat in den letz­ten Jah­ren in der gesam­ten Euro­päi­schen Uni­on zuge­nom­men. Immer häu­fi­ger hören Pati­en­ten oder Eltern in der Apo­the­ke die Aus­sa­ge: „Die­ses Prä­pa­rat ist gera­de nicht lieferbar“.

Dazu erklär­te der süd­west­fä­li­sche Euro­pa­ab­ge­ord­ne­te und Arzt Dr. Peter Liese:

„Es ist ein Skan­dal, wenn in einem rei­chen Land wie Deutsch­land oder einem rei­chen Kon­ti­nent wie Euro­pa wich­ti­ge Arz­nei­mit­tel nicht ver­füg­bar sind. Dies führt immer wie­der zu Pro­ble­men und Frust beim Pati­en­ten sowie Eltern von erkrank­ten Kin­dern und bedeu­tet eine enor­me Belas­tung für Ärz­te, Apo­the­ker und sons­ti­ges medi­zi­ni­sches Per­so­nal. Lei­der haben sich alle euro­päi­schen Insti­tu­tio­nen in den letz­ten Jah­ren zu wenig dar­um geküm­mert. War­nun­gen, die vie­le Exper­ten schon seit min­des­tens vier Jah­ren äußern, wur­den nicht aus­rei­chend gehört. Ich ärge­re mich noch heu­te dar­über, dass ein Antrag, den ich schon im Jahr 2019 im Aus­schuss für Umwelt und Gesund­heit des EU Par­la­ments gestellt habe von den ande­ren Frak­tio­nen, mit der Aus­sa­ge: „Für so ein The­ma haben wir kei­ne Zeit, weil wir uns um den Green Deal küm­mern müs­sen“, abge­lehnt wur­de. Mitt­ler­wei­le ist das Pro­blem so groß, dass nie­mand mehr die Augen davor ver­schlie­ßen kann“.

Bei einem Arbeits­ein­satz in der Kin­der­kli­nik Pader­born hat Peter Lie­se Anfang des Jah­res mit eige­nen Augen gese­hen, zu wel­chen dra­ma­ti­schen Kon­se­quen­zen der Man­gel führt.

In der ohne­hin über­füll­ten Kin­der­kli­nik lagen ein­zel­ne Kin­der nur des­halb noch sta­tio­när, weil es das Anti­bio­ti­kum, was sie brauch­ten, nicht als Saft, son­dern nur als Injek­ti­on gab. Lie­se erwar­tet von der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on ein Bün­del von Maß­nah­men. Dazu zäh­len kurz­fris­ti­ge Maß­nah­men wie die Fle­xi­bi­li­sie­rung der Regeln, was die Spra­che auf der Ver­pa­ckung von Arz­nei­mit­teln angeht, sowie eine inten­si­ve Zusam­men­ar­beit der EU-Mit­glied­staa­ten im Fal­le von kurz­fris­ti­gen Engpässen.

Oft sind Medi­ka­men­te, die in einem EU-Land knapp sind bei einem ande­ren noch ver­füg­bar und hier muss man unbü­ro­kra­tisch han­deln. Wenn die Packungs­bei­la­ge nicht auf Deutsch, son­dern in einer ande­ren EU-Amts­spra­che ver­füg­bar ist, ist das zwar miss­lich und bedeu­tet zusätz­li­che Arbeit für das medi­zi­ni­sche Per­so­nal aber es ist bes­ser als wenn das Medi­ka­ment über­haupt nicht vor­han­den ist. Ich appel­lie­re an Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, sowie Eltern, hier den behan­deln­den Ärz­ten und den Apo­the­kern ver­trau­en. Wie oft in der Medi­zin, wenn ein Pro­blem jah­re­lang ver­nach­läs­sigt wur­de, muss man zunächst ein­mal eine Not­ope­ra­ti­on durch­füh­ren, um einen grö­ße­ren Scha­den abzu­wen­den. Dann muss aber die Lang­zeit­the­ra­pie und die Prä­ven­ti­on einsetzen.

Bezo­gen auf den Medi­ka­men­ten­man­gel heißt das, dass wir weg müs­sen von der Billigmentalität. 

Vor allem in Deutsch­land, aber auch in ande­ren euro­päi­schen Mit­glied­staa­ten wur­de bei der Aus­schrei­bung der Kran­ken­kas­sen bezie­hungs­wei­se der staat­li­chen Gesund­heits­sys­te­me prak­tisch nur auf den Preis geach­tet. Es gibt Medi­ka­men­te, bei denen sich die Tages­the­ra­pie­kos­ten bei einem Cent lie­gen. Für die­sen Preis kön­nen euro­päi­sche Her­stel­ler die Pro­duk­te nicht anbie­ten, wes­halb ein Groß­teil der Pro­duk­ti­on nach Indi­en und Chi­na ver­la­gert wur­de. Dies hat uns in eine uner­träg­li­che Abhän­gig­keit von die­sen Län­dern gebracht.  Um das zu ändern, müs­sen in allen EU-Mit­glied­staa­ten bei allen rele­van­ten Medi­ka­men­ten die Aus­schrei­bun­gen so gestal­tet wer­den, dass nicht nur der Preis, son­dern auch die Zuver­läs­sig­keit der Lie­fer­ket­te und opti­ma­ler Wei­se die Pro­duk­ti­on in der Euro­päi­schen Uni­on hono­riert wird. Was die Mit­glied­staa­ten, inklu­si­ve Deutsch­land bis­her machen, ist Stück­werk. Die Maß­nah­men, die zum Bei­spiel in Deutsch­land auf Vor­schlag von Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Lau­ter­bach auf den Weg gebracht wur­den betref­fen nur weni­ge Medi­ka­men­te und sie sind nicht euro­pä­isch abge­stimmt. Die Kos­ten­trä­ger fra­gen zurecht, wer eine Fabrik für Arz­nei­mit­tel in Euro­pa baut, wenn nur Deutsch­land und nur bei bestimm­ten Medi­ka­men­ten die Pro­duk­ti­on in Euro­pa hono­riert. Daher ist ein koor­di­nier­ter euro­päi­scher Ansatz hier über­fäl­lig“, so der Arzt und Europaabgeordnete.

Prof. Dr. Frank Ulrich Mont­go­me­ry, Ehem. Vor­sit­zen­der des Vor­stands, Welt­ärz­te­bund und Ehren-Prä­si­dent der Bundesärztekammer:

„Wir ste­hen vor einem kla­ren Markt­ver­sa­gen, wel­ches beson­ders bei Medi­ka­men­ten sicht­bar wird, die teu­er oder auf­wän­dig zu pro­du­zie­ren sind. Die­se Situa­ti­on zwingt uns das der­zei­ti­ge Markt­ge­sche­hen kri­tisch zu über­den­ken, da es im Kon­flikt mit unse­rer Daseins­vor­sor­ge steht. Es sind häu­fig die­sel­ben Unter­neh­men, die nach dem Ver­lust des Patent­schut­zes ihre Pro­duk­ti­ons­stät­ten nach Chi­na oder Indi­en ver­le­gen. Die Coro­na-Pan­de­mie hat die Risi­ken sol­cher Abhän­gig­kei­ten auf­ge­zeigt. Daher ist es ent­schei­dend, bestimm­te Pro­duk­ti­ons­ket­ten zurück nach Euro­pa zu ver­la­gern. Unser Fokus soll­te auf einer Stra­te­gie lie­gen, die nicht nur eine Lis­te not­wen­di­ger Medi­ka­men­te beinhal­tet, son­dern auch natio­na­le oder euro­päi­sche Bevor­ra­tun­gen, sowie die Ver­pflich­tung der Phar­ma­in­dus­trie zur Aut­ar­kie und gesi­cher­ten Lie­fer­ket­ten einschließt.“

Tho­mas Rochell, Vor­stands­vor­sit­zen­der des Apo­the­ker­ver­ban­des West­fa­len-Lip­pe und Inha­ber der Vital-Apo­the­ke in Bever­un­gen im Kreis Höxter:

„Seit Jah­ren erle­ben wir in der ambu­lan­ten Ver­sor­gung Pro­ble­me mit Arz­nei­mit­tel­lie­fe­run­gen, wobei Rabatt­ver­trä­ge nur ein Teil des Pro­blems sind. Die Pan­de­mie hat die Fra­gi­li­tät unse­rer Lie­fer­ket­ten und die Gefahr von Abhän­gig­kei­ten, beson­ders von Län­dern wie Indi­en und Chi­na, ver­stärkt her­vor­ge­ho­ben. Wir sind Zeu­gen einer über­trie­be­nen Öko­no­mi­sie­rung in der Daseins­vor­sor­ge, sei es in Kli­ni­ken, Arzt­pra­xen oder Apo­the­ken. Wenn der Fokus nur auf den Preis gerich­tet ist, reagiert der Markt ent­spre­chend. Poli­ti­sche Ver­su­che, das Pro­blem zu lösen, haben bis­lang eher zu Büro­kra­tie­mons­tern geführt, die die Ver­sor­gung in der Flä­che nicht erleich­tern, son­dern erschwe­ren. Alter­na­ti­ven sind oft nur zweit­ran­gi­ge Lösun­gen, die nicht opti­mal sind. Euro­pa muss zusam­men­ar­bei­ten und über­le­gen, wie und wo bestimm­te Wirk­stof­fe wie­der regio­nal pro­du­ziert wer­den können.“

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Quel­le: Die­ter Ber­ger, Euro­pa­bü­ro für Süd­west­fa­len und das Hoch­stift, Mesche­de 

Bild: Peter Lie­se beim Arbeits­ein­satz in der Kin­der­kli­nik Pader­born Anfang 2023
Foto: Ado­be­Stock 120825068 / Peter Lie­se / Brisystem

 

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