Kanzler, übernehmen Sie! Weil Washington als Partner ausfällt, ist Scholz nun in Europa gefordert

Kanzler, übernehmen Sie! Weil Washington als Partner ausfällt, ist Scholz nun in Europa gefordert “Leitartikel von Jan Dörner”

“Euro­pa trägt glo­ba­le Ver­ant­wor­tung”: So hat es Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz vor weni­gen Mona­ten im Euro­pa­par­la­ment gesagt. Für Deutsch­land und die ande­ren euro­päi­schen Staa­ten ist nun erneut deut­lich gewor­den, dass sol­che Sät­ze kei­ne lee­ren For­meln sein dür­fen. Die Revol­te einer Grup­pe nach Auf­merk­sam­keit und Cha­os gie­ren­der US-Repu­bli­ka­ner um den Hard­li­ner Matt Gaetz führt der Welt vor Augen, wie fra­gil und unver­läss­lich das poli­ti­sche Sys­tem in den USA gewor­den ist. Donald Trump und sei­ne Zög­lin­ge haben die­se alt­ehr­wür­di­ge Demo­kra­tie an den Rand zur Dys­funk­tio­na­li­tät geführt.

Der his­to­ri­sche Sturz des Vor­sit­zen­den des US-Reprä­sen­tan­ten­hau­ses, Kevin McCar­thy, durch Trumps Blut­hun­de in sei­ner eige­nen Par­tei hat das Par­la­ment in Washing­ton ins Cha­os gestürzt. Für die USA ist das eine dunk­le Stun­de. Die Ereig­nis­se sen­den jedoch Schock­wel­len über die Gren­zen der Groß­macht hin­aus. Die Arbeit in der Par­la­ments­kam­mer steht nun still, bis die Nach­fol­ge an der Spit­ze des Hau­ses gere­gelt ist. Damit steu­ern die USA nicht nur auf eine Haus­halts­sper­re zu, Exper­ten war­nen vor den Fol­gen für die Welt­wirt­schaft, soll­te die­ses Sze­na­rio nun nicht abge­wen­det wer­den können.

Auch wei­te­re Mili­tär­hil­fen der USA für die Ukrai­ne lie­gen mit dem Cha­os im Reprä­sen­tan­ten­haus auf Eis. Die Ukrai­ne ist ohne die mili­tä­ri­sche Hil­fe aus dem Aus­land chan­cen­los im Krieg mit Russ­land. Bis­her sind die USA vor Deutsch­land und Groß­bri­tan­ni­en bei Wei­tem der größ­te Unter­stüt­zer des Lan­des. Die aktu­el­le Unsi­cher­heit über die wei­te­ren Hil­fen aus den USA ist ein Vor­ge­schmack auf das, was dem Land im Fal­le einer Wie­der­wahl von Donald Trump dro­hen würde.

Nicht nur wür­de in dem Land das poli­ti­sche Cha­os wie­der an der Tages­ord­nung sein, die USA fie­len auch als ver­läss­li­cher Ver­bün­de­ter aus. Wie schnell aber auch einem demo­kra­ti­schen US-Prä­si­den­ten auf­grund der poli­ti­schen Zer­ris­sen­heit des Lan­des die Hän­de gebun­den sein kön­nen, zeigt der Sturz McCarthys.

Deutsch­land und die ande­ren euro­päi­schen Staa­ten müs­sen sich bereits jetzt auf die Mög­lich­keit vor­be­rei­ten, dass Trump die US-Prä­si­dent­schafts­wahl in einem Jahr gewinnt. Was heißt das für ihre Unter­stüt­zung der Ukrai­ne? Wie geschlos­sen ste­hen die Euro­pä­er zusam­men – gegen­über Trump, aber auch gegen­über Chi­na und natür­lich Russ­land? Die­se Fra­gen kön­nen nicht erst geklärt wer­den, wenn es so weit ist. In der aktu­el­len Welt­la­ge ist es drin­gend erfor­der­lich, in Sze­na­ri­en zu den­ken und zu pla­nen. “Wie sor­gen wir dafür, dass der Frie­den in der Welt gesi­chert wer­den kann, und wie kön­nen wir Krieg ver­mei­den?”, frag­te Scholz beim Besuch der Ver­ein­ten Natio­nen. “Das gilt ganz beson­ders im Hin­blick auf die Fra­ge des rus­si­schen Krie­ges gegen die Ukrai­ne.” Ant­wor­ten wer­den Deutsch­land und ande­re euro­päi­sche Staa­ten in Zukunft stär­ker selbst geben müs­sen, ohne sich dabei auf die USA ver­las­sen zu können.

Wie groß und schwie­rig die­se Auf­ga­be für Euro­pa ist, las­sen die Ris­se in der euro­päi­schen Einig­keit erahnen.

Ungarn, Polen und nun nach dem Wahl­sieg eines russ­land­freund­li­chen Popu­lis­ten auch die Slo­wa­kei dro­hen Kei­le in den euro­päi­schen Block zu trei­ben. Zur Freu­de Putins, zum Schre­cken der Ukrai­ne. Es gibt den viel zitier­ten Aus­spruch von Olaf Scholz zur Füh­rung, die man bei ihm bestel­len kön­ne. Die­ses Zitat ist ihm schon oft vor­ge­hal­ten wor­den, wenn der Ein­druck feh­len­der Füh­rung ent­stan­den war. Euro­pa braucht nun Füh­rung. Und es ist an der Zeit, dass Deutsch­land Ver­ant­wor­tung übernimmt.

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BER­LI­NER MOR­GEN­POST, Redaktion
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