Die Wiedervereinigungsparty zum 3. Oktober hat sich überholt – Feiern reicht nicht!

Berliner Morgenpost/​Feiern reicht nicht!/Leitartikel von Jörg Quoos

Deutsch­land hat den Tag der Deut­schen Ein­heit mit einem rou­ti­nier­ten Fest­pro­gramm im wun­der­ba­ren Ham­burg began­gen. Fest­got­tes­dienst im Michel, Fami­li­en­fo­to der Ver­fas­sungs­or­ga­ne vor der Elb­phil­har­mo­nie, ein Bür­ger­fest. So weit, so schön.

Aber in die Fest­tags­stim­mung hat sich doch die Sor­ge gemischt, dass das Land poli­tisch wei­ter aus­ein­an­der­drif­tet. Wer die Zustim­mungs­wer­te der Umfra­ge­insti­tu­te stu­diert, kann leicht erken­nen, dass ent­lang der ehe­mals deutsch-deut­schen Gren­ze sich ein poli­ti­scher Gra­ben auf­tut. Der Bei­fall für rech­te und rechts­extre­me Popu­lis­ten ist im Osten beson­ders groß. Das lässt für die Land­tags­wah­len nächs­tes Jahr in Sach­sen, Thü­rin­gen und Bran­den­burg nichts Gutes erwarten.

Vie­le Men­schen wer­den die Wahl nut­zen, um der Poli­tik einen Denk­zet­tel zu ver­pas­sen. Das wäre nicht klug, weil die Poli­tik der AfD gera­de weni­ger Pri­vi­le­gier­ten oder ver­meint­lich Abge­häng­ten nicht viel bie­tet. Aber dass es Unzu­frie­den­heit gibt, hängt sicher mit Ver­säum­nis­sen zusam­men, die eine von über­wie­gend West­deut­schen domi­nier­te Poli­tik zu ver­ant­wor­ten hat.

Jahr für Jahr lis­tet der Bericht zum Stand der deut­schen Ein­heit die Defi­zi­te auf, nur ech­te Kon­se­quen­zen zieht nie­mand dar­aus. An zu vie­len Stel­len ist der Osten noch nicht auf Augen­hö­he. Das liegt in der Ver­ant­wor­tung der Ampel, aber geht über­wie­gend auf das Kon­to einer Regie­rung, die 16 Jah­re lang von einer Ost­deut­schen geführt wur­de. Aber eine Frau im mäch­tigs­ten Amt reich­te und reicht nicht. Die Lis­te der Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten mit ost­deut­scher Bio­gra­phie in Poli­tik, Wirt­schaft – auch in den Medi­en – ist 33 Jah­re nach der Ein­heit viel zu kurz.

Daher ist es höchs­te Zeit, dass sich Poli­tik und die Ver­fas­sungs­or­ga­ne Gedan­ken machen, wie man die ritua­li­sier­ten Ein­heits­fei­ern der ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­te zu einer Ver­an­stal­tung macht, die hilft, die inne­re Ein­heit wirk­lich zu voll­enden. Die neue Erkennt­nis­se aus der deut­schen See­le lie­fert, Fra­gen auf­wirft, Debat­ten entzündet.

Das For­mat der Wan­der­par­ty hat sich über­holt und könn­te von den Men­schen im Osten nicht abge­ho­be­ner emp­fun­den wer­den als in die­sem Jahr.

Das ist kein Vor­wurf an den Gast­ge­ber Ham­burg, aber schö­ne Bil­der, Fei­er­tags­re­den und ein Bür­ger­fest mit Musik und Ver­kehrs­kas­per für die Kin­der sind im Jahr 33 nach Wie­der­ver­ei­ni­gung kei­ne Ant­wort auf die Pro­ble­me, die sich im Osten auf­tun. Der Bun­des­prä­si­dent for­dert eine selbst­kri­ti­sche Bilanz und sagt in den Tages­the­men, „vie­le Ost­deut­sche haben das Gefühl, dass sie nicht gehört und nicht gese­hen wer­den“. Die Erkennt­nis ist so alt wie die Ein­heit – aber was folgt kon­kret daraus?

Solan­ge radi­ka­le Kräf­te der­art schnell wach­sen, dür­fen wir mit dem Werk der deut­schen Ein­heit nicht zufrie­den sein. Wirt­schaft­lich ist der Osten weit gekom­men, aber der Geld­beu­tel allei­ne macht noch kei­nen zufrie­de­nen und selbst­be­wuss­ten Men­schen. Mehr Respekt vor der Lebens­leis­tung, ech­tes Inter­es­se für­ein­an­der und kon­kre­te Mecha­nis­men, die mehr Ost­deut­sche in Füh­rungs­po­si­tio­nen brin­gen, sind mehr als über­fäl­lig. Da ist die ope­ra­ti­ve Poli­tik gefor­dert, die bis­lang für jede noch so klei­ne Min­der­heit gro­ße Lösun­gen fand.

Die Fei­er­tags­re­den zum Tag der Deut­schen Ein­heit beschrei­ben nur wohl­klin­gend das Pro­blem. Jetzt muss die Umset­zung her, sonst wird der Gra­ben zwi­schen Ost und West noch tiefer.

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Quel­le: BER­LI­NER MOR­GEN­POST, Redaktion
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