Bürokratie-Explosion im Gesundheitswesen – Zwischen ahnungs- und verantwortungslos!

Bürokratie-Explosion im Gesundheitswesen – täuscht der Minister beim Digitalgesetz die Öffentlichkeit?

Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Lau­ter­bach teil­te nach der Kabi­netts­klau­sur in der ver­gan­ge­nen Woche mit, dass das Kabi­nett das Digi­tal­ge­setz beschlos­sen habe. Bri­sant dabei: Ohne wei­te­re Erklä­run­gen wur­de in den Erläu­te­run­gen zur Büro­kra­tie­fol­gen­ab­schät­zung die benö­tig­te Arzt­zeit für die Befül­lung der elek­tro­ni­schen Pati­en­ten­ak­te (ePA) von drei Minu­ten auf eine Minu­te mas­siv abge­senkt – pro Patientin/​Patient und Quar­tal. Die Freie Ärz­te­schaft (FÄ) äußert sich dazu mit fas­sungs­lo­sem Unverständnis.

Laut Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um wür­den sich dem­nach die admi­nis­tra­ti­ven Befül­lungs­kos­ten der Akten von jähr­lich knapp 900 auf knapp 300 Mil­lio­nen Euro ver­rin­gern. Dabei wären die Erst­be­fül­lung der elek­tro­ni­schen Pati­en­ten­ak­te (ePA) und wei­te­re Befül­lun­gen im Quar­tals­ver­lauf, die bei­spiels­wei­se bei neu­en Dia­gno­sen oder geän­der­ter Medi­ka­ti­on erfor­der­lich wären, kom­plett inklusive.

Argu­men­ta­ti­on mit „Fake-Zah­len“ statt mit soli­den Fakten

Wie­land Diet­rich, Vor­sit­zen­der der Frei­en Ärz­te­schaft, erläu­tert dazu: „Die Fra­ge, wie auf­wän­dig Erst­be­fül­lung und Fol­ge­be­fül­lun­gen der elek­tro­ni­schen Pati­en­ten­ak­te sind, hat Herr Lau­ter­bach gar kei­ner sach­li­chen Prü­fung unter­zo­gen. Er agiert mit inhalts­lee­ren Zah­len – und selbst die wer­den – damit die Büro­kra­tie­kos­ten nied­ri­ger aus­se­hen – noch schön­ge­färbt. Der Minis­ter ver­stößt damit gegen die Gemein­sa­me Geschäfts­ord­nung von Bun­des­mi­nis­te­ri­en, wonach beim For­mu­lie­ren von Rechts­nor­men eine Geset­zes­fol­gen­ab­schät­zung vor­zu­neh­men ist.“

Die­se beinhal­te bereits bei der Geset­zes­pla­nung eine Ana­ly­se des Rege­lungs­fel­des – die bezüg­lich des tat­säch­li­chen Auf­wands für die Befül­lung einer ePA aber offen­bar gar nicht erfolgt sei. „Hier wer­den ganz offen­sicht­lich Fake-Zah­len in den Raum gestellt – dies ist eine Täu­schung, weil es ganz offen­sicht­lich nicht zur Rea­li­tät passt!“, so Dietrich.

Gewis­sen­haf­te ePA-Erst-Befül­lun­gen unter 10 Minu­ten nicht machbar

Der FÄ-Vor­sit­zen­de und in Essen nie­der­ge­las­se­ne Der­ma­to­lo­ge erläu­tert aus der ärzt­li­chen Pra­xis her­aus wei­ter: „Die ePA ist eine Akte, die neben der Arzt­do­ku­men­ta­ti­on geführt wird, wenn der Pati­ent sie haben möch­te. Es ist eine kom­ple­xe Auf­ga­be für jeden Behand­ler, sie unter Berück­sich­ti­gung der Pati­en­ten­wün­sche feh­ler­frei zu befül­len. Es han­delt sich schließ­lich um ein Doku­ment. Die Erst­be­fül­lung ist unter 10 Minu­ten kei­nes­falls zu leis­ten – Fol­ge­än­de­run­gen dau­ern jeweils meh­re­re Minu­ten on top!“

Die Büro­kra­tie frisst Behandlungszeit

Der Bon­ner Rechts­an­walt Dirk Wachen­dorf hat für die Freie Ärz­te­schaft die Stei­ge­rung des Büro­kra­tie­auf­wan­des berech­net: „Nach Anga­ben der Kas­sen­ärzt­li­chen Bun­des­ver­ei­ni­gung leis­ten die ca. 150.000 Ver­trags­ärz­te jähr­lich bei etwa 360 Mil­lio­nen Behand­lungs­fäl­len (Pati­en­ten pro Quar­tal) im Jahr etwa 55,8 Mil­lio­nen Net­to­ar­beits­stun­den an Büro­kra­tie­auf­wand, rech­ne­risch ergibt das pro Patient/​Behandlungsfall 9,3 Minu­ten Arzt­zeit. Für einen Pati­en­ten mit ePA wür­de die­ser Büro­kra­tie­auf­wand selbst bei einem Ansatz von nur einer Minu­te um 11,58 Pro­zent stei­gen, ohne den Auf­wand der Erstbefüllung.“

Mehr­auf­wand statt Entlastung

Hin­zu käme laut Medi­zin­recht­ler Wachen­dorf der wei­te­re bis dato nicht bezif­fer­te Auf­wand der Ärz­tin­nen und Ärz­te, die neben der nach wie vor not­wen­di­gen übli­chen Ana­mne­se dann zusätz­lich auch die ePA auf­wän­dig sich­ten müss­ten und auf deren Voll­stän­dig­keit sie sich aller­dings nicht ver­las­sen dürf­ten, da die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten in die­ser elek­tro­ni­schen Akte eigen­mäch­tig Daten ent­fer­nen oder hin­zu­fü­gen könn­ten. Wachen­dorf dazu: „Aus juris­ti­scher Sicht ist durch die ePA kei­ner­lei Ent­las­tung für den Arzt in Sicht, son­dern das Gegenteil.“

FÄ-Vor­sit­zen­der Wie­land Diet­rich erläu­tert: „Eine Minu­te ePA-Befül­lung stiehlt damit bereits über zehn Pro­zent der Behand­lungs­zeit für die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten. Dass der Ansatz von einer Minu­te absurd nied­rig ange­setzt ist, liegt auf der Hand. Bei eigent­lich erfor­der­li­chen zehn Minu­ten für die Erst­be­fül­lung frisst die Büro­kra­tie im Prin­zip die gesam­te Behand­lungs­zeit der Ver­trags­ärz­tin­nen und Ver­trags­ärz­te für ihre Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten.“ Es dro­he laut des FÄ-Vor­sit­zen­den der abso­lu­te Gau für die Behand­lung von gesetz­lich, aber auch von pri­vat ver­si­cher­ten Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten. Umso mehr, je mehr Men­schen eine ePA bestell­ten, um die sich der Arzt oder die Ärz­tin dann küm­mern müssten!

Zwi­schen ahnungs- und verantwortungslos!

„Dies zeigt, dass Minis­ter Lau­ter­bach im bes­ten Fall ahnungs­los – jeden­falls aber völ­lig ver­ant­wor­tungs­los – mit den begrenz­ten Res­sour­cen in der ambu­lan­ten Medi­zin umgeht. Mas­siv zuneh­men­de War­te­zei­ten wären die Fol­ge!“, bringt Diet­rich es auf den Punkt.

Die For­de­rung der Frei­en Ärz­te­schaft lau­tet daher: Medi­zin statt Büro­kra­tie! Den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten sei vor die­sem Hin­ter­grund im eige­nen Inter­es­se strikt vom Ein­satz einer ePA abzu­ra­ten – Ärz­te wür­den die­se unter den gege­be­nen Bedin­gun­gen mehr­heit­lich auch nicht ansatz­wei­se ordent­lich befül­len kön­nen. Unvoll­stän­di­ge, ver­än­der­te oder feh­ler­haf­te Pati­en­ten­ak­ten könn­ten aller­dings selbst zu einem Risi­ko für die Pati­en­ten­si­cher­heit werden.

Über die Freie Ärz­te­schaft e.V.

Die Freie Ärz­te­schaft e. V. (FÄ) ist ein Ver­band, der den Arzt­be­ruf als frei­en Beruf ver­tritt. Er wur­de 2004 gegrün­det und zählt heu­te mehr als 2.000 Mit­glie­der: vor­wie­gend nie­der­ge­las­se­ne Haus- und Fach­ärz­te sowie ver­schie­de­ne Ärz­te­net­ze. Vor­sit­zen­der des Bun­des­ver­ban­des ist Wie­land Diet­rich, Der­ma­to­lo­ge in Essen. Ziel der FÄ ist eine unab­hän­gi­ge Medi­zin, bei der Pati­ent und Arzt im Mit­tel­punkt ste­hen und die ärzt­li­che Schwei­ge­pflicht gewahrt bleibt.

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Quel­le: V .i. S. d. P.: Wie­land Diet­rich, Vor­sit­zen­der, Freie Ärz­te­schaft e.V.
Ori­gi­nal-Con­tent von: Freie Ärz­te­schaft e.V., über­mit­telt durch news aktuell

Foto­credit: Ado­be­Stock 54332099 / Brisystem

 

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