Der Koalition fehlt das Gespür für den richtigen Ton in turbulenten Zeiten. Leitartikel von Christian Unger zum Elterngeld

„Berliner Morgenpost“: Der falsche Ton der Ampel – Leitartikel von Christian Unger zum Elterngeld

Auf dem poli­ti­schen Lehr­plan ist das Fach „Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on“ ein Leis­tungs­kurs, sie ist der Kern klu­gen Regie­rens. Im Zwi­schen­zeug­nis steht hier für die Ampel aus SPD, Grü­nen und FDP aller­dings nur ein „man­gel­haft“. Der Koali­ti­on fehlt das Gespür für den rich­ti­gen Ton in tur­bu­len­ten Zeiten.

Wir haben das gera­de erlebt: Inmit­ten von Kri­sen (erst Pan­de­mie, dann Krieg, dann Infla­ti­on oben­drauf) sorgt die Bun­des­re­gie­rung nicht für einen Moment des Luft­ho­lens, son­dern holt ein halb fer­ti­ges, ner­ven­auf­rei­ben­des Hei­zungs­ge­setz aus der Kis­te, das den Blut­druck der Repu­blik wei­ter nach oben treibt.

Feh­ler pas­sie­ren. Die Regie­rung kor­ri­giert das Hei­zungs­ge­setz. Aber Feh­ler soll­ten sich nicht zu oft wie­der­ho­len. Nun streicht die Ampel das Eltern­geld für 60.000 Fami­li­en – aus­ge­rech­net das poli­ti­sche Instru­ment, das Geschlech­ter­gleich­heit vor­an­brin­gen soll. Eine För­de­rung, die eben genau jene Paa­re zu mehr Kin­dern bewe­gen soll­te, die Kar­rie­re machen und viel Geld verdienen.

Wenn die Poli­tik in den Kern­be­reich der Fami­lie ein­greift, dann soll­te sie das immer erklä­ren. Und nicht nur ver­kün­den. Hier zeigt das Scholz-Kabi­nett Defi­zi­te. Und man wird dem Bun­des­kanz­ler bei der Kom­mu­ni­ka­ti­on ins Zeug­nis schrei­ben: Hat sich stets bemüht – und es doch sel­ten gut gemacht.

Der schwei­gen­de Scholz ist die eine Sei­te. Die ande­re Sei­te schreit gera­de laut auf: die betrof­fe­nen Eltern, Best­ver­die­ner mit einem zu ver­steu­ern­den (!) Jah­res­ein­kom­men von 150.000 Euro im Jahr pro Haus­halt. Wir reden nicht über die Mit­tel­schicht, die nun abge­straft wird. Das Gros der Deut­schen in Voll­be­schäf­ti­gung ver­dient etwas mehr als 3000 Euro brut­to im Monat, das durch­schnitt­li­che Gehalt liegt laut Sta­tis­tik­amt bei gut 4000 Euro.

Die geplan­te Strei­chung des Eltern­gelds trifft Men­schen, die bis­her ein finan­zi­ell sor­gen­frei­es Leben füh­ren. Bekom­men die­se Part­ner­schaf­ten nun ein Kind, ist der erzwun­ge­ne Ver­zicht auf 1800 Euro Eltern­geld pro Monat den­noch ein gra­vie­ren­der Ein­schnitt. Es ist aber einer, den sie leis­ten müs­sen. Denn der Staat gibt gera­de enor­me Sum­men aus, etwa für Sicher­heit und Rüs­tung ange­sichts der rus­si­schen Aggres­sio­nen. Und der Staat hat mit Mil­li­ar­den in der Pan­de­mie ausgeholfen.

Die Schul­den­brem­se ist kei­ne Rand­no­tiz des Regie­rungs­han­delns, und die Poli­tik muss den Gür­tel enger schnal­len. Krieg, Kli­ma­kri­se, Infla­ti­on – es ist eine har­te Zeit, die auch Men­schen mit gutem Geld in ihrem Porte­mon­naie spü­ren wer­den. Viel­leicht vor allem sie, denn bei ärme­ren Schich­ten gibt der Staat ohne­hin schon nur das Nötigs­te: Wer etwa Sozi­al­hil­fe bekommt, dem wird das Eltern­geld voll­stän­dig angerechnet.

Und doch: Mit der Eltern­geld-Reform wird ein Hebel im Kampf gegen die altern­de Bevöl­ke­rung und den Fach­kräf­te­man­gel ange­bro­chen. Es gibt ein­zel­ne Stu­di­en zum Eltern­geld. Sie zei­gen Stär­ken und Schwä­chen: Seit der Ein­füh­rung 2007 ist die Gebur­ten­ra­te leicht gestie­gen, aller­dings ist eine kau­sa­le Ver­bin­dung zum Eltern­geld unein­deu­tig. Frau­en gehen frü­her in den Job zurück, das ist ein Erfolg. Zugleich neh­men noch immer weni­ge Väter mehr als zwei Mona­te Elternzeit.

Und da beginnt das eigent­li­che Pro­blem: Väter sind noch immer zu wenig enga­giert bei der Kin­der­er­zie­hung – gera­de in den ers­ten Mona­ten und Jah­ren nach der Geburt des Nach­wuch­ses. Die Debat­te über die Strei­chung des Eltern­gelds wirkt bei man­chen wie eine Aus­re­de dafür, dass „Mann“ sich wei­ter auf sei­ne Kar­rie­re konzentriert.

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Quel­le: BER­LI­NER MOR­GEN­POST, Redaktion
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