Der 62-jährige Pistorius soll Christine Lambrecht nachfolgen, die dem Amt sichtlich nicht gewachsen war und ihren Posten zur Verfügung stellt.
So wie man Olaf Scholz kennt, wird er gerade still in sich hineinfeixen. Vielleicht auch mit einem Anflug jenes schlumpfigen Grinsens, für das er bekannt ist. Denn dem Kanzler ist ein Coup gelungen: Mit dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius hat er einen Sozialdemokraten für die Führung des Bundesverteidigungsministeriums ausgewählt, den in den vergangenen Tagen niemand auf dem Schirm hatte. So etwas gefällt Scholz, der sich ungern öffentlich treiben lässt. Der 62-jährige Pistorius soll Christine Lambrecht nachfolgen, die dem Amt sichtlich nicht gewachsen war und ihren Posten zur Verfügung stellt.
Ob Pistorius als Verteidigungsminister reüssiert, wird man sehen müssen. Das Amt ist ein Schleudersitz.
Es hat etliche Politiker verschlissen, auch vor Lambrecht. Pistorius hat keine Erfahrung in der Verteidigungspolitik und ist bislang nicht auf internationaler Bühne in Erscheinung getreten. Für ihn spricht aber, dass er seit zehn Jahren Innenminister eines großen Bundeslandes und damit oberster Dienstherr der dortigen Polizei ist. Pistorius kennt sich mit Sicherheitsfragen aus und weiß, was es heißt, ein Ministerium zu führen. Er gilt als zugänglich und bringt Sicherheitskräften großen Respekt entgegen, was ihm dabei helfen wird, einen guten Draht zu den Angehörigen der Bundeswehr aufzubauen. Er ist auch gut in der SPD vernetzt. Das dürfte ihm das Leben im Amt erleichtern. Und wer in Niedersachsen Politik macht, ist vertraut mit den Sorgen und Nöten der Truppe. Es gibt in dem Land zahlreiche Bundeswehrstandorte, die oft ganze Regionen prägen. Kurzum: Zumindest von der Papierform her ist Pistorius eine gute Wahl.
Dem Kanzler scheint all dies wichtiger gewesen zu sein als sein Versprechen, das Kabinett gleichermaßen mit Männern wie mit Frauen zu besetzen. Das ist, wenn man so will, der politische Schönheitsfehler bei der Personalie Pistorius. Angesichts der immensen Herausforderungen, vor der der künftige Minister und die Truppe inmitten einer weltpolitischen Großkrise stehen, ist dies jedoch hinnehmbar.
Auf Boris Pistorius wartet eine Menge Arbeit. Schon in Friedenszeiten ist das Amt ausgesprochen schwierig.
Die Bundeswehr ist in einem desolaten Zustand. Sie leidet unter einer aufgeblähten Verwaltung, ihr fehlt es an funktionsfähigen Waffen, an Munition und Ausrüstung. Der notwendige Komplettumbau der Streitkräfte muss nun unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine geschehen. Nebenbei sind noch Waffenlieferungen an das überfallene Land zu organisieren. Immerhin: Geld für die Bundeswehr gibt es erst einmal, mit dem 100 Milliarden schweren Sondervermögen steht für die kommenden Jahre ein zusätzliches Finanzpolster neben dem Wehretat zur Verfügung. Doch ewig wird das Geld nicht reichen. In der Nato gibt es bereits Bestrebungen, die Mitgliedstaaten auf höhere Verteidigungsaufgaben zu verpflichten. Deutschland wird sich sehr schnell dazu verhalten müssen.
Der Kanzler kann von seinen Ministern Loyalität erwarten.
Also fortan auch vom neuen Hausherrn im Bendlerblock. Vermutlich ist Scholz‘ Wahl auch deshalb auf Pistorius gefallen, weil er davon ausgeht, dass dieser der immensen Aufgabe gewachsen ist, ihm ansonsten aber keinen Ärger macht. Zur Wahrheit gehört allerdings ebenso, dass ein guter Minister regelmäßig nerven muss, um seine Ziele zu erreichen. Und zwar zur Not auch den eigenen Chef. Pistorius wird dafür viele Anlässe haben.
Quelle: BERLINER MORGENPOST
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