Corona stresst 77 Prozent der Schüler

 

Umfrage : Angst vor beruflicher Zukunft und psychischen Störungen

 

bri­lon-total­lo­kal : Han­no­ver : Nicht nur Erwach­se­ne, son­dern auch Kin­der und Jugend­li­che sind in ihrem All­tag Stress und hohen Belas­tun­gen aus­ge­setzt. Laut einer for­sa-Umfra­ge im Auf­trag der KKH Kauf­män­ni­sche Kran­ken­kas­se steht ein Drit­tel der Sechs- bis 18-Jäh­ri­gen dau­er­haft unter Druck. Die Coro­na-Kri­se hat die Situa­ti­on noch ein­mal ver­schärft : 77 Pro­zent der rund 1.000 befrag­ten Müt­ter und Väter sagen, dass die Pan­de­mie ihr Kind belas­tet und zusätz­li­chen Stress aus­löst. In der Grup­pe der Eltern von Zehn- bis Zwölf­jäh­ri­gen haben dies sogar 83 Pro­zent beob­ach­tet. Vie­le Eltern befürch­ten durch die Kri­se zudem lang­fris­ti­ge nega­ti­ve Fol­gen für ihr Kind.

 

Ein­sam­keit und Lan­ge­wei­le größ­te Corona-Stressfaktoren

Sich mona­te­lang nicht mit Freun­den tref­fen und nicht in Ver­ei­nen, Sport- und Musik­grup­pen aktiv sein zu kön­nen, schlägt mehr als 80 Pro­zent der Schü­ler aller Alters­stu­fen auf die See­le. Gut die Hälf­te der Eltern gibt dar­über hin­aus an, dass sich ihr Kind durch das Ler­nen im Home­schoo­ling gestresst fühlt. Unter den Zehn- bis Zwölf­jäh­ri­gen ver­spü­ren sogar rund zwei Drit­tel zusätz­li­chen Druck durch feh­len­den Prä­senz­un­ter­richt und digi­ta­les Ler­nen zu Hau­se, erst recht in Fami­li­en mit meh­re­ren Kin­dern und wenig Platz für kon­zen­trier­tes Arbei­ten. „Wir ken­nen das alle. Wenn wir gestresst sind, dann geht es uns nicht gut. Bei Kin­dern ist das nicht anders“, erläu­tert KKH-Psy­cho­lo­gin Fran­zis­ka Klemm. „Sie kla­gen dann zum Bei­spiel über Kopf- und Bauch­schmer­zen, kön­nen schlecht ein­schla­fen oder reagie­ren schon auf Klei­nig­kei­ten hef­tig und impulsiv.“

 

Zehn- bis Zwölf­jäh­ri­ge lei­den besonders

Ein grö­ße­res Pro­blem für die Zehn- bis Zwölf­jäh­ri­gen als für die ande­ren Alters­grup­pen ist außer­dem das Auf-sich-allein-gestellt-Sein, wenn Eltern aus­wärts arbei­ten müs­sen, die Schu­len geschlos­sen sind und kei­ne Betreu­ung etwa durch Groß­el­tern oder Nach­barn mög­lich ist. Dass sämt­li­che Ver­än­de­run­gen durch die Coro­na-Kri­se gera­de Schü­ler in die­sem Alter beson­ders mit­nimmt, wun­dert Fran­zis­ka Klemm nicht : „Mit elf, zwölf Jah­ren befin­den sich die Kin­der gera­de in einer Umbruchs­pha­se. Die Kind­heit endet und die Puber­tät beginnt. Das ist ohne­hin schon eine schwie­ri­ge Zeit, die vie­le Ver­än­de­run­gen mit sich bringt, sowohl kör­per­lich als auch psy­chisch. Die Pan­de­mie ver­stärkt eini­ge die­ser Her­aus­for­de­run­gen noch und bringt zusätz­li­che, ganz neue Hür­den mit sich.“

 

Zukunfts­ängs­te ver­sus Entwicklungsstörungen

Die Älte­ren sind hin­ge­gen deut­lich mehr von Zukunfts­ängs­ten geplagt als die Jün­ge­ren : 36 Pro­zent der Schü­ler im Absol­ven­ten­al­ter belas­tet die Sor­ge, durch die ver­än­der­ten Lern­be­din­gun­gen in der Kri­se den Anschluss in der Schu­le zu ver­lie­ren (im Ver­gleich zu 22 Pro­zent der Grund­schü­ler). Dem­entspre­chend befürch­tet auch gut die Hälf­te der Eltern von 16- bis 18-Jäh­ri­gen, dass ihr Kind schlech­te­re beruf­li­che Per­spek­ti­ven durch län­ger­fris­ti­ge wirt­schaft­li­che Pro­ble­me infol­ge der Coro­na-Kri­se haben könn­te. Die Eltern der Sechs- bis Neun­jäh­ri­gen treibt hin­ge­gen vor allem die Sor­ge um, dass sich die Kri­se nega­tiv auf die Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung ihres Kin­des aus­wirkt : Das sagt gut die Hälf­te der befrag­ten Müt­ter und Väter. Ein Vier­tel aller Eltern befürch­tet außer­dem, dass ihr Kind auf­grund der Coro­na-Kri­se psy­chi­sche Erkran­kun­gen wie Depres­sio­nen ent­wi­ckeln könnte.

 

Dass die­se Befürch­tun­gen nicht ganz unbe­grün­det sind, kann Pro­fes­sor Dr. Mar­cel Roma­nos vom Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Würz­burg bestä­ti­gen, denn in den ver­gan­ge­nen Wochen sind die Anmel­dun­gen in den Kin­der- und Jugend­psych­ia­trien in Deutsch­land wie­der ange­stie­gen. Hier­zu tra­gen vor allem die Coro­na-beding­ten Ein­schrän­kun­gen im All­tag bei, die zu einer zuneh­men­den Belas­tung geführt haben. So ste­hen etwa vie­le Eltern und Kin­der unter erheb­li­chem Druck, die Anfor­de­run­gen im Home­of­fice und Home­schoo­ling zu bewäl­ti­gen. „Fami­li­en, in denen es bereits vor der Pan­de­mie psy­chi­sche Erkran­kun­gen gab, lei­den beson­ders unter der Situa­ti­on und kla­gen über Stress und Ein­sam­keit“, erläu­tert Roma­nos. Aus sei­ner Sicht belegt die Umfra­ge, dass die mitt­ler­wei­le lan­ge Dau­er der Pan­de­mie auch den Kin­dern eini­ges abver­langt. Der Exper­te befürch­tet aller­dings, dass die eigent­li­chen Her­aus­for­de­run­gen noch bevor­ste­hen : „Wenn wir die Pan­de­mie in den Griff bekom­men haben, wird der Ruf laut wer­den, dass die Kin­der das Ver­säum­te so schnell wie mög­lich wie­der auf­ho­len sol­len. Wenn wir dies undif­fe­ren­ziert und mit der ‚Brech­stan­ge‘ ver­fol­gen, wer­den wir sehr schnell einen erheb­li­chen Anstieg psy­chi­scher Stö­run­gen bei Kin­dern sehen.“

 

Schon vor Coro­na : Psy­chi­sche Erkran­kun­gen auf dem Vormarsch

Laut einer Daten­ana­ly­se der KKH haben bereits vor der Kri­se psy­chi­sche Erkran­kun­gen bei Kin­dern und Jugend­li­chen zuge­nom­men, die sich aus emo­tio­na­lem Stress und Kon­flik­ten ent­wi­ckeln kön­nen. So sind die Fäl­le von Depres­sio­nen bei den Sechs- bis 18-jäh­ri­gen KKH-Ver­si­cher­ten von 2009 auf 2019 um fast das Dop­pel­te (rund 97 Pro­zent) ange­stie­gen. Es fol­gen Anpas­sungs­stö­run­gen und depres­si­ve Reak­tio­nen auf schwe­re Belas­tun­gen mit rund plus 72 Pro­zent, Angst­stö­run­gen mit plus 45 Pro­zent, Schlaf­stö­run­gen mit plus 29 Pro­zent und Ess­stö­run­gen mit plus 13 Pro­zent. Immer häu­fi­ger stel­len Ärz­te außer­dem schon im Schul­al­ter die Dia­gno­se Burn­out. Auch da regis­triert die KKH im sel­ben Zeit­raum einen enor­men Anstieg – bei den 13- bis 18-Jäh­ri­gen sogar um mehr als das Dop­pel­te. Das zeigt, dass schon vor der Kri­se immer mehr Schü­ler Schwie­rig­kei­ten bei der Lebens­be­wäl­ti­gung hat­ten und aus­ge­brannt waren. Burn­out ist kei­ne eigen­stän­di­ge Krank­heit, son­dern gilt als Vor­stu­fe zur Depres­si­on und wird in der Regel als Zusatz­dia­gno­se im Zuge ande­rer, meist auch psy­chi­scher Erkran­kun­gen gestellt.

 

2019 waren bun­des­weit rund 27.000 Sechs- bis 18-jäh­ri­ge KKH-Ver­si­cher­te von einer oder meh­re­rer der genann­ten psy­chi­schen Lei­den betrof­fen. Hoch­ge­rech­net auf ganz Deutsch­land sind das rund 1,3 Mil­lio­nen Kin­der und Jugend­li­che. Eine ers­te Daten­aus­wer­tung für das ers­te Halb­jahr 2020 deu­tet zudem dar­auf hin, dass die Zah­len auch in der Coro­na-Kri­se wei­ter stei­gen, denn bei allen genann­ten psy­chi­schen Erkran­kun­gen liegt der Anteil der betrof­fe­nen Kin­der und Jugend­li­chen in die­sem Zeit­raum bereits über dem Halb­jah­res­durch­schnitt von 2019. Eine ver­läss­li­che Ana­ly­se ist aber erst mög­lich, wenn in eini­gen Mona­ten die Daten für das gesam­te Jahr 2020 vorliegen.

 

Alte und neue Stres­so­ren bei Kin­dern und Jugendlichen

Per­ma­nen­ter Leis­tungs- und Kon­kur­renz­druck in der Schu­le, Mob­bing sowie gesell­schaft­li­cher Druck durch Medi­en, Ido­le und Influen­cer : Das waren vor der Pan­de­mie die Stress­fak­to­ren, die Schü­lern am meis­ten auf die See­le schlu­gen (KKH-Umfra­ge von 2018). Zukunfts­ängs­te und Ein­sam­keit haben die­se Fak­to­ren in der Kri­se zwar zurück­ge­drängt, doch wenn der nor­ma­le Schul- und Frei­zeit­all­tag wie­der ein­kehrt, wird auch der Kon­kur­renz­druck beim Sport oder in der Schu­le wie­der an Bedeu­tung gewin­nen. Außer­dem müs­sen Kin­der und Jugend­li­che die Kri­se und ihre Fol­gen erst ein­mal ver­ar­bei­ten. Doch wie kann das am bes­ten gelin­gen ? „Nach der Pan­de­mie wird nicht sofort alles wie frü­her sein. Das dür­fen Eltern auch von ihren Kin­dern nicht erwar­ten. Was wäh­rend der Kri­se gehol­fen hat, ist daher auch nach der Kri­se beson­ders wich­tig : Regel­mä­ßi­ge Gesprä­che über Ängs­te, Wün­sche und Sor­gen“, sagt KKH-Psy­cho­lo­gin Fran­zis­ka Klemm. „Auch posi­ti­ve Erleb­nis­se kön­nen hel­fen, den emo­tio­na­len Tank wie­der auf­zu­fül­len. Das kön­nen zum Bei­spiel Unter­neh­mun­gen sein, die man gemein­sam plant und rea­li­siert. Das war ja wegen der Coro­na-Ein­schrän­kun­gen in den ver­gan­ge­nen Mona­ten größ­ten­teils nicht mög­lich.“ Den regel­mä­ßi­gen Aus­tausch in der Fami­lie hal­ten laut KKH-Umfra­ge auch 84 Pro­zent der Eltern für wich­tig. Fast 90 Pro­zent der Müt­ter und Väter geben dar­über hin­aus an, dass Eltern ruhig blei­ben und ein Vor­bild sein soll­ten – und auch das gilt nicht nur für Krisensituationen.

 

Die KKH bie­tet zahl­rei­che Prä­ven­ti­ons­pro­gram­me für Kin­der und Jugend­li­che an und arbei­tet mit dem Deut­schen Zen­trum für Prä­ven­ti­ons­for­schung (DZPP) zusam­men, um die psy­cho­so­zia­le Gesund­heit von Kin­dern zu stär­ken und ein gesun­des Auf­wach­sen zu fördern.

 

Quel­le : KKH Kauf­män­ni­sche Krankenkasse

 

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