Leidenschaftliche feministische Theologin und engagierte Pfarrerin

Birgit Reiche ist leitende Pfarrerin der westfälischen Frauenhilfe

win­ter­berg-total­lo­kal : Soest. Nach 21 Jah­ren als Ver­bands­pfar­re­rin tritt die Ost­west­fä­lin die Nach­fol­ge von Ange­li­ka Weigt-Blät­gen an : Pfar­re­rin Bir­git Rei­che ist seit dem 1. Mai 2021 die Lei­ten­de Pfar­re­rin der Evan­ge­li­schen Frau­en­hil­fe in West­fa­len e.V. Am 22. Mai wur­de die 57jährige in einem hybri­den Got­tes­dienst und Emp­fang ein­ge­führt. Über ihre Plä­ne sprach sie mit Manue­la Schunk, Öffent­lich­keits­re­fe­ren­tin des Verbandes.

Was macht Ihnen am meis­ten Spaß ?

Men­schen zu begeg­nen, neue Her­aus­for­de­run­gen anzu­neh­men und mich in neue The­men ein­zu­ar­bei­ten. Dazu habe ich vor allem in unse­ren dia­ko­ni­schen Arbeits­be­rei­chen im Moment ganz vie­le Mög­lich­kei­ten. Ich ler­ne jeden Tag dazu, muss aber von Anfang an auch bera­ten und entscheiden.

Dabei ist es mir wich­tig, unse­re Grund­la­ge nicht aus den Augen zu ver­lie­ren : Ich bin und blei­be auch in der neu­en Posi­ti­on lei­den­schaft­li­che femi­nis­ti­sche Theo­lo­gin und enga­gier­te Pfarrerin.

Gab es etwas, das Sie sich für die ers­ten Wochen im Amt vor­ge­nom­men hatten ?

Mir war wich­tig, mit mög­lichst vie­len Men­schen in der Frau­en­hil­fe ins Gespräch zu kom­men. Vie­le direk­te Begeg­nun­gen müs­sen wir auf den Som­mer ver­schie­ben, aber inzwi­schen sind wir ja auch in Video-Kon­fe­ren­zen und Tele­fo­na­ten geübt. Ich möch­te sehr schnell Ein­blick in die aktu­el­len Fra­gen in unse­ren unter­schied­li­chen Arbeits­be­rei­chen bekom­men, um anste­hen­de Ent­schei­dun­gen fun­diert tref­fen zu können.

Wie schwer hat der Ver­band mit den Fol­gen von Coro­na zu kämpfen ?

Allen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern in unse­ren dia­ko­ni­schen Ein­rich­tun­gen haben wir für ihre Umsicht zu dan­ken. Sie haben maß­geb­lich dazu bei­getra­gen, dass wir in unse­ren Ein­rich­tun­gen nur ganz weni­ge Todes­fäl­le zu bekla­gen haben. Aber sie sind nach über einem Jahr Coro­na auch erschöpft und wün­schen sich Entlastung.

Wel­che Aus­wir­kun­gen die Pan­de­mie auf unse­re Mit­glieds­grup­pen hat, kön­nen wir noch gar nicht abse­hen. Wir ver­su­chen als Lan­des­ver­band die Lei­te­rin­nen – so gut es geht – zu unter­stüt­zen, aber wann und wie die Arbeit wie­der auf­ge­nom­men wer­den kann, ent­schei­det sich vor Ort.

Was wün­schen Sie sich für das kom­men­de Jahr ?

Für unse­re Grup­pen in den Gemein­den hof­fe ich, dass sie nach die­ser lan­gen Pau­se wie­der zuein­an­der fin­den und dass es dort, wo Lei­te­rin­nen sich den Neu­an­fang nicht mehr zutrau­en, neue Lösun­gen gibt, so dass die Grup­pen sich nicht auf­lö­sen müssen.

Uns allen wün­sche ich eine neue Nor­ma­li­tät mit dem Virus, in der die Men­schen ihre per­sön­li­chen Frei­hei­ten zurück­er­lan­gen und trotz­dem auf­ein­an­der Rück­sicht nehmen.

Die Her­aus­for­de­run­gen wer­den wir gemein­sam gut bewäl­ti­gen, denn die Frau­en­hil­fe hat einen enga­gier­ten Vor­stand und her­vor­ra­gen­de ehren­amt­li­che wie auch haupt­amt­li­che Mitarbeitende.

Die Pan­de­mie hat uns gelehrt, dass wir als Gesell­schaft auf ein funk­tio­nie­ren­des Sozi­al­sys­tem ange­wie­sen sind. Die Wei­ter­ent­wick­lung die­ses Sys­tems ist nicht zum Null­ta­rif zu haben. Ich wün­sche mir nöti­ge Anrei­ze, damit in Zukunft Men­schen ger­ne sozia­le Beru­fe ergreifen.

Anti­fe­mi­nis­mus und ande­re grup­pen­be­zo­ge­ne Men­schen­feind­lich­kei­ten, anti­de­mo­kra­ti­sche Ten­den­zen und Gewalt­be­reit­schaft – all dies hat in die­sem Jahr­tau­send deut­lich zuge­nom­men. Wel­chen Bei­trag kann die west­fä­li­sche Frau­en­hil­fe leis­ten, um die­sen Hal­tun­gen etwas ent­ge­gen zu setzen ?

Die­se Ent­wick­lun­gen beun­ru­hi­gen mich zutiefst. Der Ein­satz für Frau­en- und Men­schen­rech­te, die Kam­pa­gnen­ar­beit für Demo­kra­tie, die Betei­li­gung an zivil­ge­sell­schaft­li­chen und kirch­li­chen Bünd­nis­sen blei­ben für mich wich­ti­ge Merk­ma­le der Frau­en­hil­fe, der ich mich ver­bun­den füh­le. Als Ver­bands­pfar­re­rin durf­te ich Rei­sen in vie­le Län­der der Welt lei­ten. Die Erfah­run­gen die­ser Rei­sen haben mich dank­bar gemacht für das Gesell­schafts­sys­tem, in dem ich leben darf. Ich möch­te gemein­sam mit allen ver­ant­wort­li­chen Men­schen inner­halb unse­res Ver­ban­des dazu bei­tra­gen, dass wir eine offe­ne und fried­li­che Gesell­schaft blei­ben und unse­re Demo­kra­tie immer wei­ter entwickeln.

Wel­che Akzen­te im Pro­fil der Frau­en­hil­fe wol­len Sie in den nächs­ten 8 Jah­ren setzen ?

Seit Jah­ren hat die Frau­en­hil­fe in der Ver­bands­ar­beit und in der dia­ko­ni­schen Arbeit einen Schwer­punkt in der Anti-Gewalt-Arbeit. Die­sen Schwer­punkt möch­te ich wei­ter pro­fi­lie­ren, in der dia­ko­ni­schen Arbeit genau­so wie in der Ver­bands- und Bildungsarbeit.

Der Ein­satz für den Drei­klang von Gerech­tig­keit, Frie­den und die Bewah­rung der Schöp­fung ist inner­halb der Frau­en­hil­fe und in die Gesell­schaft hin­ein so wich­tig wie vor fast 40 Jah­ren, als der kon­zi­lia­re Pro­zess begann. Das möch­te ich in den nächs­ten Jah­ren in mei­ner neu­en Posi­ti­on wei­ter unter­stüt­zen. Der Kli­ma­wan­del stellt uns vor die gro­ße Auf­ga­be, unse­re Arbeit in allen Berei­chen öko­lo­gisch wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Das beginnt in der Bil­dungs­ar­beit, wird in der dia­ko­ni­schen Arbeit in den nächs­ten Jah­ren von immer grö­ße­rer Bedeu­tung, muss aber auch Aus­wir­kun­gen auf unse­re Beschaf­fung und Bewirt­schaf­tung von Gebäu­den und Frei­flä­chen haben.

Im Bereich der gemeind­li­chen Frau­en­hil­fe­ar­beit möch­te ich unter­stüt­zen, dass sich neben den tra­di­tio­nel­len Grup­pen ande­re Mit­glied­schafts­mo­del­le eta­blie­ren. Dazu möch­te ich Modell­pro­jek­te in unter­schied­li­chen Gegen­den unse­rer Lan­des­kir­che anre­gen und unterstützen.

Ich arbei­te inzwi­schen seit über zwan­zig Jah­ren bei der Frau­en­hil­fe und habe als Fun­da­ment der Frau­en­hil­fe immer die theo­lo­gi­sche Grund­le­gung unse­rer Arbeit und den Rück­be­zug auf die bibli­sche Bot­schaft ver­stan­den. Ich weiß unse­re Arbeit unter­stützt durch das für­bit­ten­de Gebet unse­rer Mit­glie­der. Das macht Mut, mit Gott­ver­trau­en in die Zukunft zu gehen.

Foto­credits : Frauenhilfe

Quel­le : Evan­ge­li­sche Frau­en­hil­fe in West­fa­len e.V.

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