Vom Horn von Afrika ins kalte Sauerland

5000 km und viele Gefahren bis zum Ausbildungsplatz

win­ter­berg-total­lo­kal : WILL­KOM­MENS­LOT­SE : Udo Lin­nen­brink beglei­tet Geflüch­te­te in ein neu­es (Berufs-)Leben. Er unter­stützt Henok Tes­faha­nes aus Eri­trea auf dem Weg zu sei­nem Traum­be­ruf als Kraftfahrzeugmechatroniker.

Sein Name : Henok Tes­faha­nes. Sei­ne Hei­mat ist Eri­trea, ein klei­nes Land zwi­schen Äthio­pi­en und dem Sudan gele­gen, das noch nicht lan­ge von Äthio­pi­en nach einem grau­sa­men Bür­ger­krieg unab­hän­gig ist. Jetzt ist er Aus­zu­bil­den­der zum Kraft­fahr­zeug­me­cha­tro­ni­ker im Kfz-Betrieb von Hen­drik Schlink­mann an der Arns­ber­ger Bahn­hof­stra­ße. Nor­mal ist das für ihn nicht – noch nicht, noch zu neu. Nor­ma­li­tät ist zudem im Leben von Henok Tes­faha­nes noch nie sein Beglei­ter gewesen.

Auf der „Wohl­stands­ska­la“ der UN belegt Eri­trea Platz 180 von 189 Staa­ten, Deutsch­land Platz 6. „Das repres­si­ve poli­ti­sche Sys­tem, die schwie­ri­ge Wirt­schafts­la­ge und die Ein­be­ru­fun­gen zu zeit­lich nicht begrenz­ter Zwangs­ar­beit sor­gen dafür, dass Eri­trea eines der Län­der mit dem höchs­ten Anteil an außer­halb des Lan­des leben­den Staats­bür­gern ist“, heißt es bei Wiki­pe­dia. Auch Henok Tes­faha­nes kehr­te sei­nem Hei­mat­land den Rücken. 5.000 Kilo­me­ter tren­nen ihn von sei­ner Hei­mat und der Fami­lie mit sei­nen neun Geschwis­tern, die er seit sei­ner Flucht nicht mehr gese­hen hat. Kon­takt hat er nur per Tele­fon und bald viel­leicht auch per Sky­pe. Doch dazu spä­ter mehr.

Der Weg zum Kfz-Betrieb Schlink­mann in Arns­berg begann für den damals 19-jäh­ri­gen Henok Tes­faha­nes 2014 mit einer aben­teu­er­li­chen und ris­kan­ten Flucht über Äthio­pi­en, den Sudan, Liby­en, Ita­li­en und Frank­reich. Das waren größ­te Stra­pa­zen, denen er aus­ge­setzt war – Hun­ger, Durst, Hit­ze, Käl­te – und enor­me (Lebens-)Gefah­ren – in der Wüs­te wie auf dem Meer.

Seit 2015 ist er in Deutsch­land, doch am Ziel sei­ner Träu­me war er so schnell nicht. Zunächst hieß es für ihn, Deutsch zu erler­nen und Inte­gra­ti­ons­kur­se zu besu­chen. Zwölf Jah­re lang hat­te er in Eri­trea die Schu­le besucht, aber die­se Vor­bil­dung ist in Deutsch­land nicht aner­kannt. Also hieß 2017 der nächs­te Schritt, den Haupt­schul­ab­schluss am Sau­er­land-Kol­leg Arns­berg zu erlan­gen. Ein Jahr spä­ter, folg­te eine Berufs­ori­en­tie­rung für jun­ge Geflüch­te­te im bbz Arns­berg (Per­juF), das Semi­nar „Beruf­li­che Inte­gra­ti­on“ beim Ver­ein zur Reinte­gra­ti­on (bbz) und beim Inter­na­tio­na­len Bund (IB West). Dar­an schlos­sen sich ver­schie­de­ne Prak­ti­ka im Ein­zel­han­del (LEH) an. 

Henok Tes­faha­nes in sei­nem ers­ten Gespräch : „Etwas mit Autos zu machen ist mein Traum.“ 

Wei­ter ging es Schritt für Schritt. Im August 2019 kam es zum ers­ten Kon­takt zu Udo Lin­nen­brink, dem Will­kom­mens­lot­sen der Hand­werks­kam­mer Südwest­fa­len. In Abstim­mung mit dem Job­cen­ter Arns­berg und der Sprach­schu­le IB West beriet Udo Lin­nen­brink Henok Tes­faha­nes inten­siv und eröff­ne­te ihm den Weg zu einer beruf­li­chen Ori­en­tie­rung im Hand­werk. Die Wahl fiel auf den Kfz-Betrieb von Hen­drik Schlink­mann. Obwohl der bis dahin noch nie Kon­takt zu Geflüch­te­ten hat­te, ver­lie­fen die Gesprä­che aus­ge­spro­chen posi­tiv. Udo Lin­nen­brink konn­te den Betrieb von der Unter­stüt­zung zur betrieb­li­chen Inte­gra­ti­on über­zeu­gen und beglei­tet den Pro­zess von Anfang an. Schon weni­ge Tage dar­auf begann Henok Tes­faha­nes dort ein drei­wö­chi­ges Prak­ti­kum, dem dann die Ein­stiegs­qua­li­fi­zie­rung zum Kfz-Mecha­tro­ni­ker folgte. 

Hen­drik Schlink­manns Erfah­rung : „Ich bin über­rascht, wie gut es klappt.“ 

Seit August ver­gan­ge­nen Jah­res ist Henok Tes­faha­nes nun in einer regu­lä­ren Aus­bil­dung zum Kfz-Mecha­tro­ni­ker. Hen­drik Schlink­mann hat ihm einen erfah­re­nen Azu­bi zur Sei­te gestellt und als „Tan­dem“ bespre­chen die bei­den beruf­li­che Fra­gen aus der Schu­le und der Pra­xis. Für alle Betei­lig­ten hat sich erwie­sen, dass der ein­ge­schla­ge­ne Weg der rich­ti­ge war und ist. Dank der Unter­stüt­zung des Betrie­bes, ins­be­son­de­re von Bar­ba­ra Ber­ens, und dem Will­kom­mens­lot­sen Udo Lin­nen­brink geht Henok Tes­faha­nes enga­giert sei­nen Weg zum Traum­be­ruf und trotz Coro­na-Pan­de­mie mit kla­rer Per­spek­ti­ve und Fokus auf die Ausbildung. 

Apro­pos Coro­na : Die Pan­de­mie stellt uns alle vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen, Henok Tes­faha­nes aber vor eine beson­de­re. Für die meis­ten Aus­zu­bil­den­den ist es kein Pro­blem, am Distanz­un­ter­richt des Berufs­kol­legs teilzuneh­men. Doch wer als Geflüch­te­ter gera­de ein­mal mit hei­ler Haut das ret­ten­de Ufer erreicht hat, kann sich kei­nen Lap­top leis­ten. Das sah auch Will­kom­mens­lot­se Udo Lin­nen­brink. Es gelang ihm, einen gebrauch­ten Lap­top als Spen­de auf­zu­trei­ben und ihn Henok Tes­faha­nes nun über­ge­ben zu kön­nen. Jetzt kann der jun­ge Mann aus Eri­trea eben­so wie sei­ne Mit­schü­ler am Berufs­kol­leg dem Unter­richt auch auf Distanz fol­gen – und, falls alles klappt, auch sei­ne Geschwis­ter und den Rest der Fami­lie per Sky­pe wie­der­se­hen. Das wird auch das Heim­weh, das ihn in manch­mal über­kommt, hof­fent­lich lin­dern. Pro­ble­me gibt es für ihn noch auf ande­rer emo­tio­na­ler Ebe­ne : Sei­ne Fami­lie in Eri­trea erwar­tet von ihm finan­zi­el­le Unter­stüt­zung, die er von sei­ner Ver­gü­tung als Aus­zu­bil­den­der natür­lich nicht zu leis­ten ver­mag. Da kom­men ihm schon manch­mal Zwei­fel an sei­nem beruf­li­chen Weg. Per Sky­pe kann er sei­ne Fami­lie aber bestimmt davon über­zeu­gen, dass sein Weg der rich­ti­ge Weg ist – so wie es sei­ne Flucht mit allen Risi­ken und Gefah­ren war. https://​ogy​.de/​l​a4v

HINTERGRUNDINFORMATION:
Seit 2016 unterstützt die Handwerkskammer Südwestfalen ihre Mitgliedsbetriebe durch einen Willkommenslotsen. Das Förderprogramm zur Nachwuchssicherung ist vornehmlich auf Klein- und Mittelständische Betriebe (KMU) ausgerichtet, bietet aber auch großen Unternehmen individuelle Beratung und Begleitung bei allen Fragen rund um die betriebliche Integration von Geflüchteten in Ausbildung oder Arbeit. Über 130 Lotsen sind derzeit im gesamten Bundesgebiet eingesetzt. Sie sind an mehr als 80 Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern, Kammern der freien Berufe sowie weiteren Organisationen der Wirtschaft angesiedelt und regional gut erreichbar. Das Programm zur Unterstützung von Unternehmen bei der betrieblichen Integration von Geflüchteten durch Willkommenslotsen wird durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert.

Bild : Hin­ter den Mas­ken ist die Freu­de nur schwer erkenn­bar. Den­noch : Udo Lin­nen­brink (l.), Bar­ba­ra Ber­ens und Hen­drik Schlink­mann (v. r.) freu­en sich, dass Henok Tes­faha­nes mit dem gespen­de­ten Lap­top nun auch auf Distanz am Unter­richt des Berufs­kol­legs teil­neh­men kann.

Foto­credits : © Chris­tin Schmitz

Quel­le : Hand­werks­kam­mer Südwestfalen

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