Südwestfalens Wirtschaft rutscht immer tiefer in die Krise

Südwestfalens Wirtschaft rutscht immer tiefer in die Krise

IHK-Konjunkturumfrage zeigt deutliche Warnzeichen

IHK: Die gemein­sa­me Kon­junk­tur­be­fra­gung der drei Indus­trie- und Han­dels­kam­mern Sie­gen, Hagen und Arns­berg zeich­net ein düs­te­res Bild für die Wirt­schaft in Süd­west­fa­len: Die Anzei­chen einer Rezes­si­on und fort­schrei­ten­den Deindus­tria­li­sie­rung ver­dich­ten sich. Die Ergeb­nis­se der Befra­gung ver­bin­den die drei IHKs mit einem Appell an die poli­ti­schen Ent­schei­der, den Blick auf die indus­tri­el­le Herz­kam­mer NRWs zu rich­ten. An der Befra­gung im Sep­tem­ber betei­lig­ten sich 1.264 Unter­neh­men mit mehr als 120.000 Beschäf­tig­ten aus den drei IHK-Bezirken.

Die­ser Abschwung sei bei­spiel­los, denn er zie­he sich durch alle Bran­chen, bilan­zie­ren die drei IHK-Prä­si­den­ten Wal­ter Vie­ge­ner, Ralf Stof­fels und Andre­as Knappstein. Der IHK-Kon­junk­tur­kli­ma­in­dex für Süd­west­fa­len bricht ein: Wäh­rend der Wert im Früh­jahr bereits bei schwa­chen 92 Punk­ten lag, fällt er nun auf 78 Punk­te. Die Sor­ge vor einer anhal­ten­den Rezes­si­on sei klar spür­bar, so die IHK-Prä­si­den­ten. Die aktu­el­le Kri­se gehe zuneh­mend an die Sub­stanz und kön­ne lang­fris­ti­ge Aus­wir­kun­gen auf die wirt­schaft­li­che Sta­bi­li­tät der Regi­on haben. Fast jedes zwei­te Unter­neh­men berich­tet von einer pro­ble­ma­ti­schen Finanz­la­ge, die ins­be­son­de­re durch einen zuneh­men­den Eigen­ka­pi­tal­rück­gang und ver­mehr­te Liqui­di­täts­eng­päs­se ver­deut­licht werde.

Nur noch 16 Pro­zent der Betrie­be bewer­ten die Geschäfts­la­ge als gut, wäh­rend mitt­ler­wei­le 37 Pro­zent eine schlech­te Lage mel­den. In den ver­gan­ge­nen 15 Jah­ren beur­teil­ten die süd­west­fä­li­schen Unter­neh­men ihre Lage nur zu Beginn der Coro­na­pan­de­mie nega­ti­ver. Und auch der Blick in die Zukunft fällt düs­ter aus: Der Sal­do aus posi­ti­ven und nega­ti­ven Erwar­tun­gen fällt auf ‑22 Punk­te. Eine Trend­wen­de ist nicht in Sicht. Als Kon­se­quenz hal­ten sich die süd­west­fä­li­schen Unter­neh­men sowohl bei den geplan­ten Inves­ti­tio­nen als auch bei den Ein­stel­lungs­ab­sich­ten zurück. „Wir befin­den uns nicht nur in einem kon­junk­tu­rel­len Abschwung, son­dern mit­ten in einer erns­ten Struk­tur­kri­se. Die Betrie­be in unse­rer Regi­on müs­sen ohne­hin alle Kräf­te bün­deln, um die Trans­for­ma­ti­on zu mehr Kli­ma­neu­tra­li­tät und Digi­ta­li­sie­rung zu bewäl­ti­gen. Die sin­ken­de Nach­fra­ge, stei­gen­de Arbeits­kos­ten und wachs­tums­hem­men­de wirt­schafts­po­li­ti­sche Rah­men­be­din­gun­gen erhö­hen den Druck gewal­tig. Eine toxi­sche Gemenge­la­ge. Die Resi­li­enz der Unter­neh­men stößt an ihre Gren­ze“, ver­deut­licht Wal­ter Vie­ge­ner, Prä­si­dent der IHK Sie­gen. „In der Fol­ge schwin­det das Ver­trau­en in die Zukunfts­fä­hig­keit des Stand­or­tes immer wei­ter und drin­gend not­wen­di­ge Zukunfts­in­ves­ti­tio­nen wer­den zurück­ge­stellt. So ist ein Umkehr­schub aus dem Nega­tiv­stru­del kaum mög­lich. Die Regi­on büßt auf brei­ter Basis ihre Wett­be­werbs­fä­hig­keit ein.”

Besorg­nis­er­re­gend ist vor allem das Stim­mungs­bild in der hei­mi­schen Indus­trie, deren Situa­ti­on unter allen Wirt­schafts­zwei­gen die schlech­tes­te ist. Ledig­lich elf Pro­zent der Betrie­be geben eine gute Geschäfts­la­ge an, wäh­rend 46 Pro­zent ihre Lage als schlecht bezeich­nen. Ralf Stof­fels, Prä­si­dent der SIHK zu Hagen: „Süd­west­fa­len als Herz­kam­mer der nord­rhein-west­fä­li­schen Indus­trie droht ein Aus­blu­ten. Die Rah­men­be­din­gun­gen mit einer maro­den Infra­struk­tur und einer erdrü­cken­den Büro­kra­tie machen das Wirt­schaf­ten hier am Stand­ort immer unat­trak­ti­ver. Dabei sind die man­geln­de lang­fris­ti­ge Ver­sor­gungs­si­cher­heit, im inter­na­tio­na­len Ver­gleich viel zu hohe Ener­gie­kos­ten sowie Unsi­cher­hei­ten beim Netz­aus­bau die Haupt­grün­de für die spür­ba­re Inves­ti­ti­ons­zu­rück­hal­tung und sin­ken­de Wett­be­werbs­fä­hig­keit. Mehr als jeder fünf­te Indus­trie­be­trieb denkt ernst­haft über Stand­ort- oder Teil­ver­la­ge­run­gen nach. Die Fol­gen wären ein unum­kehr­ba­rer Ver­lust von Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten und Arbeits­plät­zen für die Regi­on. Von der Poli­tik braucht es nun drin­gend Sta­bi­li­tät, geziel­te Impul­se und ver­läss­li­che Rah­men­be­din­gun­gen, um eine Deindus­tria­li­sie­rung zu verhindern.“
Das Bau­ge­wer­be berich­tet noch von über­wie­gend guten Geschäf­ten. Die Lage­be­ur­tei­lung ist so posi­tiv wie in kei­nem ande­ren Wirt­schafts­zweig, den­noch belas­ten die Betrie­be die hohen Ener­gie­prei­se, nahe­zu unüber­blick­ba­re Vor­schrif­ten und Auf­la­gen sowie die über­bor­den­de Bürokratie.

Die übri­gen Bran­chen haben mit sehr ähn­li­chen Pro­ble­men zu kämp­fen. Sie schau­en mit gro­ßer Sor­ge auf die Ent­wick­lun­gen in der Indus­trie. „Die Indus­trie ist die Schlüs­sel­bran­che der Regi­on, auch für Händ­ler und Dienst­leis­ter”, sagt Arns­bergs IHK-Prä­si­dent, Möbel­händ­ler Andre­as Knappstein. Den Ein­zel- und Groß­han­del belas­tet vor allem die anhal­ten­de Kauf­zu­rück­hal­tung. Andre­as Knappstein: „Von den wie­der gestie­ge­nen Real­ein­kom­men kann der Han­del kaum pro­fi­tie­ren. Denn auch die Ver­brau­cher sind ver­un­si­chert; sie hal­ten sich beim Kon­sum zurück und spa­ren lie­ber.” 36 Pro­zent der Händ­ler erwar­ten nach­las­sen­de Geschäf­te. Der pro­duk­ti­ons­na­he Groß­han­del spürt zudem unmit­tel­bar die schwie­ri­ge Situa­ti­on der Industrie.

In den Dienst­leis­tungs­bran­chen bleibt die Lage­be­ur­tei­lung ins­ge­samt auf einem neu­tra­len Niveau. Eine beson­de­re Her­aus­for­de­rung ist hier der Fach­kräf­te­man­gel: Zwei Drit­tel sehen dar­in eine Gefähr­dung der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung. Bei den unter­neh­mens­na­hen Dienst­leis­tern hat sich zudem die Finanz­la­ge verschlechtert.

Das gilt auch für die Lage­be­wer­tung im Ver­kehrs­ge­wer­be. Aller­dings stellt sich hier die finan­zi­el­le Situa­ti­on der Betrie­be in gro­ßen Tei­len robust dar: 63 Pro­zent mel­den eine unpro­ble­ma­ti­sche Finanz­la­ge. Das Gast­ge­wer­be bewer­tet die eige­ne Lage mehr­heit­lich als schlecht. Dort ist es weni­ger die Nach­fra­ge, die den Betrie­ben zu schaf­fen macht, son­dern die stei­gen­den Kos­ten und die feh­len­den Fach- und Arbeits­kräf­te. „Die Infla­ti­on sowie die stark gestie­ge­nen Prei­se für Lebens­mit­tel und Ener­gie belas­ten die Unter­neh­men mas­siv. In kei­ner ande­ren Bran­che ist die Finanz­la­ge so dra­ma­tisch wie im Gast­ge­wer­be”, betont Andre­as Knappstein. In gro­ßen Tei­len wur­den die finan­zi­el­len Reser­ven in den letz­ten Jah­ren bereits auf­ge­braucht. Jeder wei­te­re Umsatz­rück­gang trifft die Betrie­be hart und geht spür­bar an die finan­zi­el­le Sub­stanz. Wir spre­chen hier nicht von Ver­la­ge­run­gen oder Anpas­sun­gen, son­dern tat­säch­lich von dro­hen­den Schließungen.“

Wie ein roter Faden zieht sich die Belas­tung durch zu viel Büro­kra­tie über alle Bran­chen hin­weg. Der Frust dar­über steigt ste­tig und ist ein wesent­li­cher Grund für die Zurück­hal­tung bei den Inves­ti­tio­nen. Poli­ti­sche Kurs­än­de­run­gen dür­fen jetzt nicht wei­ter auf­ge­scho­ben wer­den. Es benö­ti­ge drin­gend ver­läss­li­che und wirt­schafts­för­dern­de Rich­tungs­ent­schei­dun­gen: Weni­ger Regu­lie­rung, gerin­ge­re Ener­gie­prei­se sowie eine intak­te Ver­kehrs­in­fra­struk­tur, sonst wer­de der nächs­te Auf­schwung an Süd­west­fa­len vor­bei­zie­hen, beto­nen die drei IHK-Prä­si­den­ten Wal­ter Vie­ge­ner, Ralf Stof­fels und Andre­as Knappstein. Vie­le Unter­neh­men zehr­ten bereits an ihren finan­zi­el­len Reser­ven. In die­ser Pha­se sei es ein gro­ßer Segen, dass die Regi­on auf einen star­ken, zumeist inha­ber­ge­führ­ten Mit­tel­stand bau­en kann. Für des­sen Erhalt müs­se alles getan werden.

 

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Quel­le: Indus­trie- und Han­dels­kam­mer Arns­berg Hellweg-Sauerland
Bild: Blick­ten im Rah­men einer Pres­se­kon­fe­renz gemein­sam auf die kon­junk­tu­rel­le Lage Süd­west­fa­lens (von links): Alex­an­der Hen­ne­cke (stell­ver­tre­ten­der Haupt­ge­schäfts­füh­rer IHK Arns­berg), Andre­as Knappstein (Prä­si­dent IHK Arns­berg), Wal­ter Vie­ge­ner (Prä­si­dent IHK Sie­gen), Ralf Stof­fels (Prä­si­dent SIHK zu Hagen), Dr. Thi­lo Pahl (Haupt­ge­schäfts­füh­rer IHK Sie­gen) und Dr. Ralf Gerusch­kat (Haupt­ge­schäfts­füh­rer SIHK zu Hagen).
Foto­credits: IHK Siegen