Dirk Wiese (MdB) im Dialog mit Caritasverbänden Arnsberg-Sundern und Brilon: Deutliche Benennung der Herausforderungen und umfassende Forderungen an die Politik
Arnsberg/Brilon: Die Caritasverbände Arnsberg-Sundern und Brilon suchten das Gespräch mit dem Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese (SPD), um über ihre Arbeit im Bereich der beruflichen Bildung und der Teilhabe an Arbeit für Menschen mit Behinderungen zu informieren. Im Mittelpunkt des Austauschs standen aktuelle wie strukturelle Problemstellungen angesichts der immer strikteren Forderungen nach mehr Integration von Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Eine unter aktuellen Rahmen- wie Arbeitsmarktbedingen vollkommen unrealistische Forderung, waren sich die Caritas-Vertreter einig.
Berufliche Bildung
Besonders im Fokus stand beim Treffen der sogenannte Berufsbildungsbereich.
Er ist für Menschen vorgesehen, die in der Regel aufgrund von wesentlichen Behinderungen (100% Erwerbsminderung) zunächst nicht in der Lage sind, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Dazu gehören Menschen, die besondere Unterstützung benötigen, um ihre beruflichen Fähigkeiten zu entwickeln. Der Berufsbildungsbereich dauert in der Regel 27 Monate. Im ersten Jahr liegt der Schwerpunkt auf der Grundbildung, danach geht es verstärkt um die berufliche Spezialisierung. Es werden praktische Fähigkeiten sowie theoretisches Wissen vermittelt, das auf die Anforderungen der späteren Tätigkeiten in der Werkstatt oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abgestimmt ist. Beim Rundgang durch den Berufsbildungsbereich der St. Martin Werkstatt am Mühlenweg in Brilon erhielt Bundestagsabgeordneter Dirk Wiese einen konkreten wie persönlichen Eindruck. Nach der Besichtigung ging es in den Austausch.
Kritik an aktuellen Rahmenbedingungen
Die Caritasverbände bemängelten insbesondere die neue Zugangssteuerung zu den Werkstätten, die ausschließlich über die Agentur für Arbeit oder die Rentenversicherungsträger läuft. „Die spezifischen Bedürfnisse unserer Klienten werden dabei nicht ausreichend berücksichtigt“, bemängelte Stefanie Bierwagen, Leitung des Arbeitsbildungszentrums des Caritasverbandes Arnsberg-Sundern. Früher gab es einen gemeinsamen Fachausschuss, der eine differenziertere Beurteilung ermöglicht hätte. Heute fehlen solche Strukturen, was sich nachteilig auf die Qualität der Betreuung auswirkt. „Sich im persönlichen Gespräch kennenzulernen, fällt gänzlich weg“, sagte Daniela Bange, Fachbereichsleitung St. Martin Werkstätten der Caritas Brilon.
Klientel zunehmend leistungsgemindert und herausfordernd
Hinzu kommt, dass die Klientel zunehmend leistungsgemindert und herausfordernd ist – mit wachsendem Anteil von Menschen mit psychischen Erkrankungen, Autismus oder Migrationshintergrund. Diese Entwicklungen erfordern eine deutlich intensivere und spezialisierte Ausbildung der Mitarbeitenden. „Die aktuelle sonderpädagogische Zusatzqualifikation deckt die notwendigen Anforderungen nicht ab“, sagte Stefanie Bierwagen. Und weiter: „Politisch werden jedoch pauschal höhere Vermittlungsquoten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gefordert, ohne die realen Fähigkeiten unserer Klienten zu berücksichtigen.“
Steigende administrative Anforderungen
Die steigenden administrativen Anforderungen, wie das Notfallkonzept, die Dokumentation von freiheitsentziehenden Maßnahmen oder der erhöhte Datenschutzaufwand, belasten die Einrichtungen zusätzlich. „Diese Aufgaben binden wertvolle Ressourcen, die uns für die Betreuung der Klienten fehlen“, kritisierte Engelbert Kraft, Geschäftsführer Teilhabe Arbeit + Bildung beim Caritasverband Brilon. Neben einer älter werdenden Mitarbeiterschaft, höheren Krankheitsständen und Teilzeitquoten bei den Teilnehmenden der Berufsbildungsmaßnahmen würde auch deren Refinanzierung Sorgen bereiten.
Risiko liegt ausschließlich bei der Caritas
In 2016 wurde auf eine Maßnahmen-Refinanzierung für maximal 27 Monate umgestellt. . „Die Refinanzierung wurde dann für diesen Zeitraum festgelegt, ohne zwischenzeitliche Kostensteigerungen bspw. Tariferhöhungen ausreichend zu berücksichtigen. Auch in diesem Bereich liegt das volle Risiko ausschließlich bei uns als Anbieter der Leistung“, monierte Heinz-Georg Eirund, Vorstand Caritasverband Brilon. „In den 27 Monaten haben wir noch nie eine direkte Vermittlung vom Berufsbildungsbereich auf den Ersten Arbeitsmarkt geschafft. Auf fünf Jahre gerechnet liegt die Quote bei 7 Prozent bezogen auf die Teilnehmer, die den Berufsbildungsbereich absolviert haben“, nannte Frank Demming, Fachbereichsleitung Bildung und Leben beim Caritasverband Arnsberg-Sundern, konkrete Zahlen.
Gesellschaftliche Herausforderung
Ein grundlegendes, weil gesellschaftliches Hemmnis benannte Christian Stockmann, Vorstand Caritasverband Arnsberg-Sundern: „Der Erste Arbeitsmarkt ist noch nicht so weit. Wir müssen noch mehr die Arbeitnehmer*innen überzeugen, und zwar gemeinsam mit Politik, Kostenträgern und Caritasverband: Ihr gebt den Menschen eine Chance und wir bieten die Rahmenbedingen und die passende Unterstützung dafür. Nur gemeinsam können wir den nötigen inklusiven Arbeitsmarkt realisieren, der allen Menschen eine Chance bietet, wie die UN-Behindertenrechtskonvention es auch von Deutschland erwartet!“
Forderungen an die Politik
Die Vertreter der Caritasverbände formulierten gemeinsam mit dem Werkstattrat klare Forderungen an die Politik, um die berufliche Bildung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu sichern und zu verbessern:
- Existenzsichernde Entlohnung: Ein refinanziertes und auskömmliches Entgelt für Werkstattbeschäftigte, damit sie unabhängig von Sozialleistungen werden. Dies wäre ein wesentlicher Schritt zur Wertschätzung der Arbeit von Menschen mit Behinderungen.
- Sicherung und auskömmliche Finanzierung der Werkstätten: Die langfristige Stabilität der Werkstätten muss durch eine ausreichende finanzielle Ausstattung gewährleistet werden, um ihre wichtige Rolle in der Teilhabe an Arbeit zu sichern.
- Realistische Zielvorgaben: Politische Vorgaben, wie höhere Vermittlungsquoten, müssen an die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Klienten angepasst werden. Pauschale Quoten sind kontraproduktiv und gehen an der Realität vorbei.
- Angepasste Bildungszeiten: Menschen mit Behinderungen benötigen mehr Zeit zur Qualifizierung. Eine Verlängerung der Ausbildungszeiten von zwei auf drei Jahre, wie sie für Menschen ohne Behinderungen üblich ist, wäre ein notwendiger Schritt.
- Verbesserte Rahmenbedingungen im allgemeinen Arbeitsmarkt: Es bedarf Veränderungen, um mehr Menschen mit Behinderungen eine realistische Chance auf eine Beschäftigung im allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Dazu gehört auch die Förderung von Arbeitsausstattung und Mobilität bereits vor einer festen Arbeitsplatzzusage.
- Gemeinsame Anstrengungen: Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Trägern der beruflichen Bildung und Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes ist unerlässlich, um den Übergang von Menschen mit Behinderungen in reguläre Arbeitsverhältnisse zu erleichtern.
Kreative Ansätze und Ideen der Caritasverbände
Neben den Forderungen präsentierten die Caritasverbände auch kreative Ansätze, um die Teilhabe am Arbeitsmarkt zu verbessern:
- Stärkere Vernetzung der Akteure: Die Caritasverbände streben eine intensivere Zusammenarbeit aller internen und externen Akteure im Bereich der beruflichen Bildung an, um Synergien zu nutzen und die Betreuung der Klienten zu optimieren.
- Job-Speed-Datings: In Kooperation mit der IHK sollen Job-Speed-Datings organisiert werden, die Menschen mit Behinderungen und erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt die Möglichkeit bieten, direkt mit potenziellen Arbeitgebern in Kontakt zu treten.
- Begleitungsangebote: Die Caritasverbände setzen auf spezielle Begleitungsangebote bei Übergängen für Menschen mit Behinderungen und Unternehmen, um eine dauerhafte Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt sicherzustellen.
Fazit und Ausblick
Die Vertreter der Caritas und Bundestagsabgeordneter Dirk Wiese sind sich einig, dass die Herausforderungen der Zukunft nur gemeinsam bewältigt werden können – durch eine enge Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Bildungsanbietern. Dirk Wiese benannte auch mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention, dass Deutschland für die mangelnde Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf dem Ersten Arbeitsmarkt kritisiert würde. Die Arbeit in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen wird kontrovers diskutiert. „Ich stehe zu den Werkstätten, weil es Menschen gibt, für die das System Werkstatt Sicherheit und Schutz bietet.“
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Bild v. l.: Petra Hofmann (Vertrauensfrau Werkstattrat), Stefanie Bierwagen (Leitung des Arbeits- u Bildungszentrum Caritas Arnsberg-Sundern), Daniela Bange (Fachbereichsleitung St. Martin Werkstätten Caritas Brilon), Engelbert Kraft (Geschäftsführer Teilhabe Arbeit + Bildung Caritas Brilon), Daniela Emmerich (Vorsitzende Werkstattrat Caritas Brilon), Thomas Münstermann (Fachbereichsleitung St. Martin Werkstätten Caritas Brilon), Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese, Frank Demming „Fachbereichsleitung Bildung und Leben Caritas Arnsberg-Sundern), Jens Decker (Werkstattrat Caritas Brilon), Christian Stockmann (Vorstand Caritas Arnsberg-Sundern) Miriam Köster (Leitung Berufsbildungsbereich St. Martin Werkstätten Caritas Brilon und Heinz-Georg Eirund (Vorstand Caritas Brilon).
Quelle: Caritas Brilon
Fotocredits: Caritas Brilon / Sandra Wamers