Hunger als Waffe: Putins Getreidekrieg ist eine neue Dimension der Schlacht

Berliner Morgenpost – Hunger als Waffe – Leitartikel von Michael Backfisch

Getrei­de­krieg von Russ­lands Prä­si­dent Putin ist blan­ker Zynis­mus. Rake­ten auf Kran­ken­häu­ser, Schu­len, Wohn­vier­tel und Kraft­wer­ke: Der scho­nungs­lo­se Krieg gegen die Ukrai­ne war von Beginn an das Mar­ken­zei­chen des rus­si­schen Prä­si­den­ten Wla­di­mir Putin. Nun bom­bar­diert der Kreml­chef auch noch sys­te­ma­tisch den Hafen der Schwarz­meer-Stadt Odes­sa, von dem bis­lang ein Groß­teil der ukrai­ni­schen Getrei­de­ex­por­te aus­lief. 60.000 Ton­nen Korn wur­den ver­nich­tet. Putins Getrei­de­krieg ist eine neue Dimen­si­on der Schlacht. Zum einen schickt der rus­si­sche Staats­chef eine vir­tu­el­le Kriegs­er­klä­rung an die gan­ze Welt – dar­über hin­aus wer­den die Armen von exis­ten­zi­ell wich­ti­gen Nah­rungs­mit­tel­lie­fe­run­gen abgeschnitten.

Nach der ein­sei­ti­gen Kün­di­gung des inter­na­tio­na­len Getrei­de­ab­kom­mens durch Mos­kau wird Putins Schlach­ten-Logik noch aggres­si­ver. Schif­fe, die trotz­dem ukrai­ni­sche Häfen ansteu­ern, gel­ten als poten­zi­el­le Trans­port­mit­tel für Waf­fen und sind damit Zie­le für das rus­si­sche Mili­tär. Zudem wer­den Län­der, deren Flag­ge auf Han­dels­schif­fen im Schwar­zen Meer weht, impli­zit zu Kriegs­geg­nern Russ­lands. Mit die­sem schrof­fen Mix aus Dro­hung und Ein­schüch­te­rung soll der ukrai­ni­sche Getrei­de­ex­port auf null gedrückt wer­den. Die Leid­tra­gen­den sind nicht nur die Ukrai­ner, die 2022 auf­grund des Abkom­mens 33 Mil­lio­nen Ton­nen Korn aus­füh­ren konn­ten – immer­hin ein klei­ner Ret­tungs­ring für die gebeu­tel­te hei­mi­sche Wirt­schaft. Mehr als 50 Pro­zent davon gin­gen an die Ärms­ten der Armen die­ser Welt: Län­der wie Äthio­pi­en, der Sudan, Jemen, Soma­lia oder Ägyp­ten. Die­se Staa­ten sind die Opfer von Putins Getrei­de-Stopp. Nach Anga­ben der UN hun­gern welt­weit rund 735 Mil­lio­nen Men­schen, deut­lich mehr als vor der rus­si­schen Inva­si­on in der Ukraine.

Der Kreml­chef setzt Hun­ger als Waf­fe ein – ein zyni­sches Spiel mit Men­schen­le­ben. Die Behaup­tung, dass Russ­land durch die west­li­chen Sank­tio­nen beim eige­nen Export von Korn und Dün­ge­mit­teln klein­ge­hal­ten wer­de, ist vor­ge­scho­ben. Tat­sa­che ist, dass Mos­kau im ver­gan­ge­nen Jahr rund 62 Mil­lio­nen Ton­nen Getrei­de aus­füh­ren konn­te, so viel wie nie.

Mit sei­nem Getrei­de­krieg ver­sucht Putin, zwei macht­tak­ti­sche Hebel zu bedie­nen. Zum einen will er durch eine dras­ti­sche Ver­knap­pung des Ange­bots die Prei­se in die Höhe trei­ben, wovon die rus­si­sche Staats­kas­se und Kriegs­ma­schi­ne­rie pro­fi­tie­ren. Zum ande­ren legt er es dar­auf an, den Wes­ten zu einem Abbau oder zumin­dest zur Redu­zie­rung der wirt­schaft­li­chen Straf­maß­nah­men zu zwingen.

Auch die­ses Sank­ti­ons­ar­gu­ment ist löch­rig. Zwar wur­de die für die rus­si­schen Getrei­de­aus­fuh­ren zustän­di­ge Land­wirt­schafts­bank vom welt­wei­ten Ban­ken­kom­mu­ni­ka­ti­ons­sys­tem Swift abge­kop­pelt. Doch Mos­kau hat das Ange­bot des Wes­tens abge­lehnt, das Geld­in­sti­tut nur für den Zah­lungs­ver­kehr beim Korn­ex­port wie­der an Swift anzu­do­cken. Putins Bru­ta­lo-Kurs hat den Zweck, den ame­ri­ka­nisch-euro­päi­schen Embar­go­knüp­pel zu kip­pen. Aus­ge­tra­gen wird das auf dem Rücken der Schwächsten.

Die Fak­ten ver­schlei­ern, den Wes­ten als Sün­den­bock dekla­rie­ren: Das ist das Pro­pa­gan­da-Nar­ra­tiv des Kremls. Mos­kau sti­li­siert sich als Opfer­lamm der inter­na­tio­na­len Poli­tik. Beim Russ­land-Afri­ka-Gip­fel am 27. und 28. Juli in Sankt Peters­burg wird Putin mög­li­cher­wei­se ver­su­chen, sich mit der Ankün­di­gung von kos­ten­lo­sen Getrei­de­lie­fe­run­gen als Wohl­tä­ter zu insze­nie­ren. Die Afri­ka­ner soll­ten ihm im eige­nen Inter­es­se deut­lich machen, dass dies nur ein Trop­fen auf den hei­ßen Stein ist.

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Quel­le: BER­LI­NER MOR­GEN­POST, REDAKTION
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Foto­credit: Ado­be­Stock 294560437 / Brisystem

 

 

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