Warten auf ein Wunder – Leitartikel von Michael Backfisch zur Präsidentschaftswahl in der Türkei

Warten auf ein Wunder – Leitartikel von Michael Backfisch zur Präsidentschaftswahl in der Türkei

Wie­der ein­mal scheint sich das Blatt zuguns­ten des tür­ki­schen Prä­si­den­ten Recep Tayyip Erdo­gan zu wen­den. Zwar riss der Staats­chef die 50-Pro­zent-Mar­ke und muss am 28. Mai in die Stich­wahl. Doch ist es ihm gelun­gen, die posi­ti­ve Dyna­mik sei­nes Her­aus­for­de­rers Kemal Kilic­daroglu zu brechen.

Der 74 Jah­re alte Hoff­nungs­trä­ger der Oppo­si­ti­on hat­te vor dem ers­ten Durch­gang der Prä­si­dent­schafts­wahl in den meis­ten Umfra­gen die Spit­zen­po­si­ti­on inne. Es schien, als lie­ge in der Tür­kei ein Macht­wech­sel in der Luft. Der Auto­krat Erdo­gan, der seit 20 Jah­ren an der Macht ist, habe nach Hyper­in­fla­ti­on und Erd­bebenmissmanagement abge­wirt­schaf­tet, dach­ten und hoff­ten vie­le im Wes­ten. Es sei Zeit für einen Neuanfang.

Doch Erdo­gan ist ein mit allen Was­sern gewa­sche­ner Wahl­kämp­fer, der immer noch Mas­sen mobi­li­sie­ren kann. Dabei schreckt er auch vor Schmutz­kam­pa­gnen nicht zurück. So beschimpf­te er sei­nen Kon­kur­ren­ten als “Säu­fer” und dis­kre­di­tier­te die Oppo­si­ti­on als “Ter­ro­ris­ten”.

Der Prä­si­dent wird in den kom­men­den knapp zwei Wochen den Super­po­pu­lis­ten geben, der teu­re Wahl­ge­schen­ke wie Gehäl­ter und Pen­sio­nen ver­teilt. Ange­rei­chert wird dies mit einer natio­na­lis­ti­schen Poli­tik : Erdo­gan prä­sen­tiert die Tür­kei als glo­ba­len Akteur, der die Nato im Fal­le des Schwe­den-Bei­tritts eben­so pie­sa­cken kann wie die EU mit einer laxen Grenz­kon­trol­le beim Flücht­lings­the­ma. Bei vie­len sei­ner Lands­leu­te kommt das an.

Kilicda­ro­g­lu hat sich zwar in sei­nem “Küchen­wahl­kampf” smart ver­kauft – er gab sich als beschei­de­ne Alter­na­ti­ve zum Prunk-und-Protz-Amts­in­ha­ber Erdo­gan. Das ist ein moder­nes Nar­ra­tiv. Es soll­te vor allem Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler anspre­chen, die unter der Wirt­schafts­kri­se lei­den, die der Prä­si­dent zum gro­ßen Teil selbst ver­schul­det hat­te. So hat Erdo­gan durch­ge­boxt, dass die Zen­tral­bank bei hoher Infla­ti­on die Zin­sen senkt. Nach dem gesun­den Men­schen­ver­stand in der Wirt­schafts­wis­sen­schaft wirkt eine Poli­tik des bil­li­gen Gel­des in die­ser Lage erst recht als Brand­be­schleu­ni­ger und treibt die Prei­se nach oben. So kam es denn auch.

Kilicda­rog­lus Man­ko : Es fehlt ihm an Charisma.

Mög­li­cher­wei­se stie­ßen sich kon­ser­va­ti­ve Mus­li­me auch an sei­nem offe­nen Bekennt­nis, der Glau­bens­rich­tung der Ale­vi­ten zuzu­ge­hö­ren. Die Ale­vi­ten fas­ten nicht an Rama­dan und pil­gern nicht nach Mek­ka. Für vie­le Sun­ni­ten mag dies befremd­lich sein. Es zeigt aber auch, dass die tür­ki­sche Gesell­schaft noch in gro­ßen Tei­len reli­gi­ös grun­diert ist. Erdo­gan ern­tet auch noch im Spät­herbst sei­ner Kar­rie­re die Früch­te sei­nes Kur­ses der schlei­chen­den Isla­mi­sie­rung des Landes.

Meh­re­re Grün­de spre­chen dafür, dass der Amts­in­ha­ber mit deut­li­chen Vor­tei­len in die Stich­wahl geht. 

Der drit­te Kan­di­dat im Ren­nen, Sinan Ogan von der ultra­na­tio­na­lis­ti­schen Ata-Alli­anz, hat nun die Rol­le des Königs­ma­chers. Er kam auf gut fünf Pro­zent. Ein Groß­teil sei­ner Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler dürf­te in der zwei­ten Run­de für Erdo­gan stim­men. Ogan setzt kur­den­feind­li­che The­men und for­dert eine strik­te Migra­ti­ons­po­li­tik. Die Schnitt­men­gen mit Erdo­gan sind groß, auch wenn der 55 Jah­re alte Oppo­si­ti­ons­mann in der Ver­gan­gen­heit Front gegen den Prä­si­den­ten gemacht hatte.

Dar­über hin­aus hat Erdo­gans Regie­rungs­ko­ali­ti­on bei den Par­la­ments­wah­len ihre abso­lu­te Mehr­heit behaup­tet. Das ver­schafft dem Staats­chef Rücken­wind und stärkt sei­ne Posi­ti­on für die Stich­wahl. All dies sind Nach­tei­le für Kilicda­ro­g­lu. Er braucht ein klei­nes Wun­der, um am 28. Mai doch noch zu triumphieren.

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Quel­le : BER­LI­NER MORGENPOST
Ori­gi­nal-Con­tent von : BER­LI­NER MOR­GEN­POST, über­mit­telt durch news aktuell

Foto­credit : Ado­be­Stock 104060928 / Brisystem

 

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