Sorgen und Ängste der Eltern : Wie die Klassenfahrt für 500 Euro bezahlen ? Der Sohn braucht schon wieder neue Schuhe, zack, 60 Euro weg.

Berliner Morgenpost : Zeigt, was Kinder wert sind – Leitartikel von Madeleine Janssen

Es ist der x‑te Bericht, der den Ein­druck unter­mau­ert : Im rei­chen Deutsch­land zäh­len Fami­li­en nichts. Das „Fami­li­en­ba­ro­me­ter“, das Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Lisa Paus (Grü­ne) am Mon­tag vor­ge­stellt hat, ist durch­zo­gen von Sor­gen und Ängs­ten der Eltern. Wie sol­len wir die Klas­sen­fahrt für 500 Euro bezah­len ? Der Sohn braucht schon wie­der neue Schu­he, zack, 60 Euro weg. Der Bericht spie­gelt die­se finan­zi­el­len Sor­gen wider, die nicht neu sind, die sich aber durch Ukrai­ne-Krieg, Infla­ti­on und Ener­gie­kri­se poten­ziert haben.

Jedes fünf­te Kind in Deutsch­land ist arm. Deutsch­land ist die viert­größ­te Volks­wirt­schaft der Welt. Das passt nicht zusam­men. Die wirt­schaft­li­chen Nöte sind längst in den Fami­li­en der Mit­tel­schicht ange­kom­men. Wo das Kilo Papri­ka acht Euro kos­tet, fragt sich nicht nur die allein­er­zie­hen­de Mut­ter mit dem Teil­zeit­job, wie sie gesun­des Essen für ihre Kin­der bezah­len soll. Ein deut­li­ches Abfla­chen der Infla­ti­on ist so bald nicht zu erwar­ten. Der Staat muss ärme­ren Fami­li­en drin­gend hel­fen. Des­we­gen ist die Bün­de­lung und Erhö­hung von Sozi­al­leis­tun­gen für Kin­der unter dem Titel „Kin­der­grund­si­che­rung“ ein rich­ti­ges Signal.

Eltern fürch­ten um die Zukunft ihrer Kin­der. Auch das unter­streicht der Bericht ein­mal mehr. Was sie der­zeit erle­ben, ist eine Bil­dungs­ka­ta­stro­phe : mas­sen­haf­ter Unter­richts­aus­fall, zusam­men­ge­leg­te Klas­sen wegen Leh­rer­man­gels, Vier-Tage-Woche aus dem­sel­ben Grund, ver­rot­ten­de Schul­ge­bäu­de und feh­len­de digi­ta­le Kom­pe­ten­zen in der Leh­rer­schaft. Dar­über kön­nen auch neue Tablets nicht hin­weg­täu­schen, denn End­ge­rä­te machen noch kein Unterrichtskonzept.

Der Staat ver­säumt es, sich die Fach­kräf­te von mor­gen zu sichern. Kin­der sind in Deutsch­land noch immer zu wenig wert. Die ver­gan­ge­nen drei Jah­re haben das wie unter dem Brenn­glas gezeigt.

Dass die mona­te­lan­gen Schul­schlie­ßun­gen in der Coro­na-Pan­de­mie ein Feh­ler waren – geschenkt, mit einem sinn­ge­mä­ßen „Sor­ry, war falsch“ sei­tens der Poli­tik muss es wohl getan sein. Wo sind die Ange­bo­te für Kin­der und Jugend­li­che, die durch die­se ver­fehl­te Stra­te­gie einen Teil ihrer Kind­heit ver­lo­ren haben ? Kos­ten­lo­se Nach­hil­fe­stun­den ? Ver­güns­tig­te Frei­zeit­an­ge­bo­te ? Das hät­ten klei­ne Signa­le der Wert­schät­zung sein kön­nen. Aber für Län­der und Kom­mu­nen ist das abge­hakt. Die Kin­der von heu­te wer­den jedoch nicht ver­ges­sen, für wie selbst­ver­ständ­lich man ihren Ver­zicht nimmt. Noch viel wich­ti­ger als das Ampel-Pro­jekt zur Kin­der­grund­si­che­rung wären ech­te struk­tu­rel­le Ver­än­de­run­gen. Den Mut dazu zu haben, wür­de den Gegen­be­weis zu den ver­gan­ge­nen Jah­ren antre­ten und signa­li­sie­ren : Kin­der sind uns doch etwas wert.

Es braucht mehr Erzie­he­rin­nen und Erzie­her, um mehr Kita-Plät­ze zu schaf­fen – und zwar gute Kita-Plät­ze und nicht schie­re Ver­wahr­op­tio­nen. Es braucht ein ver­pflich­ten­des Jahr zur Vor­be­rei­tung auf die Schu­le und zur Stär­kung ins­be­son­de­re von Kin­dern mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Es braucht mehr Leh­re­rin­nen und Leh­rer, damit Schul­bil­dung end­lich bes­ser wird.

Es sind sol­che Maß­nah­men, die Kin­dern wirk­li­che Teil­ha­be ermög­li­chen. Ein Son­der­ver­mö­gen für die Bil­dung wäre die lang­fris­tig rich­ti­ge Inves­ti­ti­on. Klar ist : Vom Geld allein backt man sich kei­ne Erzie­her und Leh­re­rin­nen, der Staat hat hier zu lan­ge geschla­fen. Trotz­dem muss das Pro­blem end­lich ange­gan­gen wer­den. Bund und Län­der dür­fen sich nicht mehr hin­ter Zustän­dig­kei­ten ver­ste­cken, son­dern müs­sen sich gemein­sam in Bewe­gung setzen.

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Quel­le : BER­LI­NER MORGENPOST
Ori­gi­nal-Con­tent von : BER­LI­NER MOR­GEN­POST, über­mit­telt durch news aktuell

Foto­credit : Ado­be­Stock 361523785

 

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