Medizinische Genetik : HPI-Wissenschaftlerin zeigt, dass Krankheitsgene komplexer vererbt werden als bisher angenommen

In einer groß angelegten finnischen Biobankstudie wurden mehrere neue Krankheitsgene entdeckt und neue Erkenntnisse darüber gewonnen, wie genetische Faktoren Krankheiten beeinflussen. Die Studie verdeutlicht eine unterschätzte Komplexität der Dosiseffekte genetischer Varianten.

Die Ver­an­la­gung für vie­le Krank­hei­ten liegt in unse­ren Genen – doch meist sind die rele­van­ten Gene oder Kom­bi­na­tio­nen die zu Krank­hei­ten füh­ren noch nicht bekannt. Der HPI-Wis­sen­schaft­le­rin Dr. Hen­ri­ke Hey­ne und ihren Kol­le­gen ist es nun im Rah­men einer umfas­sen­den inter­na­tio­na­len Stu­die gelun­gen, neue Ein­bli­cke in die Ver­er­bung von Krank­hei­ten zu bekom­men und neue Krank­heits­ge­ne zu iden­ti­fi­zie­ren indem sie Genom- und elek­tro­ni­sche Gesund­heits­da­ten kombinierten.

So gelang es ihr bei­spiels­wei­se neue Gene für frü­hen Alters­ka­ta­rakt, bes­ser bekannt als Grau­er Star, für Infer­ti­li­tät bei Frau­en oder Schwer­hö­rig­keit zu erkennen.

Grund­la­ge für Heynes For­schung bil­den Genom­in­for­ma­tio­nen kom­bi­niert mit digi­ta­len Gesund­heits­da­ten von über 170.000 Fin­nen, die im Rah­men des Finn­Gen-Pro­jekts erho­ben wur­den. Das Finn­Gen-Pro­jekt wur­de 2017 in Finn­land gestar­tet, um die Gesund­heit durch gene­ti­sche For­schung zu ver­bes­sern. Die Stu­die kon­zen­trier­te sich auf so genann­te kodie­ren­de Gen­va­ri­an­ten, das heißt Vari­an­ten, von denen bekannt ist, dass sie das Pro­te­in­pro­dukt des Gens ver­än­dern. In der neu­en Aus­ga­be des inter­na­tio­nal renom­mier­ten Wis­sen­schafts­ma­ga­zins Natu­re stellt Hey­ne gemein­sam mit ihren Co-Autoren die Stu­die „Mono- and bial­le­lic vari­ant effects on dise­a­se at bio­bank sca­le“ vor.

Das Wis­sen­schafts­team um Hey­ne hat Effek­te von häu­fi­gen und etwas sel­te­ne­ren gene­ti­schen Vari­an­ten auf mehr als 2000 Krank­hei­ten untersucht. 

Das Beson­de­re an der Stu­die ist, neben der Grö­ße des Daten­sat­zes, dass das Team erst­mals in gro­ßem Umfang gezielt nach Krank­hei­ten such­te, die man nur bekommt, wenn man von bei­den Eltern­tei­len eine dys­funk­tio­na­le gene­ti­sche Vari­an­te geerbt hat (rezes­si­ver Erbgang).

„In unse­rer Stu­die konn­ten wir neue rezes­si­ve Asso­zia­tio­nen über ein brei­tes Spek­trum von Merk­ma­len wie Netz­haut­dys­tro­phie, Kata­rakt im Erwach­se­nen­al­ter und weib­li­che Unfrucht­bar­keit nach­wei­sen, die mit den tra­di­tio­nel­len Model­len über­se­hen wor­den wären“, so Dr. Hen­ri­ke Hey­ne. Man habe gezeigt, dass sich die Suche nach rezes­si­ven Effek­ten in genom­wei­ten Asso­zia­ti­ons­stu­di­en loh­nen kann, ins­be­son­de­re wenn man etwas sel­te­ne­re gene­ti­sche Vari­an­ten miteinbezieht.

Zusätz­lich haben die Autoren mit ihrem Daten­satz einen neu­en Blick­win­kel auf die Ver­er­bung sel­te­ner Krank­heits­va­ri­an­ten bekommen. 

Hier wird die Ver­er­bung fast aus­schließ­lich als rezes­siv oder domi­nant bezeich­net. Die Stu­die zeigt, dass die Rea­li­tät jedoch etwas viel­fäl­ti­ger ist. Die Autoren fin­den bei­spiels­wei­se, dass eini­ge Vari­an­ten, für die eigent­lich eine rezes­si­ve Ver­er­bung bekannt ist, auch gerin­ge Effek­te haben, wenn sie nur ein­mal (und nicht zwei­mal) vor­lie­gen. Sie fin­den auch gene­ti­sche Vari­an­ten mit posi­ti­ven Aus­wir­kun­gen (Schutz vor Herz­rhyth­mus­stö­run­gen oder Schutz vor Blut­hoch­druck) in Genen, die mit schwe­ren Krank­hei­ten in Ver­bin­dung gebracht wer­den. „Es könn­te Vor­tei­le in der Inter­pre­ta­ti­on von Vari­an­ten in der kli­ni­schen Dia­gnos­tik haben, wenn man hier mehr als die rezes­si­ven und domi­nan­ten Ver­er­bungs­mus­ter in Betracht zie­he, die Men­del damals an Erb­sen ent­deck­te“, sagt Heyne.

Die Stu­die könn­te zur Inte­gra­ti­on der tra­di­tio­nell getrenn­ten, aber sich immer mehr über­schnei­den­den Wis­sen­schafts­zwei­ge bei­tra­gen, die die Aus­wir­kun­gen sel­te­ner oder häu­fi­ger gene­ti­scher Vari­an­ten auf Krank­hei­ten unter­su­chen. Die Ergeb­nis­se zei­gen, wie gro­ße Bio­bank­stu­di­en unser Ver­ständ­nis der kom­ple­xen Effek­te gene­ti­scher Vari­an­ten auf Krank­hei­ten erwei­tern können.

Dr. Hen­ri­ke Hey­ne arbei­tet seit 2021 als Seni­or Rese­ar­cher und Arbeits­grup­pen­lei­te­rin am Fach­be­reich Digi­tal Health – Per­so­na­li­zed Medi­ci­ne des Has­so-Platt­ner-Insti­tut (HPI) unter der Lei­tung von Pro­fes­sor Dr.Erwin Böt­tin­ger. Das For­schungs­pro­jekt hat­te sie bereits als Post­dok­to­ran­din an der Uni­ver­si­tät Hel­sin­ki begon­nen. Von 2017 bis 2019 war die pro­mo­vier­te Medi­zi­ne­rin als Post­dok­to­ran­din an der Har­vard Medi­cal School und am Broad Insti­tu­te des Mas­sa­chu­setts Insti­tu­te of Tech­no­lo­gy (MIT) und der Har­vard Uni­ver­si­tät in Cam­bridge in den USA tätig.

Kurz­pro­fil HPI Digi­tal Health

Der Bereich Digi­tal Health des Has­so-Platt­ner-Insti­tuts (HPI) ver­eint Wissenschaftler:innen aus den Berei­chen Gesund­heits- und Lebens­wis­sen­schaf­ten, Daten­wis­sen­schaf­ten und Digi­tal Engi­nee­ring, mit dem gemein­sa­men Ziel, die Gesund­heit und das Wohl­be­fin­den unse­rer Gesell­schaft zu ver­bes­sern. Im März 2019 wur­de das Has­so Platt­ner Insti­tu­te for Digi­tal Health at Mount Sinai (HPI​.MS) als Ergeb­nis einer Koope­ra­ti­ons­ver­ein­ba­rung zwi­schen dem Mount Sinai Health Sys­tem in New York City und dem HPI gegrün­det. An bei­den Stand­or­ten erfor­schen und ent­wi­ckeln Forscher:innen digi­ta­le Gesund­heits­lö­sun­gen, Platt­for­men und Algo­rith­men, um durch inno­va­ti­ve Lösun­gen Krank­hei­ten bes­ser behan­deln, oder im Ide­al­fall gänz­lich ver­hin­dern zu können.

Kurz­pro­fil Hasso-Plattner-Institut

Das Has­so-Platt­ner-Insti­tut (HPI) in Pots­dam ist Deutsch­lands uni­ver­si­tä­res Exzel­lenz-Zen­trum für Digi­tal Engi­nee­ring.  Mit dem Bache­lor­stu­di­en­gang „IT-Sys­tems Engi­nee­ring“ bie­tet die gemein­sa­me Digi­tal-Engi­nee­ring-Fakul­tät des HPI und der Uni­ver­si­tät Pots­dam ein deutsch­land­weit ein­ma­li­ges und beson­ders pra­xis­na­hes inge­nieur­wis­sen­schaft­li­ches Infor­ma­tik­stu­di­um an, das von der­zeit rund 800 Stu­die­ren­den genutzt wird. In den fünf Mas­ter­stu­di­en­gän­gen „IT-Sys­tems Engi­nee­ring“, „Digi­tal Health“, „Data Engi­nee­ring“, „Cyber­se­cu­ri­ty“ und „Soft­ware Sys­tems Engi­nee­ring“ kön­nen dar­auf auf­bau­end eige­ne For­schungs­schwer­punk­te gesetzt wer­den. Bei den CHE-Hoch­schul­ran­kings belegt das HPI stets Spit­zen­plät­ze. Die HPI School of Design Thin­king, Euro­pas ers­te Inno­va­ti­ons­schu­le für Stu­den­ten nach dem Vor­bild der Stan­for­der d.school, bie­tet jähr­lich 300 Plät­ze für ein Zusatz­stu­di­um an. Der­zeit sind am HPI 22 Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren sowie über 50 wei­te­re Gast­pro­fes­so­ren, Lehr­be­auf­trag­te und Dozen­ten tätig. Es betreibt exzel­len­te uni­ver­si­tä­re For­schung – in sei­nen IT-Fach­ge­bie­ten, aber auch in der HPI Rese­arch School für Dok­to­ran­den mit ihren For­schungs­au­ßen­stel­len in Kap­stadt, Irvi­ne, Hai­fa und Nan­jing. Schwer­punkt der HPI-Leh­re und ‑For­schung sind die Grund­la­gen und Anwen­dun­gen gro­ßer, hoch kom­ple­xer und ver­netz­ter IT-Sys­te­me. Hin­zu kommt das Ent­wi­ckeln und Erfor­schen nut­zer­ori­en­tier­ter Inno­va­tio­nen für alle Lebensbereiche.

 

Quel­le : Chris­tia­ne Rosen­bach und Joa­na Buß­mann – HPI Hasso-Plattner-Institut
Ori­gi­nal-Con­tent von : HPI Has­so-Platt­ner-Insti­tut, über­mit­telt durch news aktuell

Bild­un­ter­schrift : HPI-Wis­sen­schaft­le­rin Dr. Hen­ri­ke Hey­ne zeigt, dass Krank­heits­ge­ne kom­ple­xer ver­erbt wer­den als bis­her ange­nom­men (Copy­right : HPI / Kay Herschelmann)

Bild­rech­te : HPI Hasso-Plattner-Institut
Foto­graf : Kay Herschelmann

 

 

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